Im Gebirgszug der Pienien im Süden Polens.

Kein Eldorado an der Weichsel

Seit den Neunzigerjahren haben sich Hunderte von Landwirten aus ganz Europa und insbesondere aus den Niederlanden in Polen niedergelassen, weil dort Ackerland so günstig war. Doch nun will Warschau kleine lokale Betriebe fördern, was die ausländischen Landwirte benachteiligt.

Veröffentlicht am 2 August 2011 um 13:17
Im Gebirgszug der Pienien im Süden Polens.

„Ich heule jeden Tag“, sagt die junge Mutter Anna Pakos lachend. Acht Stunden pro Tag, fünf Tage die Woche, pellt sie auf einem Bauernhof im Dörfchen Zabice Zwiebeln. Der Schuppen, in dem sie arbeitet, steht voll mit Zwiebelkisten. Nach fünf Minuten kullern ihr die Tränen aus den Augen. „Aber das dauert nicht lange“, versichert Anna. „Den Rest des Tages hab ich dann Ruhe.“

In einem anderen Raum warten noch ein paar Dutzend mannshohe Säcke auf Anna. Doch das macht Anna nichts aus. Sie ist glücklich, sagt sie. „Ich bekomme zwei Euro pro Kiste und pelle fünfzehn Kisten am Tag.“ Somit verdient sie weit mehr als den polnischen Mindestlohn, der bei rund 350 Euro pro Monat liegt.

Anna arbeitet mit vierzig weiteren, meist weiblichen, Schälern für den niederländischen Landwirt Derrec Bac. Der Achtundzwanzigjährige gehört zu den Hunderten von niederländischen Bauern, die sich in den letzten Jahren in Polen niedergelassen und dort florierende Betriebe aufgebaut haben. Sein Vetter Arnold Bac (30), der seit den Neunzigerjahren im Land ist, macht auch gute Geschäfte. Aber die Aussichten sind nicht mehr so gut wie früher.

Politische Flurbereinigung zu Gunsten der Kleinen

Die staatliche polnische Agentur für Landwirtschaft fährt in der Tat dieser Tage eine Politik der Entmutigung, insbesondere für ausländische Landwirte. Die Agentur besitzt das meiste Ackerland und verpachtet es. Ausländer dürfen kein Land kaufen (auch wenn diese Regel leicht zu umgehen ist, beispielsweise, indem man in eine polnische Familie einheiratet). Laufen die Pachtverträge aus, werden sie nicht mehr wie früher um fünfzehn, sondern um nur ein oder zwei Jahre verlängert.

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Die Agentur nutzt die Gelegenheit, um einen Teil des gepachteten Lands zurückzunehmen und unter polnischen Bauern aufzuteilen, damit diese der Konkurrenz besser widerstehen können.

„Sehr schwierig“, sagt Arnold. „Das macht den Betrieb weniger rentabel. Auf der anderen Seite kann ich die Leute auch verstehen. Hier im Dorf gibt es landwirtschaftliche Großbetriebe, die alles aufkaufen, was nicht niet- und nagelfest ist. Da können die Polen nicht mithalten.“ Er erklärt, dass die Agentur seit eh und je das Recht hat, zwanzig Prozent des Pachtlands zurückzufordern, doch seit einem Jahr macht sie von diesem Recht systematisch Gebrauch.

Der Hintergrund dieser Flurbereinigung ist politisch. Das polnische Parlament arbeitet derzeit an einem Gesetzentwurf zur Begrenzung der Größe landwirtschaftlicher Betriebe. Wer eine bestimmte Größe überschreitet, muss sein Land abgeben, damit es an Kleinbetriebe vergeben werden kann. Es sollen so mittelfristig mehr mittlere landwirtschaftliche Betriebe entstehen. Nach polnischen Kriterien in einer Größenordnung zwischen 10 und 50 Hektar. Das Gesetz ist noch (lange) nicht verabschiedet, doch die Agentur tut so als ob.

Großbetriebe geben den schlechtesten Boden ab

Im Wesentlichen zielt das Gesetz darauf ab, den Agrarsektor zu sanieren. Es gibt in Polen rund 2,4 Millionen Bauern, die meisten besitzen nicht mehr als ein oder zwei Hektar. Ein äußerst ineffizientes System. Experten geben an, dass nur 400.000 Betriebe überlebensfähig seien. Dabei stellt der Sektor rund 4 Prozent des BIP und 20 Prozent der Beschäftigung in Polen dar. Reformen sind also notwendig — und Polen bekommt dafür hohe EU-Subventionen.

Arnold selbst hat so 200 seiner 1600 Hektar Land verloren. Er ist der Agentur zuvorgekommen und hat sich von sich aus bereit erklärt, einen Teil seines Lands abzugeben — den schlechtesten Boden. Andere Bauern, die nur über exzellentes Ackerland verfügen, haben da in der Praxis mehr Schwierigkeiten.

Die meisten der paar Hundert niederländischen Bauern, die in den vergangenen zwanzig Jahren nach Polen gegangen sind, sind mittlerweile heimgekehrt. Aus dem einfachen Grund, dass, obwohl der Boden hier spottbillig ist, eine intensive Landwirtschaft nach niederländischem Modell in Polen unbezahlbar ist. In den Niederlanden bewirtschaften die Bauern oftmals nur ein paar Hektar, während es in Polen manchmal 30 bis 40.000 Hektar sind. Die Kosten für Dünger und Pestizide sind da beträchtlich.

Ein weiteres Problem der ausländischen Bauern ist, dass sich die Agentur nach dem politischen Wind dreht. Der aktuelle Gesetzentwurf wird von der Polnischen Bauernpartei (PSL) unterstützt, dem kleinen Koalitionspartner der Regierungskoalition. Die Bürgerplattform hingegen, die Regierungspartei von Ministerpräsident Donald Tusk, steht eher auf der Seite der Großbetriebe. Im Oktober werden die Parlamentswahlen stattfinden, da könnte sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Parteien verschieben.

Aus dem Niederländischen von Jörg Stickan

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