Können wir diese Symbole bald einpacken?

Lebewohl, liebe Souveränität

Falls sie von den 27 abgesegnet wird, dann wäre die von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vorgeschlagene Fiskalunion ein neuer, entscheidender Schritt in Richtung des europäischen Föderalismus. Doch sind auch alle bereit, den Preis dafür zu zahlen und ihre Haushaltsautonomie aufzugeben?

Veröffentlicht am 8 Dezember 2011 um 14:50
Können wir diese Symbole bald einpacken?

Die Souveränität in Europa trauert. In den nächsten Tagen soll sich bei den alten europäischen Nationen die größte Souveränitätsübertragung seit den Verträgen von Rom und von Maastricht abspielen.

Mit dem ersten dieser Verträge hatten die Staaten 1957 ihre Zollpolitik aufgegeben und damit den Grundstein für den Binnenmarkt gelegt. Mit dem zweiten Vertrag hatten sie 1992 eingewilligt, auf ihre Landeswährungen – bislang ein ebenso wichtiges Nationalsymbol wie die Farben der Nationalflagge – sowie auf ihre Währungspolitik (zur Festsetzung von Zinssätzen und Devisenkursen) zu verzichten und legten damit den Grundstein für die aktuelle Schuldenkrise. Mit dem kommenden Gipfeltreffen werden die alten Staaten auf ihre Haushaltspolitik verzichten müssen, was einem Verzicht auf die politische Seele des Nationalstaats gleichkommt.

Es wird für die Mitglieder des alten Europa in dieser globalen Welt keine Rettung geben, wenn jeder nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Nicht einmal für die Länder, die in der höchsten Liga spielen und alle Pokale einheimsen, wie der FC Barcelona und Real Madrid – also Deutschland und Frankreich. Es geht nicht nur darum, in der heutigen Welt unseren Platz zu finden, sondern darum, unter annehmbaren Bedingungen zu überleben, ohne den unglaublichen Lebensstandard zu gefährden, den wir Europäer seit 30 Jahren genießen.

Eine Union der Sparmaßnahmen

Nicht allein der Nationalstolz, die Sitze im G20 oder im Sicherheitsrat, also das Gewicht, der Einfluss und die Präsenz der Europäer auf weltweiter Ebene, stehen auf dem Spiel. Es sollen vor allem die uns näherstehenden und konkreteren Fragen gelöst werden: Unser Wohlbefinden und unsere Lebensweise können ganz einfach nur im Rahmen einer funktionierenden EU erhalten werden .

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Diese Souveränitätsübertragung wird zu einer Fiskalunion führen. Doch letztere wird nicht perfekt sein, da es sich um eine Union der Haushaltsstabilität und der Sparmaßnahmen und nicht um eine Union des Transfers, der Solidarität und des Wachstums handeln wird. Zumindest jetzt noch nicht. Auch die eingesetzte Methode wird keine gemeinschaftliche sein: Die Kommission, das Parlament und der Gerichtshof der EU – diese Institutionen, die für uns den Föderalismus und den Europäismus repräsentieren – werden keine führende Rollen einnehmen.

Die Entscheidungen werden zwischen den einzelnen Staaten getroffen werden und auch nicht alle 27 Mitgliedsstaaten einbinden. Manche weil sie es nicht wollen, wie etwa Großbritannien, andere weil sie noch unentschlossen sind, wie Dänemark, und wieder andere weil sie zwar ihre Entscheidung getroffen, aber den Sprung noch nicht gewagt haben, wie Polen. Und die beiden europäischen Großmächte, die am meisten miteinander gekämpft und sogar drei Kriege gegeneinander geführt haben, als sie noch ambitionierte und manchmal expansionistische, souveräne Staaten waren, werden diese Auflösung abwickeln.

Niemand sonst kann es tun. Es ist sogar wahrscheinlich, dass nur diese beiden Länder es tun können. Die beiden Mächte werden somit eine einzigartige Rolle in der ganzen Geschichte der europäischen Einheit spielen, selbst wenn es auf Kosten ihrer eigenen Souveränität geht. Frankreich und Deutschland waren schon seit der Entstehung der EU immer die europäische Treibkraft, doch heute sind sie mehr als nur eine Treibkraft. Sie sind der Träger.

Deutsche Konzepte und französische Rhetorik

Das geht so weit, dass das Projekt, das sie in Brüssel vorstellen werden, dazu konzipiert ist, auch in dem äußerst unwahrscheinlichen Fall zu funktionieren, dass nur diese beiden Länder bereit sind, es umzusetzen. Es wird kein europäisches Direktorium geben, sondern vielmehr ein deutsch-französisches Europa, einen Föderalismus, dessen beide Mitglieder alle diejenigen einladen, die dazugehören wollen. Im Detail verbergen sich hinter der scheinbaren Symmetrie deutsche Konzepte und eine französische Rhetorik, mit Merkels Diskretion und Sarkozys Pomp und Zurschaustellung.

Somit sind wir wieder bei der Etappe vor der Einheitswährung angelangt. Der Euro wird eine Art europäische D-Mark werden, so wie früher alle Währungen – auch der französische Franc – innerhalb des Europäischen Währungssystems an der D-Mark hingen. Und Europa wird sich spalten: auf der einen Seite die Euro-Länder und diejenigen, die noch dazustoßen möchten, und auf der anderen Seite die Länder, die nicht dazugehören und das auch nicht wollen. Es wird so sein wie vor dem Beitritt Großbritanniens, als eine starke EFTA (Europäische Freihandelsassoziation) es erlaubte, den damaligen Protektionismus der Europäischen Gemeinschaft auszugleichen.

Kurz gesagt, wir werden also ein Europa ohne Europäismus oder einen "Föderalismus ohne Föderalisten" bekommen. Doch immer mit der so europäischen, immer wieder aufkommenden Hoffnung, dass der Mechansimus irgendwann einmal die Institution erschaffen wird: den politischen Europäismus und Föderalismus, an denen es heute fehlt. (p-lm)

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