In mehreren europäischen Ländern wurden Künstler wegen Gotteslästerung angeklagt und verurteilt. Während Irland gerade ein Gesetz gegen Blasphemie verabschiedet hat, verteidigt Frankreich gewissenhaft die Trennung zwischen Kirche und Staat. Die Auffassungen in Sachen Meinungsfreiheit gehen in der Europäischen Union also deutlich auseinander. Aber davon soll die Außenwelt natürlich nichts merken.
Vor vier Jahren sorgten die in der Jyllands-Posten veröffentlichten Mohammed-Karikaturen für viel Aufregung. Jedoch fehlte es damals an einer einheitlichen Stellungnahme der europäischen Spitzen, die sich gemeinsam für die Meinungsfreiheit hätten einsetzen können.
Ein Mosaik aus unterschiedlichen Gesetzeslagen und Standpunkten
Anstelle dessen überflutete man uns mit gut gewichteten Erklärungen: Einerseits bedauerte man, dass die Karikaturen als Beleidigung wahrgenommen wurden. Andererseits wies man darauf hin, dass eine freie und unabhängige Presse eben "eines der Grundprinzipien unseres Europas" sei. Als – einhellige aber dennoch sehr vorsichtige – Schlussfolgerung der Europäischen Union fällte man folgendes Urteil: Die Veröffentlichung der Karikaturen war ganz sicher rechtmäßig, aber eben leichtsinnig. Aus politischer Sicht wäre es allerdings noch törichter, wenn man sich den verschiedenen europäischen Meinungsfreiheits-Gesetzen widmen würde. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von sich widersprechenden Interpretationen. Ein wahres Mosaik.
Im vergangenen Jahr erließ Irland ein Gesetz, das eine Strafe von bis zu 25.000 Euro für Gotteslästerer vorsieht, die absichtlich die Anhänger einer Religion beleidigen. Daraufhin protestierten Atheisten und gemäßigte Gläubige lauthals gegen das, was sie eine mittelalterliche Gesetzgebung nennen. Andere fragten sich, warum der Gesetzestext gerade zu diesem Zeitpunkt verabschiedet wurde. Der Chefredakteur der Irish Catholic erklärte, dass dies sicherlich daran liegt, dass ein neuer "Karikaturen-Skandal" Irland schaden könnte. Die Zeitungen sollten also dazu angeregt werden, vorher darüber nachzudenken, ob sie solche Inhalte veröffentlichen. 2005 entschied ein griechischer Richter, dass der Comic Das Leben des Jesus Gotteslästerung sei, weil er Jesus als Marihuana rauchenden Hippie karikierte. Gegen den österreichischen Comic-Zeichner Gerhard Haderer wurde ein europaweiter Haftbefehl erlassen. Er wurde aber freigesprochen.
Europäische Doppelzüngigkeit
In Polen verurteilte man die Künstlerin Dorota Nieznalskazu sechs Monaten gemeinnütziger Arbeit. Ihre Installation [mit dem Titel Passion zeigte ein Kreuz, auf dem das Bild eines Penis zu sehen war] griff den Männlichkeitskult der katholischen Kirche an. Und auch in Frankreich – dem Land, das seit der Revolution einen Propagandafeldzug für eine streng laizistische Gesellschaft führt – wurde eine Werbekampagne verboten, die Jesus von leichtbekleideten jungen Mädchen umgeben zeigte.
Jedoch will kein einziges europäisches Land ein anderes öffentlich beschuldigen, die demokratischen Grundprinzipien nicht zu respektieren. Schließlich würde man damit einen diplomatischen Streit auslösen und dazu beitragen, dass die so einheitlich gegen den Rest der Welt stehende europäische Front zerbricht. Aus diesem Grund fällt es den europäischen Spitzenpolitikern so schwer, eine unmissverständliche Position einzunehmen und der Kritik aus der muslimischen Welt die Stirn zu bieten. Für diese zeichnet sich die Europäische Union in Sachen Meinungsfreiheit nämlich vor allem durch ihr doppelzüngiges Gerede aus.
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Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.
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