Kulturschock im Datenschutz

Am 8. Juli hat das Europäische Parlament dem Transfer von europäischen Bankdaten an die USA zugestimmt. Doch dies Abkommen, dem bittere Verhandlungen vorangingen, bringt die beiden gegensätzlichen Sichtweisen der Partner zur Benutzung von persönlichen Daten nicht in Einklang.

Veröffentlicht am 9 Juli 2010 um 14:50

Ihren Daumenabdruck bitte hierhin. Eine Washingtoner Bank möchte jetzt zur Einlösung eines Schecks nicht mehr nur eine Unterschrift, sondern auch einen Daumenabdruck. Wenn man nachfragt, was sie mit dem Abdruck macht und wie lange er aufbewahrt wird, kann das Personal keine Antwort geben. Es gibt keine Regeln. In den USA sind die Unternehmen die Könige. Sie dürfen nach Herzenslust persönliche Daten sammeln, sie so lange aufbewahren, wie sie wollen und sie an andere Firmen weiterverkaufen. Im Falle von Facebook ist das Sammeln von persönlichen Daten sogar das Hauptziel des Unternehmens.

Die amerikanische Obrigkeit hat nicht so viele Freiheiten wie die Unternehmen. Doch die Bedingungen hängen sehr vom Gegenstand ab. Im Gesundheitswesen sind die Daten z.B. gut geschützt. Der amerikanische Staat kann auch Daten einfordern, die von Geschäftsparteien wie Telefonanbietern oder Kreditkartenunternehmen zusammengetragen wurden. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 verfügt die amerikanische Regierung übrigens über einen großen Handlungsspielraum, wenn es um Untersuchungen gegen Terroristen geht. Dies ist auch der Grund, warum die USA Zugang zu europäischen Bank- und Passagierdaten haben möchte. In der Europäischen Union ist der Datenschutz aber ein Grundrecht. Man bleibt immer Eigentümer seiner eigenen persönlichen Daten und eine Regierung oder ein Unternehmen darf diese nur zu klar definierten Zwecken verwenden und sie keinen Dritten überlassen.

Die EU nimmt das Privatleben ernst, die USA nicht

Bei einem Vortrag an der Georgetown School of Law in Washington am 21. Juni erklärte der amerikanische Rechtsprofessor Adam Levitin, dass die beiden Kontinente einen "unterschiedlichen philosophischen Ansatz" bezüglich der Eigentümerschaft von persönlichen Daten verfolgten. "Die EU nimmt das Privatleben ernst, was in den Vereinigten Staaten nicht der Fall ist".

Am 8. Juli hat das Europäische Parlament dem Transfer von europäischen Bankdaten an die USA zugestimmt, nachdem es Garantien für den Datenschutz geleistet hatte. "Dieses Abkommen ist noch weit davon entfernt, perfekt zu sei", kommentiert die niederländische Europaabgeordnete Sophie In ’t Veld in Straßburg. Es werden immer noch große Mengen an Daten von unschuldigen Personen an die Vereinigten Staaten geschickt. Das Problem ist, dass die USA weiterhin bilaterale Abkommen mit vielen europäischen Ländern abschließen würden, wenn das Europäische Parlament wie im Februar bei einer ersten Fassung des Abkommens erneut nein gesagt hätte.

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Die Nationalparlamente schlafen

Innerhalb des Parlaments leitet In’t Veld die Diskussion zur Frage von Passagierdaten, über die danach – wahrscheinlich im Herbst – abgestimmt wird. "Die Verhandlungen zum Transfer von Passagierdaten sind komplizierter", sieht sie voraus. "Die Bankdaten werden vom amerikanischen Finanzministerium verwaltet, das einigermaßen vernünftig ist. Doch die Passagierdaten werden von der Abteilung für innere Sicherheit gespeichert. Diese Leute sind absolut unflexibel. Bei den Bankdaten hat die EU erreicht, dass sie nur dazu dienen, nach Terroristen zu fahnden. Doch das Department für Innere Sicherheit hat ein weitgefasstes Mandat, das z.B. auch Veterinärkrankheiten, Naturkatastrophen und die Immigration mit einschließt. Man kann sich absolut nicht sicher sein, dass die Passagierdaten nicht auch zu anderen Zwecken als zum Aufspüren von Terroristen genutzt werden."

In’t Veld ist wütend darüber, dass die Mitgliedstaaten der EU dies alles relativ locker sehen. "Sie vergessen, dass wir noch nie eine Auswertung konkreter Ergebnisse der Datensammlung zu Gesicht bekommen haben. Die Amerikaner können natürlich sagen, dass sie dank der Passagierdaten ungefähr 2 000 verdächtige Personen ausfindig machen konnten, aber sie sagen nicht, zu wie viel Verurteilungen dies geführt hat. Wir wissen von Fällen, bei denen Personen am Flugsteig festgenommen wurden, die für Nichtregierungsorganisationen arbeiteten und deswegen Kontakt zu Agenten der Farc [in Kolumbien] oder zur Hamas [in Palästina] hatten. Die Nationalparlamente schlafen. Natürlich stellen sie Fragen, aber sie geben sich mit den Antworten zufrieden, solange diese nur Begriffe wie 'Terrorismusbekämpfung' oder 'Geheimdienst' enthalten". (sd)

Abkommen

Ein Programm unter Beaufsichtigung

Das Abkommen zwischen der EU und den USA, das am 8. Juli vom Europäischen Parlament gebilligt wurde, genehmigt den Transfer von Bankdaten europäischer Bürger an die Vereinigten Staaten, wenn die Daten von der Genossenschaft Swift verwaltet werden. Das Abkommen, das am 1. August rechtskräftig wird, sieht die Ernennung einer "unabhängigen Person vor, um zu überwachen, wie die persönlichen Daten von den amerikanischen Behörden analysiert werden, wenn sie Untersuchungen zur Finanzierung des Terrorismus anstellen", präzisiert der EUobserver.

Der von den Abgeordneten angenommene Text sieht auch "die Möglichkeit eines europaweiten Programms zum Kampf gegen die Finanzierung des Terrorismus [Terrorism Finance Tracking Program] vor, das dem der Vereinigten Staaten ähneln soll, welches nach dem 11. September 2001 eingeführt wurde“, fügt die Nachrichtenseite hinzu. "Die Kommission wird im zweiten Semester 2011 eine technische Auswertung hiervon vorlegen."

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