„Ich habe immer das Unerreichbare gewollt. Meine Frau ist nicht unterwürfig, ganz im Gegenteil. Das ist dieser egoistische Schwachsinn, der vielen Männern zu eigen ist... Niemand gehört einem, aber ich habe diesem Gefühl getrotzt, um das tun zu können, worauf ich Lust hatte, wann immer ich dazu Lust hatte.“
Diese Aussage vom 18. Oktober stammt von Dominique Pelicot. Er machte sie während einer Anhörung in seinem Prozess, über den Marlène Thomas in Libération berichtet. Lorraine de Foucher ihrerseits zitiert in ihrem Artikel in Le Monde Simon M., einen der angeklagten Vergewaltiger: „Sie ist seine Frau und er macht mit seiner Frau, was er will“.
Wie könnte man das Patriarchat und männliche Gewalt besser auf den Punkt bringen?
Der „Vergewaltigungsprozess von Mazan“
Der „Vergewaltigungsprozess von Mazan“ wurde im vergangenen September eröffnet und wird noch bis Ende des Jahres dauern. Verhandelt wird darin die Tatsache, dass Dominique Pelicot seiner Frau zwischen Juli 2011 und Oktober 2020 Temesta (ein Medikament mit dem Wirkstoff Lorazepam) verabreicht und anschliessend Männer, die er im Internet kennengelernt hatte, zu sich nach Hause einlud, um seine bewusstlose Frau mit ihm zu vergewaltigen.
Die Polizei hat an Hand von Dominique Pelicots sorgfältig archivierten Videos und Fotos dieser Taten eine Liste von 83 Männern erstellt, bisher konnten jedoch nur 50 von ihnen identifiziert werden, die nun zusammen mit Pelicot vor Gericht stehen. 32 mutmaßliche Täter fehlen also noch.
Der Prozess gilt jetzt bereits als „historisch“, weil er nicht nur an das Gewissen in Frankreich appelliert, sondern seine Tragweite weit über die Landesgrenzen hinausgeht. Journalisten aus aller Welt verfolgen den Prozess in Avignon. Historisch konnte dieser Prozess auch deshalb werden, weil er in der „Post-#MeToo“-Ära stattfindet.
Auf Krytyka Polityczna schreibt Aleksandra Herzyk, der Prozess zeige die „Banalität des Bösen (...), die in den Häusern gewöhnlicher Familien stattfindet und von angesehenen Mitgliedern der Gemeinschaft verübt wird“. Die polnische Journalistin weist darauf hin, dass viele Medien ihre Aufmerksamkeit in diesem Kontext jedoch lieber Gewalttaten von illegalen Einwanderern widmen.
Denn die Angeklagten sind größtenteils „Familienväter“, „normale“, „banale“ Menschen: „Die 51 Vergewaltiger sind ein Kaleidoskop der französischen Gesellschaft. Der Jüngste ist 26 Jahre alt, der Älteste 73. Sie alle stammen aus der südfranzösischen Region unweit von Avignon und leben in der Nähe des Paares. Viele von ihnen arbeiten im öffentlichen Dienst: Feuerwehrleute, Militärangehörige, Gefängniswärter, Krankenpfleger oder Journalisten. Andere sind Lkw-Fahrer, haben Verantwortung in ihren Unternehmen, einer von ihnen sitzt im Stadtrat. Andere haben prekäre Jobs, stehen unter Vormundschaft oder sitzen schon wegen Gewalt gegen Frauen im Gefängnis. Fünf von ihnen sind bereits angeklagt: Bei der Durchsuchung ihrer Computer fand die Polizei zahlreiche Bilder von Kindesmissbrauch“, erklärt de Foucher.
Eine weitere Besonderheit, die diesen Prozess historisch macht, ist die Position von Gisèle Pelicot, die mittlerweile von ihrem Ehemann geschieden ist, jedoch weiter ihren Ehenamen benutzt, um ihren Mädchennamen freier verwenden zu können.
Sie bestand darauf, dass der Prozess öffentlich stattfindet: „Wenn Gisèle aufrecht im Zeugenstand steht und spricht, dann deshalb, weil sie weiß, dass ihr Martyrium das aller Frauen ist, seit Anbeginn der Menschheit, überall und immer. Sie wendet sich nicht nur an die Richter, sondern als typisches Opfer des Patriarchats an die gesamte Gesellschaft. Denn egal, was Sensationslüsterne nun sagen, an diesem Fall ist nichts außergewöhnlich, geschweige denn neu. Dass ein Ehemann seine Frau missbraucht und sie anderen anbietet, dass ein Mann eine Frau unter Drogen setzt, um sie nach Belieben benutzen zu können, dass Männer sich nacheinander auf dem Körper einer Frau austoben, all das gehört zum Alltag patriarchaler Gewalt“, betont die Philosophin Camille Froidevaux-Metterie in Le Soir.
