Ideen Geschlechtsspezifische Gewalt

Kroatien kriminalisiert den Femizid – ist Gesetzgebung die Antwort?

Die kroatische Regierung hat eine Änderung des Strafgesetzbuches angekündigt: der „Femizid“ bzw. die „schwerwiegende Tötung einer weiblichen Person“ soll fortan als eigenständiges Verbrechen gelten. Warum dies wenig an dem sozialen Klima in Kroatien ändern wird, das zu Gewalt an Frauen und anderen marginalisierten Gruppen führt.

Veröffentlicht am 22 Januar 2024 um 15:39

Im September 2023 kündigte die kroatische Regierung Änderungen am Strafgesetzbuch an: der Femizid, die „schwerwiegende Tötung einer weiblichen Person“ soll als neuer Straftatbestand eingeführt werden. Von 2020 bis Ende September 2023 wurden in Kroatien 43 Frauenmorde begangen.

Die schwerwiegende Tötung ist bereits im kroatischen Strafgesetzbuch verankert. Dabei handelt es sich nach Art. 111 Abs. 3 um die Tötung einer dem Täter nahestehenden Person, die der Täter zuvor misshandelt hat. Das Verbrechen wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 10 Jahren geahndet.

Da der kroatische Staat mehrfach unzureichend auf Fälle von Femizid reagiert hatte, forderten Frauenrechtsaktivisten die Einführung eines eigenen Straftatbestands für den Femizid. Mit der Aufnahme in das Strafgesetzbuch sollen weitere Tötungen verhindert und unmissverständlich gezeigt werden, dass die kroatische Gesellschaft keine Gewalt gegen Frauen akzeptiert.

2021 hatte die derzeitige Regierungspartei, die Kroatische Demokratische Union (HDZ), den Vorschlag zur Gesetzesänderung abgelehnt, der damals von den Sozialdemokraten eingebracht wurde. Woher also der Sinneswandel, zwei Jahre später? Die naheliegendste Antwort sind die bevorstehenden Parlamentswahlen 2024, gefolgt von den Präsidentschaftswahlen 2024 und 2025. Der derzeitige Premier Andrej Plenković stellte sich lange als gemäßigter Mitte-Rechts-Mann dar, der die EU-Politik befürwortet und mit konservativeren, rechtsextremen Figuren in Konflikt steht.

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Das verstärkte Interesse an der Kriminalisierung häuslicher und sexueller Gewalt ist also eher als nützliche politische Agenda denn als ehrliches Engagement zu deuten. 2019 nahm Plenković an der ersten Demonstration der von Prominenten angeführten Bewegung #Spasime [#RetteMich] teil. Seitdem wird das berühmteste Gesicht der Initiative, die Schauspielerin Jelena Veljača, häufig von der Regierung konsultiert.

Die Forderungen von #Spasime nach härteren Strafen für die Täter häuslicher und sexueller Gewalt wurden von der Regierung 2019 angenommen und 2020 in die Praxis umgesetzt. Feministische NGOs und Frauenhäuser feierten dies als Erfolg, ebenso wie jetzt das neue Gesetz als Fortschritt im Kampf gegen geschlechtsbezogene Gewalt hochgelobt wird.


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Meiner Meinung nach wird die Rechtsänderung jedoch nur wenig an dem gesellschaftspolitischen Klima in Kroatien ändern, in dem häusliche Gewalt gedeiht, Opfern nicht geglaubt wird und Frauen sich aufgrund wirtschaftlicher Ungleichheit nicht aus ihrer misslichen Lage befreien können. Selbst, wenn die Fälle schnell und effizient bearbeitet werden und jede Anzeige zu einer langen Haftstrafe führt, kann das Strafrecht den Überlebenden nicht geben, was sie wirklich brauchen: finanzielle Unterstützung, eine unmissverständliche gesellschaftliche Verurteilung von Vergewaltigung und Missbrauch und eine radikale Wende im Verhalten der Täter.

Gefängnisse sind keine feministische Lösung für häusliche und sexuelle Verbrechen, denn sie sind durchdrungen von Gewalt, Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Hass. Gefängnisse sind Orte, an denen Vergewaltigung strukturell normalisiert wird. Sie garantieren keine Sicherheit, denn höhere Strafen sorgen nicht für niedrigere Raten der Gewaltverbrechen.

