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Gaslighting in der Politik: Wie weibliche Missbrauchserfahrung verallgemeinert wird

Ursprünglich sollte der Begriff Gaslighting Missbrauch und Manipulation in Paarbeziehungen definieren. Doch immer häufiger wird er auch in der kollektiven politischen Analyse verwendet. Was bedeutet diese Verlagerung vom privaten in den öffentlichen Raum?

Veröffentlicht am 16 Juli 2025

„But he’s gaslighting her!” Ich hörte den Begriff „Gaslighting” zum ersten Mal während einer Diskussion mit einer britischen Freundin im Jahr 2019. Wir sprachen über ein Paar, in dem die Frau ihren eigenen Erinnerungen nicht mehr traute und sich dabei ertappte, wie sie Anrufe und Nachrichten durchging, um zu überprüfen, ob das, woran sie sich zu erinnern glaubte, der Wahrheit entsprach. Für meine Gesprächspartnerin gab es keinen Zweifel: Unsere Bekannte ist ein Opfer von Gaslighting.

Laut der amerikanischen Psychoanalytikerin Robin Stern, Autorin von The Gaslight Effect Recovery Guide (Rodale Press, 2007 und 2023), ist „Gaslighting eine mächtige, heimtückische und oft verdeckte Form der psychologischen Manipulation, die sich über einen längeren Zeitraum über wiederholt und das Vertrauen einer Person in ihre eigene Wahrnehmung, ihr Urteilsvermögen und in extremen Fällen auch ihre geistige Gesundheit untergräbt. Es handelt sich dabei nicht um eine individuelle Pathologie, sondern sie gedeiht auf dem emotionalen Boden ungleicher Beziehungen.”

„Gaslighting kann zwar bei allen Geschlechtern vorkommen”, fährt Stern fort, „doch Frauen sind überproportional davon betroffen, und zwar nicht, weil sie von Natur aus verletzlicher sind, sondern weil ihnen seit jeher beigebracht wurde, ‚nett‘ zu sein und zu gefallen. Das Patriarchat hat männliche Autorität lange Zeit gebilligt und weibliche Wahrnehmung auf diese Weise diskreditiert.”

In den letzten Jahren ist Gaslighting jedoch auch zu einer politischen Kategorie geworden und spiegelt einen Trend wider, bei dem psychologische Konzepte zur Erklärung von kollektiven Phänomenen und Dynamiken unserer Zeit verwendet werden. „Donald Trump Is Gaslighting America“, titelte die Teen Vogue im Jahr 2016 und bezog sich dabei auf „Trumps systematische Versuche, die Wahrheit zu destabilisieren und das Fundament der amerikanischen Freiheit zu schwächen.” In seinen Tweets und Erklärungen hat Trump eine lange Liste von Lügen verbreitet, ohne sich die Mühe zu machen, sie zu korrigieren oder zu widerlegen. Die amerikanische Essayistin Rebecca Solnit hat darauf hingewiesen, dass Trumps erster Wahlsieg Gaslighting „zu einem unverzichtbaren Wort im öffentlichen Leben” gemacht hat.

Männliche Herrschaftsfantasie: zwischen Psychologie und Politik

Der Begriff stammt ursprünglich aus dem britischen Theaterstück Gas Light von Patrick Hamilton, das 1938 in London uraufgeführt wurde - ein großer Erfolg, König Georg VI. brachte seine Frau zur Aufführung mit und das Stück wurde 1944 von George Cukor verfilmt, mit Charles Boyer und Ingrid Bergman in den Hauptrollen. Der Film erzählt die Geschichte einer Ehe, in der der Mann seine Frau manipuliert, indem er sie anlügt und kleine Veränderungen im Haus vornimmt, z. B. das Licht in den Gaslampen dimmt, so dass sie an ihrer Wahrnehmung und ihren geistigen Fähigkeiten zu zweifeln beginnt.