Einwilligung als Kriterium im Sexualstrafrecht
Dieser Prozess findet statt, nachdem Europa - und die europäischen Feministinnen - lange über die Konsens (Einwilligung) basierende Vergewaltigungsdefinition debattiert hatten, woraufhin eine europäische Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt beschlossen wurde, die erstmals einen Artikel zur zwingend notwendigen Einwilligung als Kriterium im Sexualstrafrecht beinhaltet.
Die Forscherinnen Sara Uhnoo, Sofie Erixon und Moa Bladini haben in einem Artikel für das International Journal of Law, Crime and Justice von Juni 2024 über 20 europäische Gesetze identifiziert, die sich auf die Einwilligung stützen - ein Wandel, der 2017 begann.
„Könnte die Einführung der Einwilligung eine mögliche Antwort auf den Mazan-Prozess sein?“, fragt Richter Denis Salas in Le Monde. „Die Zeugenaussagen im Gerichtssaal haben deutlich gemacht, dass die Gesellschaft im Allgemeinen noch kein klares Verständnis von Einwilligung hat. Der Prozess hat eine Debatte darüber ausgelöst, ob die Notwendigkeit einer aktiven Einwilligung im französischen Vergewaltigungsgesetz expliziter formuliert werden sollte“, schreibt die Korrespondentin des Guardian in Paris, Angelique Chrisafis.
In Polen wird der Begriff der Einwilligung derzeit neu definiert durch ein Gesetz, das 2025 in Kraft treten soll, berichtet Notes of Poland. Darin heißt es: Vergewaltigung ist Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung. Das ruft jedoch Zweifel und Kritik hervor, wie Hanna Kobus in Krytyka Polityczna berichtet, weil viele (vor allem Rechtsextreme) befürchten, dass dadurch die Unschuldsvermutung untergraben wird und die Zahl der Verurteilung Unschuldiger steigt.
Laut den Daten einer von Patricia Devlin und Maria Delaney im Auftrag von Noteworthy und dem European Data Journalism Network durchgeführten Erhebung wurden in Europa zwischen 2021 und 2023 mehr als 68.000 Opfer von Vergewaltigungen und mehr als 116.000 Opfer sexueller Gewalt registriert.
Auf der Biennale of thought in Barcelona (Oktober 2024) hat auch die spanische Philosophin Clara Serra, bekannt durch ihr Buch El sentido de consentir (Anagrama, 2024), über den Fall Mazan gesprochen. Über die Diskussion berichtet Xavier de La Porte im L'Obs und auf dem X-Profil der Philosophin: Serra zufolge misst der Begriff der Zustimmung „dem ‚Ja‘ zu viel Bedeutung bei“, während viel mehr „die Möglichkeit, ‚Nein‘ zu sagen, von zentraler Bedeutung ist“. Im Fall Mazan rechtfertigten sich viele damit, dass sie glaubten, an einem „Spiel des Paares“ teilgenommen zu haben, in das Gisèle Pelicot eingewilligt hatte. „Was das System den Angeklagten darauf antworten muss, ist, dass, selbst wenn Gisèle Pelicot ‚Ja‘ gesagt hätte - sei es mündlich oder schriftlich -, dies ihre Taten in keiner Weise entlastet. Denn was keinem der Angeklagten entgangen sein kann, ist, dass Gisèle Pelicot zu keinem Zeitpunkt (in ihrem betäubten Zustand) hätte ‚Nein‘ sagen können.”
Neben Gisèle Pelicot wurde noch eine weitere Frau auf die gleiche Weise von ihrem Mann und Dominique Pelicot vergewaltigt. Aber sie hat keine Anzeige erstattet, berichtet Kareen Janselme in L'Humanité, und fügt hinzu, dass das „Paar“ fünf Kinder hat, von denen zwei noch zu Hause leben, dass die Frau nicht arbeitet und dass sie finanziell von ihrem Mann abhängig ist. Im Prozess von Avignon wurde sie daher nur als Zeugin gehört.
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