In der Republik Jugoslawien konnten Frauen kostenlos eine Ausbildung absolvieren und dann in einem staatlich geförderten Betrieb arbeiten. Zum ersten Mal in der Geschichte der geografischen Region konnten Frauen finanzielle Unabhängigkeit erlangen. Heute sind schlecht bezahlte und prekäre Teilzeitjobs verbreitet. Diese Normalisierung der unsicheren Beschäftigung birgt für Frauen das große Risiko der wirtschaftlichen Abhängigkeit von ihren Partnern, was es ihnen erschwert, diese zu verlassen oder Fälle von Gewalt anzuzeigen.

Der Kampf gegen diese Missstände wurde fast ausschließlich auf die legale Ebene verlagert, das gewaltfördernde sozioökonomische Klima dabei vernachlässigt. Die feministische Kritik an der Haftstrafen-Logik war ein wichtiger Bestandteil des Kampfes schwarzer Frauen in den USA und im Vereinigten Königreich, die die Begriffe „abolition feminism“ und „anti-carceral feminism“ prägten. „Carceral Feminism“ bedeutet, dass die feministischen Gruppen stark auf staatliche Institutionen wie Gefängnisse und die Polizei setzen, um die Verbrechen geschlechtsbezogener Gewalt zu bekämpfen. In Südosteuropa schlägt das Feministische Autonome Zentrum für Forschung (FAC) mit Sitz in Athen nun alternative Maßnahmen vor, die nicht auf staatlicher Kontrolle, Bestrafung und Gefängnishaft beruhen.

Denn in den kroatischen Medienberichten und Meinungsbeiträgen über Femizide fehlt die Tatsache, dass Strafen nicht das gewünschte präventive Ergebnis bringen. In den Medien sind Nachrichten über häusliche Gewalt heute so präsent wie nie zuvor. Frauenorganisationen argumentieren, dass neben härteren Strafen eine ganzheitliche Prävention erforderlich ist, zu der frühzeitige Bildungsprogramme wie Staatsbürgerkunde, Gesundheits- und Sexualerziehung für Schulkinder gehören. Die sichtbarste Lobbyarbeit konzentriert sich jedoch nach wie vor auf die Strafzumessung und das Gerichtsverfahren. Es fehlen gut durchdachte und von Fachleuten durchgeführte Präventionsprogramme für Opfer und Täter. Diese scheinen jedoch zugunsten der härteren Strafen unter den Teppich gekehrt worden zu sein.

Weltweit werden Straftaten sexueller und häuslicher Gewalt zu selten gemeldet, so dass sie statistisch unterrepräsentiert sind. Frauen auf der ganzen Welt leiden unter Schuldzuweisung, Retraumatisierung, mangelnder finanzieller Unterstützung und zeit- und kostenaufwändigen Gerichtsverfahren. In Kroatien dauert ein durchschnittlicher Vergewaltigungsprozess zwischen drei und zehn Jahren. Gerichtsverfahren wegen häuslicher Gewalt sind oft mit Sorgerechtsverfahren verbunden, was die Situation für die Opfer noch grausamer macht. Überlebende laufen Gefahr, getötet zu werden, wenn sie sich endlich entschließen, ihren gewalttätigen Partner zu verlassen.

Eine im Jahr 2022 durchgeführte Umfrage ergab, dass 95 % der Frauen in Kroatien Vergewaltigungen und Vergewaltigungsversuche nicht anzeigen. Statistiken zeigen auch, dass auf jede gemeldete Vergewaltigung 15 bis 20 nicht gemeldete Fälle kommen. Viele Frauen sprechen nicht einmal mit ihren engsten Verwandten über den Missbrauch, geschweige denn mit Polizei, Staatsanwälten und Richtern.

Der Einfluss der katholischen Kirche in Kroatien und die neoliberale Agenda der Kommerzialisierung haben dazu beigetragen, dass traditionelle Geschlechterrollen fortbestehen. Die Privatisierung der Nachkriegszeit führte zu einer systematischen Kürzung der öffentlichen Gelder für Gesundheits-, Bildungs- und Sozialprogramme. Sozialarbeiter werden angegriffen, wenn Fälle von häuslicher Gewalt in den Medien aufgedeckt werden, aber es wird kaum wahrgenommen, dass das gesamte Sozialsystem chronisch ineffektiv geworden ist und den Bedürftigen nicht helfen kann.