Gaslight, poster | Copyright: 1944 Loew's Incorporated, Public Domain/Wikimedia
Das Plakat zum Film Gaslight von George Cukor. | Copyright: 1944 Loew's Incorporated, Public Domain/Wikimedia

Zur Zeit von Hamiltons Stück und Cukors Film wurde das Thema häusliche Gewalt noch nicht öffentlich diskutiert. Doch heute, mehr als 80 Jahre später, ist der Titel in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen, um eine Form des beziehungsspezifischen und politischen Missbrauchs zu beschreiben.

2016 wurde „Gaslight” von der American Dialect Society zum „nützlichsten Wort“ des Jahres gekürt und 2018 listete Oxford Dictionaries es als eines der „Wörter des Jahres” - eine Wahl, die 2022 vom amerikanischen Merriam-Webster-Wörterbuch bestätigt wurde, nachdem die Online-Suche nach dem Begriff im Vergleich zum Vorjahr um 1740 Prozent gestiegen war. „In unserem Zeitalter der Desinformationen - von ‚Fake News’, Verschwörungstheorien, Twitter-Trollen bis hin zu Deepfakes - ist Gaslighting zu einem wichtigen Wort geworden”, erklärt Merriam-Webster. Im Jahr 2016 hatte Oxford Dictionaries „post-truth“ gewählt, ein weiterer Begriff, der eine für unsere Zeit typische Verschleierung der Wahrheit beschreibt.

Beim Gaslighting wird die Verantwortung umgekehrt: Diejenigen, die es praktizieren, leugnen nicht die Wahrheit eines Problems, sondern schieben das Problem auf die andere Person und greifen sie für ihre Art zu sein an.

Heute ist die Popularität des Begriffs jedoch eher auf seine politische Verwendung zurückzuführen, insbesondere in der englischsprachigen Welt. „Die amerikanische Popularisierung der psychologischen Sprache ist sowohl eine kulturelle Eigenheit als auch ein gesellschaftspolitisches Phänomen”, erklärt Stern. Dem Psychoanalytiker zufolge haben jahrzehntelanger Aktivismus in den USA - vom Second-Wave-Feminismus bis zur #MeToo-Bewegung - und später der politische Aufstieg von Trump den Weg dafür geebnet, dass psychologische Begriffe Teil des Alltagsdiskurses wurden. „Was in der klinischen Welt begann, tauchte in Wohnzimmern, Klassenzimmern und schließlich in der Umgangssprache der sozialen Medien und des Protests auf.”


„Während zwischenmenschliches Gaslighting das individuelle Selbst- und Wahrheitsempfinden verzerrt, zielt politisches Gaslighting darauf ab, die gemeinsame Realität einer bestimmten Gesellschaftsgruppe zu verzerren oder umzuschreiben” – Robin Stern


„Da ist etwas in Bewegung”, fügt Stern hinzu. „Die globale Verbreitung feministischen Denkens, digitaler Aktivismus und die weitverbreitete Erfahrung von systemischem Verrat - insbesondere in der Politik - hat das Bedürfnis nach einer Sprache geschaffen, die das bestätigt, was die Menschen intuitiv spüren, aber noch nicht zu benennen wissen.”

In diesem Zusammenhang hat sich Gaslighting als „ein Wort herauskristallisiert, das dem Unbehagen Ausdruck verleiht, wenn einem gesagt wird, dass der eigene Schmerz nicht echt ist - sei es von einem Partner, einer Partnerin oder von einer Regierung. Wie bei vielen sozialen Phänomenen kann sich dieses Vokabular zunächst nur leise verbreiten, am Ende wird es jedoch immer lauter und spricht mit Macht.”

Der französische Soziologe Marc Joly, Forscher am Centre national de la recherche scientifique (CNRS), stimmt dem zu: „Es ist erstaunlich, dass sich immer mehr psychologische Konzepte durchsetzen, die es uns ermöglichen, die psychischen und verhaltensbezogenen Funktionen der Menschen so genau wie möglich zu definieren.” Diese Begriffe werden immer häufiger sowohl im privaten Bereich - man denke nur an „hypersensibel” - als auch im öffentlichen Bereich verwendet, um ein als abweichend oder unangemessen empfundenes Verhalten anzuprangern.

