Für die Vereinigten Kleinstaaten von Europa

Die Größe eines Landes ist entscheidend: wirtschaftlich, diplomatisch und auch in der Verwaltung. Im weltweiten Vergleich sind die EU-Staaten einfach zu klein. Die Lösung? Europa nach dem Vorbild der USA umbilden. Das zumindest schlägt der Journalist Philip Ebels vor.

Veröffentlicht am 8 August 2012 um 16:03

Alfred Heineken braute nicht nur Bier sondern machte sich auch über viele andere Dinge Gedanken. So dachte er beispielsweise viel über Europa und den bestmöglichsten Weg nach, wie man seine Zukunft beschreiten könnte.

In seiner 1992 niedergeschriebenen Vision malte er sich „ein Vereinigtes Europa 75 verschiedener Regionen aus“, in denen „jeweils zwischen fünf und zehn Millionen Einwohner“ leben.

Der bereits betagte, aber ausgesprochen kreative Heineken hatte viel Zeit und Geld und war für seine verrückten Ideen allseits bekannt. Seine Idee zu Europa geriet aber schnell wieder in Vergessenheit. Leider – schließlich ist sie zwei Jahrzehnte später aktueller denn je.

Zu groß und zu klein

Obwohl es absolut nichts Neues ist, gilt es heute mehr denn je: Die europäischen Staaten sind für internationale Geschäfte zu klein, für die alltäglichen Angelegenheiten aber zu groß.

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Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Deutschland oder Frankreich, beziehungsweise Luxemburg oder die Niederlande auf der globalen Bühne allein zurechtkamen. Aus diesem Grund gibt es die NATO, die EU und – noch – eine Einheitswährung.

Schauen wir uns einmal die nach physischen Merkmalen erstellte Liste der weltweit größten Länder an. Das EU-Land, das am besten abschneidet, ist Frankreich. Es steht auf Platz 43. Das 26 Mal größere Russland ist die unbestrittene Nummer 1. Im weltweit bevölkerungsreichsten Land China leben sechzehn Mal mehr Einwohner. Indien zählt fast 15 Mal so viele.

Wäre die EU ein Land, würde sie auf dem 7. Platz der Liste der größten, und auf dem 3. Platz der bevölkerungsreichsten Länder stehen. Auf der Liste der bedeutendsten Wirtschaftsmächte wäre es – wie die Beamten in Brüssel ohne Unterlass wiederholen – die Nummer 1.

Vorbei sind auch die Zeiten, in denen die Menschen ungebildet und gefügig waren. Die Zeiten, in denen sie ihre Politiker nicht mit Forderungen nach mehr Transparenz, Effizienz, Demokratie und Verantwortlichkeit belästigten.

Technischer Fortschritt hat schon immer zu politischen Turbulenzen geführt und oft diejenigen in Mitleidenschaft gezogen, die an der Macht waren. Was einst die Druckerpresse leistete, schafft nun das Internet: Dank ihm erhalten die Menschen Zugang zu Informationen, werden selbst zu Produzenten und zudem in die Lage versetzt, Informationen weiterzuleiten und so das herrschende Establishment zu untergraben – nicht nur in der arabischen Welt.

Aus diesem Grund unternehmen Staaten alles ihnen Mögliche, um mit einer immer lauter fordernden und immer stärker emanzipierten Bevölkerung mithalten zu können: Sie dezentralisieren. Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien: Sie alle haben in den vergangenen Jahrzenten immer mehr Zentralmacht nach unten abgegeben. Je näher die Macht an den Menschen ist, desto transparenter, effizienter, demokratischer und verantwortlicher ist sie.

Größe zählt

Eigentlich könnte man meinen, dass alles, was eine Funktion erfüllt, eine optimale Größe hat. Egal ob ein Stift größer oder kleiner ist, wichtig ist, dass man ihn benutzen kann.

Der europäische Sozialstaat hat vielerlei Funktionen. Er muss sich nach Außen schützen, den Rechtsstaat aufrechterhalten, medizinische Versorgung und Bildung garantieren, für die Instandhaltung des Verkehrsnetzes und des Waldbestandes sorgen und Vermögen – mehr oder weniger – gerecht verteilen.

Das Problem ist, dass jeder einzelnen dieser Funktionen eigene optimale Größen entsprechen und diese sich – wie die sich stets wandelnde Welt – immer weiter auseinander entwickeln.

Die Folge ist nicht etwa, dass der Staat nicht mehr funktioniert, sondern dass er schlicht und einfach nicht mehr so gut funktioniert. So als wäre der Stift so groß wie ein Kehrbesen oder so klein wie ein Holzsplitter. Zwar könnte man ihn noch benutzen, aber er würde seinen eigentlichen Zweck nicht mehr wirklich angemessen erfüllen.

So lange es technologische Fortschritte gibt, werden wir genau diesen Trend beobachten können. China und andere zukünftige Riesen werden weiter wachsen. Die Regierten werden die Machthaber weiter schwächen. Und eines Tages – oder ist es etwa schon so weit? – werden sich die europäischen Staaten als unnütze Hindernisse zwischen Brüssel und Barcelona erweisen und mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Eurotopia

Heineken: Ein Prophet? Natürlich ist das absurd. Wir sind mit dieser Teilung des Kontinentes aufgewachsen und haben uns an sie gewöhnt. Da ist es ganz normal, dass man auf jeden Alternativvorschlag – bestenfalls – mit einem mitleidig-süffisanten Lächeln reagiert. Ist die Idee aber wirklich so verrückt?

Schauen wir uns das Ganze doch mal mit der notwendigen Distanz an und stellen uns vor, wie das wohl insgesamt aussehen könnte. Vielleicht sind die Vereinigten Kleinstaaten von Europa gar keine so schlechte Idee.

Wir hätten eine übersichtliche und direkt gewählte föderale Regierung und beliebig viele lokale und ähnlich große Regionalregierungen – ähnlich wie denen der USA. Wir wären in der Lage, uns auf der globalen Bühne zu behaupten und gleichzeitig auf lokaler Ebene zu entscheiden, ob wir Stierkämpfe oder das Rauchen von Marihuana zulassen wollen.

Viele unserer heutigen Probleme würden sich in Luft auflösen. [Wir bräuchten uns nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, wie wir] zwischen großen und kleineren Staaten ein Gleichgewicht herstellen und den als Rettungsanker dienenden Norden mit dem Süden versöhnen können.

Heineken taufte das Ganze „Eurotopia“ – eine Verbindung aus Europa und Utopie. Ihm war sehr wohl bewusst, auf wie viel Skepsis seine Idee treffen würde. Aber radikale Zeiten machen nun einmal radikale Maßnahmen erforderlich. Und so, wie es im Moment aussieht, ist mir die Utopie auf jeden Fall lieber als die Dystopie.

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