Erinnerungsfoto vor der vermeintlichen Erfolgsstory: Der Fyra am Tag der Einweihung am Amsterdamer Centraal. 9. Dezember 2012

Hochgeschwindigkeitsfiasko in Benelux

Nach nur sechs Wochen auf der Strecke und einer unglaublichen Pannenserie hat Fyra, der brandneue Hochgeschwindigkeitszug zwischen Amsterdam und Brüssel, Fahrverbot. Ein Flop, der die Frage aufwirft, wie die Vereinbarungen bei solchen Infrastrukturprojekten zustande kommen.

Veröffentlicht am 22 Januar 2013
Erinnerungsfoto vor der vermeintlichen Erfolgsstory: Der Fyra am Tag der Einweihung am Amsterdamer Centraal. 9. Dezember 2012

Mit seiner Aussage, es sei wirklich „zum Kotzen“, hat der Topmann der belgischen Bahngesellschaft NMBS Marc Descheemaeker wahrscheinlich die Gefühle vieler Reisender über den ganz „Hochgeschwindigkeitszug“ Fyra auf den Punkt gebracht. Der NMBS-Chef ließ gestern in der TV-Sendung „Der siebente Tag“ auf dem Sender VRT seiner Wut freien Lauf.

Fyra, eigentlich ein Schnellzug zwischen Amsterdam und Brüssel, sei ein Fiasko. Pünktlich war die Verbindung von Anfang an nicht, und seit dem vergangenen Wochenende fährt der Zug überhaupt nicht mehr, eine Situation, die vielleicht noch Monate andauern könne.

Schwan auf dem Gleis

Mal war es ein Schwan auf dem Gleis, mal waren es technische Störungen in Rotterdam. Dann wieder waren es Fehler beim Leitsystem, der die Züge verzögerte oder unterwegs zum Stillstand brachte. Und nun sind auch noch besorgniserregende Materialmängel bei den Fahrzeugen, den Fyra-V250, festgestellt worden. Die Züge sind offenbar nicht gegen Eis auf den Schienen gewappnet. Auf der Strecke ist sowohl ein Blechteil als auch ein Kühlergrill eines Fyra gefunden worden. Kein Wunder, dass der Sicherheitsdienst der belgischen Bahn ein Fahrtverbot verhängt hat.

Mit dem anklagenden Finger wird nun auf den Hersteller gezeigt, das italienische Unternehmen AnsaldoBreda, welches sich bereits entschuldigt hat. Fragt sich nur, warum sich die Bahngesellschaften NS-Hispeed und NMBS für diesen Hersteller entschieden haben und nicht für einen der bekannteren, deren Fabrikate auf europäischen Schienennetz fahren. Ein klassischer Fall von „lieber billig als solide kaufen“, wie es scheint.

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Lieber billig als solide kaufen

Die niederländische Staatssekretärin für Infrastruktur, Wilma Mansveld (Partei für Arbeit, PvdA) macht sich nun für einen alternativen Zugdienst stark, wie in einem Schreiben vom 22. Januar an das Abgeordnetenhaus zu lesen ist, das sie dem Unterhaus vorlegte. Die Geduld, die sie den Anfangsproblemen gegenüber brachte sei am Ende. Sie werde alles tun, damit sich die Betreiber an ihre Zusagen halten. Entweder gebe es die versprochene Hochgeschwindigkeit, oder aber man werde die Konzessionen neu verhandeln.

Das ist wohl auch das Mindeste, was sie tun kann. Ebenso wie die gründliche Untersuchung dieses Fiaskos, die sie von NS-Hispeed und NMBS fordert. Was bedeutet, dass das belgisch-niederländische Abkommen über den Hochgeschwindigkeitszug, das ohnehin noch nie von größerer Anpassungsfähigkeit gekennzeichnet war, erneut aufgerollt werden muss.

Die Zukunft des Fyra steht dabei auf dem Spiel. Lasst sie zur Erkenntnis kommen, dass die Fahrgäste eine Dienstleistung wünschen, die hält, was sie verspricht. Denn letztlich ist Zuverlässigkeit erheblich besser, als die leeren Versprechungen hoher Geschwindigkeit.

Analyse

Fiasko mit Ansage

Bereits im Dezember sprach Le Monde vom „Fluch des Benelux-Zugs“ an, der nur ein paar Tage nach seinem Start den Hochgeschwindigkeitszug Fyra zu treffen schien. Der Nachfolger des Bummelzugs, der 55 Jahre lang Amsterdam mit Brüssel (210 Km) in drei Stunden verband, „wird von NS-Highspeed — einer Kooperation der niederländischen Bahn NS und der Fluggesellschaft KLM — und der belgischen NMBS/SNCB betrieben“, schreibt die Tageszeitung und listet die Probleme auf, von denen die Zugverbindung seit dem ersten Tag geplagt wird: Verspätungen, Ausfälle, Pannen... Man habe den Eindruck, man stünde vor einer Art „industrieller Katastrophe“, die —

... für die Fahrgäste aus Belgien und den Niederlanden umso weniger komisch ist, als die Preise nach Stilllegung des Benelux — eine Mini-Revolution und eine Entscheidung, zu der sie niemand um ihre Meinung gefragt hat — rasant in die Höhe geschossen sind.

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