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Naomi Klein: „Populismus ist kein Schimpfwort“

Naomi Klein, kanadische Aktivistin und Intellektuelle, erklärt den Sieg von Donald Trump durch die Unfähigkeit der Linken und der Umweltschützenden, über die konkreten Probleme der Menschen zu sprechen. Sie plädiert für einen „Ökopopulismus“.

Veröffentlicht am 27 November 2024
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Die kanadische Journalistin und Essayistin Naomi Klein, bekannt durch ihre Bücher „No Logo“ und „Die Schock-Strategie“ (S. Fischer Verlag, 2015 und 2007), hat gerade ein neues Buch herausgebracht: Doppelgänger – Eine Analyse unserer gestörten Gegenwart“, ebenfalls im S. Fischer Verlag. In diesem Interview mit dem unabhängigen, auf Ökologie spezialisierten Medium Reporterre stellt sie der US-Linken ein Armutszeugnis aus: „Wir müssen uns auf eine Umweltpolitik konzentrieren, die gleichzeitig eine Politik der wirtschaftlichen Umverteilung ist.“

Foto: Vera de Kok - Wikipedia CC BY-SA 4.0

Reporterre: Wie analysieren Sie den Sieg von Donald Trump?

Naomi Klein: Die Rechte nähert sich den unteren Klassen mit größerer Leichtigkeit als die Linke oder die Liberalen. Das sollte ein echtes Alarmsignal sein und uns dazu bringen, darüber nachzudenken, wie der progressive Diskurs wahrgenommen wird: elitär, abgehoben und ohne einen Plan, wie man den Menschen helfen kann. Ich habe immer daran geglaubt, dass es möglich ist, eine politische Strategie zu entwerfen, die sich mit der ökologischen Krise und der zunehmenden Ungleichheit auseinandersetzt. Aber so hat die Linke ihre Klimapolitik nicht gestaltet. Wir erleben einen Überdruss der Arbeitnehmenden, die den Eindruck haben, dass diese Fragen ein Luxus sind, um den sie sich nicht kümmern können. 


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Akzeptiert die sozialdemokratische Linke nicht, diesen Weg einzuschlagen und mit den Menschen zu sprechen?

Es handelt sich um ein Versagen der gesamten Linken. Nicht nur der Demokratischen Partei, die nicht die Linke ist, sondern das Establishment repräsentiert. Der Flügel der Demokratischen Partei, dem Bernie Sanders angehört, wurde völlig marginalisiert. Aufgrund seiner Abwesenheit hat sich die Linke in kleine, sehr aggressive Fraktionen gespalten, die sich gegenseitig angreifen. Sie hat keine wohlwollende Bewegung geschaffen, die Arbeitende anziehen kann. Der Kampagne von Donald Trump ist das dagegen gelungen: Sie hat viele politisch links Eingestellte angezogen, die arbeiten und wirtschaftliche Hoffnung brauchen.

Das ist paradox, denn Trumps Welt ist die Welt der Hyperreichen, von Elon Musk und vielen Milliardären.

Die Demokratische Partei wird als elitärer wahrgenommen als die Republikanische Partei. Bei der Letztgenannten handelt es sich um eine Mischung aus Reichen, die oft grob sind, und anderen, die zugänglicher sind und mit der Unterschicht in Kontakt stehen. Elon Musk tauscht sich mit Twitter-Nutzern aus, während die reichen Demokraten mit niemandem außerhalb ihrer Kreise sprechen. Im Jahr 2016 schrieb ich, dass die Demokratische Partei einer Party gleicht, zu der man nicht eingeladen wurde. Sie ist eine Superelite, die eine Show inszeniert hat und dachte, die Arbeitenden würden mitmachen. Aber die Menschen fühlten sich beleidigt und ausgeschlossen. So haben sie Trump gewählt.

