Nachrichten Europäischer Verteidigungsfonds und Waffenverkäufe

Ist eine neue EU-Verteidigung auf dem Weg?

Die Schaffung eines 13,6 Milliarden Euro kostenden Programms für den Europäischen Verteidigungsfonds kann das Wesen der Europäischen Union als Friedensprojekt grundlegend in Frage stellen. So könnten Waffen bereitgestellt werden, bevor eine Armee gebildet, und sogar ein politischer Rahmen dafür geschaffen wird. Dies wäre ein Beitrag zu einem neuen Rüstungswettlauf, meint die Zivilgesellschaft.

Veröffentlicht am 1 Juli 2019 um 08:41

Vor fünf Jahren hielt Barack Obama an der National Defense University seine erste große Rede über die Terrorismusbekämpfung seiner zweiten Amtszeit und kündigte einen Wandel in der Nutzung von Drohnen durch die Regierung an. Er erklärte: „Zu behaupten, dass eine militärische Taktik legal oder gar wirksam ist, bedeutet nicht, dass sie in jedem Fall vernünftig oder moralisch ist. Denn der gleiche menschliche Fortschritt, der es uns dank der Technologie ermöglicht, eine halbe Weltreise entfernt zuzuschlagen, erfordert auch die Disziplin, diese Macht einzuschränken – oder das Risiko in Kauf zu nehmen, diese zu missbrauchen.“

Der ehemalige US-Präsident hätte genauso gut über die Zukunft sprechen können: Erst kürzlich hat das Militär zugegeben (nachdem es dies zunächst geleugnet hatte), dass eine Frau und ein Kind im vergangenen Jahr bei einem amerikanischen Luftangriff in Somalia getötet wurden. Seit seiner Rede hat nicht nur ein neuer Präsident sein Amt in den USA angetreten, sondern die Vorgehensweise der Kriegsführung hat sich weltweit weiterentwickelt, und Drohnen, die für die Kriegsführung mit Fernbedienungen eingesetzt werden, sind trendiger geworden.

Mit der Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) und einem Programm in Höhe von 13,6 Milliarden Euro bis 2027 könnte sich die derzeitige Situation weiter ändern. Experten des Friedensforschungsinstituts in Oslo (PRIO) schrieben, dass der EVF „das Potenzial besitzt, das Wesen der Europäischen Union als Friedensprojekt grundlegend in Frage zu stellen“.

Was sind aber die eigentlichen Argumente für die Entwicklung einer neuen und europäischen Verteidigung? Und was unternimmt die Zivilgesellschaft, um die EU zur Verantwortung zu ziehen?

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Es gibt unterschiedliche Meinungen über die Investitionen der EU in die militärische Forschung. „Ich denke, dass Investitionen in Forschung und Entwicklung auch im Bereich der Verteidigungstechnologien nicht unbedingt eine schlechte Sache sind“, sagt Bruno Oliveira Martins, leitender Forscher am PRIO. „Damit jedoch akzeptabel ist, dass so viel Geld ausgegeben wird, sollte es mehr Transparenz geben. Die Menschen sollten die Regeln kennen, nach denen die Mittel zugewiesen werden, oder die Regeln, nach denen die Projekte ausgewählt werden. Es sollte sehr wichtig sein, dass sowohl das Europäische Parlament als auch die nationalen Parlamente besser informiert werden als bisher.“

Die Europäische Union hat 2015 begonnen, gezielt Projekte rund um unbemannte Systeme und verwandte Technologien zu unterstützen. Ein großer Teil der Mittel fließt in maritime unbemannte Systeme, insbesondere in Seedrohnen im Mittelmeer. Bisher wurden die Mittel für etwas verwendet, das als „Sicherheit“ bezeichnet wurde, aber sie wurden nie explizit an Drohnen für militärische Zwecke zugewiesen. (Siehe EDJNet-Artikel dazu.)

Die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, hat im Juni 2018 die Einrichtung der Europäischen Friedensfazilität (European Peace Facility) vorgeschlagen. Diese Operation öffnete die Tür zu einer breiteren Beteiligung der EU an der Unterstützung der Sicherheitskräfte, auch durch die Bereitstellung von Mitteln zur Unterstützung des Erwerbs tödlicher Waffensysteme und der Bereitstellung von Ausbildung, Ausrüstung oder Infrastruktur.