Joly hat einen Großteil seiner Forschung dem pathologischen Narzissmus gewidmet, der Politiker wie Donald Trump oder Emmanuel Macron kennzeichnet. In seinem Buch La pensée perverse au pouvoir („Perverses Denken an der Macht”, Anamosa, 2024) hat sich Joly auf den französischen Präsidenten konzentriert und kommt zu dem Schluss, dass durch narzisstische Perversion in der Politik das „männliche Phantasma der absoluten Herrschaft” reproduziert wird. In diesem Sinne ist Narzissmus eine Reaktion auf den Verlust von relationaler und politischer Macht: „Wenn Minderheitengruppen oder ehemalige Minderheitengruppen ihre Rechte und ihren Standpunkt geltend machen können, dann sind dominante Gruppen von einem Legitimitätsverlust bedroht und müssen auf neue Herrschaftsstrategien ausweichen.”

„Was passiert also, wenn der Ehepartner die Besitzmentalität beibehält, aber nicht mehr das Recht dazu hat, weil er mit einer Partnerin konfrontiert ist, die autonom ist und ihre Bedürfnisse und Wünsche respektiert sehen möchte? Dieses Ungleichgewicht in den ehelichen Beziehungen findet sich in allen Beziehungskonstellationen wieder, insbesondere in den Beziehungen zwischen Herrschenden und Beherrschten”, fügt Joly hinzu. Manipulation durch Verleugnung, Spaltung, aktive Verunglimpfung sowie störendes oder chaotisches Verhalten (mit Folgen für die gesamte Gesellschaft) gehören zu den häufigsten Erscheinungsformen des politischen Narzissmus.

„Eine kollektive weibliche Erfahrung”

In ihrem 2023 veröffentlichten Buch Le gaslighting ou l'art de faire taire les femmes („Gaslighting oder die Kunst, Frauen zum Schweigen zu bringen”, L'Observatoire-La Relève) bezeichnet die französische Schriftstellerin Hélène Frappat das Gaslighting als „kritisches Instrument des Feminismus”. Frappat zeigt anhand von Geschichte, Kino und Politik, wie dieser Mechanismus gegen Frauen eingesetzt wurde, um sie „verschwinden” zu lassen, zum Schweigen zu bringen und sie als verrückt oder labil darzustellen - von Kassandra über Antigone bis zu Britney Spears. Für Frappat ist das Gaslighting daher eine kollektive weibliche Erfahrung.

„Politisches Gaslighting ist der kollektive Cousin des intimen Verrats”, sagt Stern. „Während zwischenmenschliches Gaslighting das individuelle Selbst- und Wahrheitsempfinden verzerrt, zielt politisches Gaslighting darauf ab, die gemeinsame Realität einer bestimmten Gesellschaftsgruppe zu verzerren oder umzuschreiben. Es ist nicht nur eine Taktik - es ist eine Kontrollstrategie. Der psychologische Mechanismus ist derselbe: leugnen, ablenken, verzerren. Aber die Reichweite ist viel größer und die Folgen weitreichender.”


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Wenn Politiker oder Institutionen Gräueltaten herunterspielen, eindeutig dokumentierte Fakten leugnen oder Andersdenkende als „gestört“ bezeichnen, betrieben sie nicht nur Propaganda, sondern führten einen Krieg gegen die Wahrnehmung, so Stern. „Das Ziel ist Destabilisierung, nicht Überzeugung.” Während politische Propaganda die Öffentlichkeit überzeugen will, zielt Gaslighting darauf ab, sie zu verwirren.

Fast ein Jahrzehnt nach seiner ersten Wahl ist Trump immer noch ein Meister dieser Strategie. „Trump lässt uns im Dunkeln tappen”, schrieb Peter Wehner in The Atlantic, nachdem führende Mitglieder der US-Regierung dem Chefredakteur des Magazins fälschlicherweise geheime Militärpläne mitgeteilt hatten. Anstatt den Fehler einzugestehen, griff Trump The Atlantic an und bezeichnete die Redakteur*innen als Versager*innen.