An dieser Stelle möchte ich die sprachliche und ideologische Bedeutung der Benennung von Frauenmorden als Femizide hervorheben und die starke Botschaft, die damit an die Gesellschaft gesendet wird. Nur für die Änderung der Gesetzgebung einzutreten, bedeutet jedoch, die eigentlichen Ursachen der patriarchalen Gewalt zu ignorieren.

Von Prominenten angeführte Mittelschicht-Initiativen wie #Spasime veranschaulichen, was die Politiksoziologin Alison Phipps in ihrem Buch Me, Not You: The Trouble with Mainstream Feminism das „politische Weißsein“ nennt. Dies meint „eine Reihe von Werten, Orientierungen und Verhaltensweisen, die [...] Narzissmus, Bedrohungsbewusstsein und einen damit einhergehenden Willen zur Macht beinhalten“. Politisches Weißsein entsteht auch durch das Zusammenspiel von Vormachtstellung und Opferrolle.

Es hat seine Wurzeln in der Erfahrung von Viktimisierung, wird aber oft von privilegierten Menschen praktiziert, die den Status quo unterstützen. Dazu gehört eine Schwarz-Weiß-Sicht auf Missbrauch, bei der Menschen nur entweder Opfer oder Täter sein können, niemals beides. Der Staat wird eher als Beschützer denn als Repressor angesehen, und Beschämung und Bestrafung gelten als wirksame Strategien zur Verhinderung künftiger Gewalt.

Sozialarbeiter werden in Kroatien bei der Aufdeckung von Gewalttaten häufig beschimpft, die Polizei hingegen wird nur selten in dieser Weise behandelt. Manchmal sind Polizisten, die zur Verhaftung der Missbrauchstäter herangezogen werden, selbst auch Täter. Im August 2023 wurden zwei Polizisten wegen mehrfacher Vergewaltigung und Misshandlung einer Frau im Bezirk Lika angeklagt.

Im September 2023 wurden sie aus dem Gewahrsam entlassen, ohne einstweilige Verfügung, die es ihnen verboten hätte, sich dem Opfer zu nähern. Im Vereinigten Königreich kam es nach der Entführung, Vergewaltigung und Ermordung von Sarah Everard durch einen Polizisten zu einem Massenprotest in London, der mit weiterem brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten endete.

Nach dem Fall der Vergewaltigung durch Polizisten in Kroatien fanden keine großen Proteste statt. Auch die Verhaftung friedlicher Klimaprotestanten vor dem LNG-Terminal auf der Insel Krk wurde nicht als Missbrauch der Polizeigewalt zum Schutz privater Interessen angesehen. Und die vielen Berichte über das brutale Vorgehen der Polizisten gegen Migranten an der bosnischen Grenze scheinen ebenfalls nicht zu einer stärkeren Kontrolle der Polizei zu führen. Die Öffentlichkeit in Kroatien neigt nicht dazu, die Legitimität staatlicher Gewalt in Frage zu stellen, selbst wenn es Beweise für polizeiliches Fehlverhalten und Brutalität gibt.

Anstelle eines Fazits – ein Aufruf zum Handeln

Der liberale Feminismus in Kroatien weigert sich, die Machthaber zu kritisieren und die repressiven Organe des Staates in Frage zu stellen, weil es ihm letztlich nicht darum geht, den Status quo wirklich zu verändern. Das Strafrecht allein kann nicht für soziale Gerechtigkeit sorgen, aber es kann die schwachen Mitglieder der Gemeinschaft unterdrücken, einschließlich der Überlebenden von Missbrauch.

Probleme wie Transphobie und die Abschaffung der Sexarbeit, die einigen kroatischen Feministinnen ein wichtiges Anliegen sind, erklären zum Teil, warum sich der Mainstream-Feminismus mit dem Strafrechtssystem verbündet hat. Wenn die Befreiung aller Menschen nicht oberste Priorität hat, wird es akzeptabel, die am stärksten ausgegrenzten Mitglieder der Gesellschaft vor den Bus zu werfen. Wenn aber die Sicherheit der Frauen nur durch staatliche Gewalt und Unterdrückung gewährleistet werden soll, dann wird die in der patriarchalen Gesellschaft bereits normalisierte Gewalt kein Ende finden.

Wir brauchen eine Bewegung aus der Mitte der Bevölkerung, die die Zusammenhänge der Anliegen versteht. Denn der Kampf gegen die patriarchale Gewalt ist gleichzeitig ein Kampf gegen die repressiven Organe des kapitalistischen Staates.

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