Der brandneue Verteidigungsfonds, der von der Generaldirektion GROW in der Kommission bereitgestellt wird, wird zwischen vier und acht Prozent des Gesamtbetrags für „disruptive, risikoreiche Innovationen bereitstellen, die Europas langfristige technologische Führungsrolle und Verteidigungsautonomie stärken“ sollen. Es ist nicht klar, was als „disruptive Technologie“ gilt, d. h. ein Konzept, das von dem amerikanischen Wissenschaftler, Unternehmensberater und religiösem Oberhaupt Clayton M. Christensen im Gegensatz zu dem einer „tragenden Technologie“ (sustaining technology) eingeführt wurde. In der Verordnung des EVF wird eine „disruptive Technologie für die Verteidigung“ im Wesentlichen als eine Technologie definiert, die einen radikalen Wandel veranlasst, oder sogar einen Paradigmenwechsel in der Konzeption und Durchführung von Verteidigungs-Angelegenheiten darstellt.

 

Mangelnde Transparenz

Oliveira Martins und Raluca Csernatoni, letztere vom Institut für Europastudien der Vrije Universiteit Brussel, untersuchten den EVF in einem Kurzdossier, das aufzeigt, wie sehr eine bestimmte Unklarheit ein wiederkehrendes Problem ist.

Die Europäische Kommission hat auch keine spezifischen Leitlinien vorgelegt, sondern Anträge für „[i]novative Verteidigungserzeugnisse, -lösungen, -materialien und -technologien“ gestellt, und dann 34 Beispiele für das aufgezählt, was unter diese Beschreibung fällt, darunter die „Entwicklung der Fähigkeit von Counter-UAS auf der Grundlage von Mini-UAS-Schwärmen“ [UAS für Unmanned Air System, d. h. unbemannte Flugsysteme, d.h. Drohnen]. In einer 2017 erschienenen Ausgabe der von der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) veröffentlichten Zeitschrift wurden die zehn wichtigsten bahnbrechenden Innovationen im Verteidigungsbereich identifiziert, darunter das autonome Verteidigungssystem, Waffen und Entscheidungsfindungssysteme.

Im Rahmen dervorbereitenden Maßnahmen zur Verteidigungsforschung gibt es zwei Themen zu disruptiven Verteidigungstechnologien: Für ein Thema gibt es eine Ausschreibung für die Nutzung entstehender Technologien wie Quantentechnologien oder künstliche Intelligenz für Verteidigungsanwendungen. Das andere Thema ist ein Aufruf für eine hochmoderne, risikoreiche und hochpräzise Forschung, die zu einer grundlegenden und wegweisenden Veränderung in einem realistischen Verteidigungskontext führen würde.

Eine gute Formulierung wäre „militärische Ausrüstung und Technologien“, d.h. alles von der Patrone bis zur Schusswaffe und dem System zur Identifizierung des Ziels. Dies ist zwar etwas, was die EU-Mitgliedstaaten seit jeher brauchten, um sich und ihre Interessen zu schützen, aber die Notwendigkeit wurde auch durch die anhaltende Instabilität an den Grenzen, sowie die Unsicherheit um die Unterstützung der USA innerhalb der NATO verschärft.

Tatsächlich hat der stellvertretende Generalsekretär für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und die Krisenreaktion beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), Pedro Serrano, die Perspektive einer starken Union gefördert. In einem Papier mit dem Titel „The bundle of sticks: a stronger European defence to face global challenges“ erwähnt Serrano zwei weitere von der EU entwickelte Instrumente zur Förderung und Unterstützung der Zusammenarbeit: Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ), mit der sich die Staaten verpflichtet haben, mehr in die Verteidigung zu investieren und dies gemeinsam zu tun, sowie die Coordinated Annual Review on Defence (CARD), ein regelmäßiges Verfahren zur Überwachung der nationalen Verteidigungspläne. „In Anbetracht der Art und des Umfangs der Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, ist es klar, dass nur gemeinsam agierende EU-Mitgliedstaaten in der Lage sein werden, diese auf sich zu nehmen. Nur gemeinsam werden sie über eine effektive Kapazität verfügen, um es mit anderen großen Weltmächten aufnehmen zu können“, erläutert er.

Cet article est publié en partenariat avec the European Data Journalism Network

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