Wenn ein Gaslighter im Oval Office sitzt, so Wehner, „werden die Schrecken, die normalerweise eine Einzelperson heimsuchen, auf eine ganze Nation übertragen.” In diesem Zusammenhang besteht das Ziel darin, das Vertrauen in die Institutionen zu untergraben. Wie Wehner argumentiert, „ist das ultimative Ziel, die Zivilgesellschaft zu spalten und zu schwächen und so ihre Fähigkeit zur Mobilisierung und zum Zusammenhalt zu untergraben.”

Gaslighting und Post-Truth

Gaslighting ist eng mit einem anderen Konzept verbunden, das in den letzten Jahren populär geworden ist: das der Post-Wahrheit. Die Forscherin Natascha Rietdijk stellt eine Verbindung zwischen den beiden Phänomenen her, weil sie jeweils sowohl unser Vertrauen in uns selbst als Subjekte des Wissens als auch unsere epistemische Autonomie (d. h. die Überzeugung, dass wir die Vertrauenswürdigkeit anderer gut beurteilen können) untergraben.

Wie beim Gaslighting wird auch beim Post-Truth die Wahrheit zu einer zweitrangigen Angelegenheit, während Appelle an Gefühle und persönliche Überzeugungen wichtiger werden als Fakten.

Obwohl Gaslighting jeden treffen kann, gibt es laut Rietdijk Gruppen, für die die Gefahr größer ist: „Menschen, die in der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, sind anfälliger, weil sie sich stärker in asymmetrischen Machtverhältnissen befinden und weil sie möglicherweise dahingehend sozialisiert wurden, weniger selbstbewusst und bescheidener/selbstkritischer zu sein (z. B. Frauen, sehr alte oder junge Menschen, Behinderte, ethnische Minderheiten.” Das bedeutet nicht, dass es für eine weniger mächtige Person unmöglich ist, eine mächtigere Person zu blenden, betont Rietdijk, aber dieser Mechanismus ist viel unwahrscheinlicher.

Ein Machtungleichgewicht und ein problematisches Verhältnis zur Wahrheit sind ebenfalls Merkmale politischer Propaganda. Aber wie subtil auch immer, es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Propaganda und Gaslighting: „Bei Propaganda geht es oft darum, eine Basis durch emotionale Ansprache und Wiederholung zu mobilisieren. Gaslighting dagegen untergräbt die Fähigkeit dieser Basis, ihrem eigenen Urteil zu vertrauen - und untergräbt damit genau die Instrumente, die Bürger*innen nutzen, um sich ein Bild von der Welt zu machen”, erklärt Stern. In diesem Sinne ist politisches Gaslighting eine Form der epistemischen Gewalt: „Es schafft eine Gesellschaft, in der die Wahrheit zersplittert ist und sich Einzelpersonen ihres Gleichgewichts unsicher sind und deshalb für autoritäre Erzählungen empfänglicher werden.”

Rietdijk fügt hinzu, dass politisches Gaslighting, anders als Propaganda, nicht darauf abzielt, Menschen zu überzeugen oder ihr Verhalten zu ändern, sondern sie zu überwältigen und zu desorientieren, indem sie „die Wahrscheinlichkeit, zu handeln (Kritik zu äußern, Widerstand zu leisten), deutlich verringert.”

Wie sollte man darauf also reagieren? Gaslighting funktioniert, wenn das Opfer es nicht als solches erkennt, erklärt Rietdijkk. Während ein Aufbegehren gegen Gaslighting im privaten Bereich das Risiko der Isolation mit sich bringt, „hat der politische Bereich den Vorteil, dass eine Isolation schwieriger zu erreichen ist und die Möglichkeit für kollektiven Widerstand und Solidarität besteht.”

Für Rietdijkk ist es außerdem wichtig, „Gaslighting immer wieder anzuprangern, wenn man es bemerkt. Sich zu weigern, mitzuspielen und eine andere Sprache zu sprechen ist eine wichtige politische Strategie. Es ist besser und effektiver, zu versuchen, ein alternatives Narrativ zu schaffen.”

👉 Originalartikel im Green European Journal 
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