Am Set von „The White Queen“, Rathaus von Brügge, Oktober 2012.

Hollywood an der Nordsee

Unberührte Landschaften als Filmkulisse, Steuervorteile und kompetente Techniker... Belgien ist in nur wenigen Jahren ein beliebter Drehort für den europäischen Film geworden.

Veröffentlicht am 12 Oktober 2012 um 14:22
Am Set von „The White Queen“, Rathaus von Brügge, Oktober 2012.

Sie trägt ein beigefarbenes Kleid mit einem passenden, vorne gekreuzten Pulli darüber und zündet sich eine Zigarette an. Die Herzogin von York macht Pause. Sie dreht schon seit dem frühen Morgen und die Tage sind lang im Rathaus von Brügge. „Ich bin Mutter von drei Söhnen“, erzählt sie. „Was soll ich machen? Nun, nichts anderes als den ganzen Tag mir schlimme Verschwörungen auszudenken.“ Sie grinst und geht zurück an den Set.

„Heute ist ein wichtiger Tag“, sagt Deborah Goodman, die Pressesprecherin, um zu erklären, warum soviel (nicht allzu gut riechendes) Essen auf dem Tisch steht. „Wir feiern Weihnachten. Der Herzog von Warwick ist gerade heimgekehrt, nachdem er den Vater von Elizabeth umgebracht hat. Die Atmosphäre ist angespannt, das kann man schon sagen.“

Wir sind am Set von „The White Queen“, einer zehnteiligen BBC-TV-Serie für den weltweiten Vertrieb. Mit einem Budget von 22 Millionen Euro für zehn Folgen, ist das solide Arbeit. Aber warum die Presse heute Zugang zum Dreh bekommt, hat einen anderen Grund: Die Serie, gut 125 Drehtage, wird vollständig in Flandern aufgenommen.

Der gotische Saal des Rathauses wird heute zum Westminster Palace. Die Heilig-Geist-Straße wird zu einer mittelalterlichen Straße Londons. Die Liebfrauenkiche ist die Westminster Abbey und die Heilig-Blut-Kapelle der Tower of London.

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Krönung der Arbeit

Auch in Ypern, Rumbeken Damme und selbst am Flughafen von Ursel wird gedreht — an 23 Locations, allein für die ersten drei Folgen. Und was fehlt wird in den nächsten Wochen in der benachbarten Philips-Fabrik nachgebaut. Ist Flandern so ein bisschen Hollywood an der Nordsee geworden?

Gestern war ein arbeitsreicher Filmtag in Flandern. In Ostende wurde die belgisch-britische Koproduktion Third Wave gedreht. In Berigen arbeitete Stijn Coninx am italienisch-flämischen Film Marina. In Antwerpen, Geringen, Gent und Lanaken standen TV-Serien auf dem Programm. Das ist nichts Außergewöhnliches, denn die Regionen Flandern und Wallonien sind dank dreier Trümpfe für die Filmindustrie zu attraktiven Standorten geworden: Hier finden Filmemacher massenweise Drehorte, es gibt qualifiziertes technisches Personal und vor allem einen finanziellen Köder: Tax Shelter.

The White Queen ist die zweifellos die Krönung der Arbeit aus den vergangenen Jahren. „Sie haben lange zwischen Irland und Flandern gezögert“, weiß Eurydice Gysel der Produktionsfirma Czar TV. „Das System „Tax Shelter“ [ein steuerlicher Anreiz zur Förderung der Filmproduktion] hat den Zuschlag gegeben. Aber auch die Tatsache, dass es viele authentische Locations gibt und eine große Freiheit beim Drehen. Es ist Qualitätsfernsehen: Man arbeitet mit authentischem Dekor und mit vielen Außenaufnahmen, was sehr teuer ist. In London finden die Filmteams nicht mehr die Locations, so wie sie sein sollen. In Brügge gibt es aber noch die vielen Gebäude aus dem 15. Jahrhundert, die sie brauchen.“

Um vom Tax Shelter zu profitieren — einer Steuerbefreiung in Höhe von 150 Prozent auf das investierte Kapital — muss eine ausländische Produktionsfirma einen belgischen Partner haben. „Wales schickt sich an, ein ähnliches System einzurichten“ höre ich. „Großbritannien will seine BBC-Serien wieder mehr im Inland drehen.“ Aber Flandern wacht. Bald wird hier „Screen Flanders“ gestartet, eine steuerliche Reaktion auf den Kapitalanlagefonds Wallimage [der Filmförderung Walloniens], der für die Produzenten zurückzahlbare Vorschüsse vorsieht. Flandern hofft damit, den Wegzugeffekt, insbesondere der Postproduktion, nach Wallonien zu stoppen.

Optimismus in Finanzkreisen

„Parade’s End und The White Queen sind zwei Produktionen, die uns viel Gutes tun“, sagt Katrien Maes der Firma Location Flanders. „Wir haben viel Know-how und die Produzenten finden, dass unsere technischen Teams sehr flexibel und vielseitig einsetzbar sind. Wir verfügen auch über sehr viele Locations auf sehr kleinem Raum. Das sind Eigenschaften die sich schnell herumsprechen, denn es ist eine kleine Welt.“

Auch in Finanzkreisen herrscht Optimismus. „Wir sind die einzigen, die mit einem „blind fonds“ arbeiten, einem System, indem wir für unsere Kunden investieren, ohne dass sie wissen für welche Produktion. Damit ist das Geld sofort verfügbar. Seit gut einem Jahr ist dies System auch im Ausland bekannt und wir merken die steigende Nachfrage“, erklärt David Claikens vom Fortis Filmfonds der Bank BNP Paribas.

Das Prestige und die kommerziellen Aussichten von The White Queen haben es dem Projekt ermöglicht vom höchsten Tax-Shelter-Betrag zu profitieren, der jemals zugesprochen wurde. Wie viel? „Das darf ich nicht sagen, aber es ist fast das Maximum, was möglich ist.“ Was heißt, satte 10 Millionen Euro.

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