Nachrichten Konferenz zur Zukunft Europas

In diesem Krieg stellt sich die Frage: Wie soll das Europa von morgen aussehen?

Im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas haben Bürgerinnen und Bürger selbst politische Handlungsempfehlungen entwickelt und darüber abgestimmt. So entstand eine finale Liste mit 178 Forderungen für die Zukunft der EU, wenige Tage vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine.

Veröffentlicht am 21 März 2022 um 15:55

Niemand der Teilnehmer in Dublin hatte erwartet, den ersten Tag der Besprechungen, am 25. Februar, mit Anti-Kriegs-Protesten zu verbringen. Doch nur einen Tag zuvor fiel Russland mit massiven Militäraktionen in die Ukraine ein. Aus Kiew, Charkiw, Odessa und dem Donbass wurden Explosionen gemeldet. Zu diesem schmerzlichen Zeitpunkt der Geschichte sollten die 200 EU-Bürger eigentlich ihre Zukunftsvisionen formulieren. Sie begannen jedoch damit, blau-gelbe Flaggen am Dubliner Schloss anzubringen und sich damit in die europaweit stattfindenden Demonstrationen einzureihen.

Wahrscheinlich wird die Zivilgesellschaft, die plötzlich durch die dramatischen, und gefährlich nahen Ereignisse zum Handeln gezwungen ist, nun den einzig möglichen Weg für Europa einschlagen.

Das Bürgerforum in Dublin war die letzte der vier Tagungsrunden und nur eines der zahlreichen Elemente der Konferenz zur Zukunft Europas (CoFoE). Wie die vorhergegangenen, endete auch dieses Forum mit einer Abstimmung über die besten Empfehlungen an die EU-Institutionen.

Die Teilnehmer haben sich mit einer Vielzahl an Themen beschäftigt: von der Stärkung der Wirtschaft, über soziale Gerechtigkeit, Arbeitsstellen, Bildung, Kultur, Sport bis zum digitalen Wandel. Aus dieser Vielfalt ragen einige besonders relevante Vorschläge hervor.

Einer davon ist die Einführung eines europaweiten Mindestlohns, der die Lebensqualität in den Mitgliedstaaten auf einem ähnlich hohen Niveau stabilisieren soll. Im Allgemeinen wurde das Thema Arbeit viel diskutiert: die Bürger forderten eine genauere gesetzliche Regelung von Smart Working, die Überarbeitung des bestehenden gesetzlichen Rahmens für Arbeitszeiten und das Recht auf Abschalten. Im Themenbereich soziale Gerechtigkeit forderten 78 % der Beteiligten ein Eingreifen der EU für einen erleichterten Zugang zu Palliativpflege und Sterbehilfe.

Der Vorschlag, der mit 95 % am meisten Zustimmung bekam, umfasste die Verstärkung der EU-Befugnisse zur Bekämpfung von illegalen Online-Inhalten und Cyber-Kriminalität. Außerdem solle Brüssel die Sensibilisierung für Fake-News bereits ab dem Schulalter voranbringen. 85 % der Teilnehmer stimmten für die Abschaffung von Einwegplastik und 90 % für ein transparenteres Kennzeichnungssystem für Konsum- und Ernährungsprodukte.

Beim zweiten Bürgerforum ging es um Demokratie, Werte und Rechte, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, während das dritte Bürgerforum den Klimawandel, Umwelt und Gesundheit in den Mittelpunkt gestellt hat. Im vierten Bürgerforum lagen die Schwerpunkte schließlich auf der EU in der Welt und der Migration.

Aus dem vierten Forum, das im Februar in Maastricht stattfand, gingen 40 neue Empfehlungen hervor. Darunter war der Vorschlag, das Dublin-System zu ersetzen, welches momentan dafür verantwortlich ist, dass die Mitgliedstaaten an der EU-Außengrenze die meisten der EU-Asylanträge bearbeiten müssen. Hierbei forderten die Bürger außerdem schnellere und einheitlich genormte Verfahren. Obwohl die Idee einer europäischen Armee auf Ablehnung traf, wurde die Schaffung von „Gemeinsamen Streitkräften der EU“, die „in erster Linie zur Selbstverteidigung“ genutzt werden und „die Fähigkeit zur Unterstützung in Krisenzeiten, wie z. B. bei Naturkatastrophen“ stärken sollten, befürwortet.

Die Empfehlungen des im Januar in Warschau gehaltenen dritten Bürgerforums beinhalten: den Kampf gegen die geplante Obsoleszenz von Produkten, die Erhöhung der Subventionen für Biolandbau, die Einführung von Qualitätsnormen für Lebensmittel, eine Verpflichtung zur Nutzung von CO2-Filtern sowie Investitionen in grünen Wasserstoff. Im Bereich der Gesundheit wurde vorgeschlagen, eine gemeinsame europäische Gesundheitsdatenbank zu schaffen, die Zuständigkeiten der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zu erweitern, die Steuern auf hormonelle Verhütungsmethoden zu senken sowie die Themen psychische Gesundheit und Sexualerziehung in die Schulbildung aufzunehmen.

Im Dezember hatten sich die Teilnehmenden des zweiten Forums in Florenz auf 39 Empfehlungen geeinigt, darunter eine Erweiterung der Bürgerrechte und die Verbesserung der Möglichkeiten für junge Menschen.

Bei der finalen Diskussion in Straßburg am 11. und 12. März standen auf der Tagesordnung insgesamt 178 Vorschläge, die im Abschlussbericht vom 17. März festgehalten wurden. Damit ist die Konferenz zur Zukunft Europas jedoch noch nicht beendet.


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Im Gegenteil, denn „die Bürger werden weiterhin am Entscheidungsprozess teilhaben, sie sollen sich nicht wieder in alle Ecken Europas verteilen und von der Bildfläche verschwinden“, sagte Guy Verhofstadt, einer der drei Co-Vorsitzenden der Konferenz in Dublin und liberales Mitglied des Europaparlaments.

In dieser entscheidenden Zeit ist die Zukunft bereits angebrochen, und sie trifft auf eine starke Handlungsbereitschaft der Bürger, wenn auch nicht unbedingt der Politiker. „Gleichzeitig geht es in der Ukraine um Leben und Tod“, fügte Verhofstadt hinzu.

„Während wir versuchen, unseren Bürgern näher zu kommen, greift Putin die ukrainische Bevölkerung an, die proeuropäische Bestrebungen geäußert hatte. Dies ist ein Angriff auf unsere Werte und unsere Lebensweise“, sagte Dubravka Šuica, ebenfalls Co-Vorsitzende der Konferenz und Kommissarin für Demokratie und Demographie, in Straßburg. „Europäer zu sein bedeutet, Teil eines einzigartigen Projektes zu sein, welches allen die freie Entfaltung ihrer Potenziale und die Wahrnehmung all ihrer Rechte ermöglicht. Deswegen ist diese Konferenz jetzt, mit Hinblick auf diese schrecklichen Ereignisse, bedeutender und notwendiger als je zuvor.“


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