Natürlich steht die Republikanische Partei im Dienst des Geldes. Dennoch hat sie die Arbeitenden nicht bevormundet, wie es die Demokratische Partei getan hat. Darüber hinaus sind die von Trump versprochenen Massenabschiebungen nicht nur eine rassistische Politik, sondern auch eine Wirtschaftspolitik in dem Sinne, dass er eine Umverteilung des Reichtums an die Arbeitendenklasse verspricht, so wie die Faschistinnen und Faschisten den Antisemitismus als Umverteilung des Reichtums dargestellt haben. Das sagt Trump den schwarzen und lateinamerikanischen Wählenden: „Diese Eingewanderten nehmen euch die Arbeit weg, wir werden sie beseitigen, damit ihr mehr Arbeitsplätze habt.“ Das ist schrecklich, aber es ist wichtig zu verstehen, dass hinter diesem Votum eine wirtschaftliche Logik steckt.

Wie sollte die Strategie der Linken und der Umweltschützenden aussehen?

Wir müssen zunächst einmal ehrlich prüfen, wie wir wahrgenommen werden. Wir müssen uns auf eine Umweltpolitik konzentrieren, die auch eine Politik der wirtschaftlichen Umverteilung ist, die ganz konkret zeigt, dass man nicht zwischen der Umwelt, seiner Familie und seinem Geldbeutel zu wählen braucht. Wir sollten uns für kostenlose öffentliche Verkehrsmittel in den Städten und Wärmepumpen für alle einsetzen, um den Energieverbrauch zu senken und Häuser zu heizen und zu kühlen. Wir können eine Umweltpolitik haben, die das Leben viel erschwinglicher macht. Wir brauchen einen ökologischen Populismus, einen Ökopopulismus.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Trump und die extreme Rechte dazu stehen, dass sie lügen; die Fakten sind keine Elemente mehr, auf deren Grundlage man diskutieren kann.

Niemand hält sich vollständig an die Wahrheit. Wir alle wählen unsere Fantasien selbst. Die Last der ökologischen, wirtschaftlichen und militärischen Realität macht unsere Zeit sehr schwer erträglich. Wir leben also alle in unseren Blasen und projizieren all das, was wir bei uns selbst nicht ertragen können, auf unsere Gegner.

Aber es stimmt, dass die Republikanische Partei zunehmend kreativer mit den Fakten umgeht. Wir leiden unter den Auswirkungen einer Strategie, die seit fünfzig Jahren von der Rechten verfolgt wird und die das Ökosystem der Information zerstört hat. Aus diesem Grund spreche ich über Dinge wie öffentliche Verkehrsmittel, Heizkosten, Lebensmittelpreise usw. Je weniger wir uns in abstrakten Debatten über die Ursachen des Klimawandels befinden, desto besser.


„Populismus muss umverteilen, als direkte Antwort auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Menschen.“


Wenn man von Umweltpopulismus spricht, was ein sehr starkes Wort ist, bedeutet das, dass man die Waffen des Gegners, seine Rhetorik, übernehmen oder sogar brutaler sein muss?

Für mich ist Populismus kein Schimpfwort.

Wie würden Sie Populismus definieren?

Populismus muss umverteilen, als direkte Antwort auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Menschen. Bernie Sanders ist ein Wirtschaftspopulist, weil er von einer Umverteilung des Wohlstands spricht und sich dabei auf höhere Löhne, eine allgemeine Gesundheitsversorgung und Dienstleistungen konzentriert, die direkt auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen. Dies wird von der Mitte als populistisch verspottet. Meiner Meinung nach sollten wir stattdessen für diese Konzepte eintreten. Es ist gut, populistisch zu sein!

Anfang der 2000er Jahre gab es Weltforen, wie in Porto Alegre in Brasilien. Ist es denkbar, dass man versucht, ausgehend von der Ökologie einen Reset durchzuführen? Wie könnte man eine große Volksbewegung wieder aufleben lassen? Ist das ein Traum?

Es ist kein so weit entfernter Traum. Es könnte eine weitere Welle geben, die diese Energie nutzt und kanalisiert. Die Menschen sind wütend. Sie verstehen, dass ihre Lebensbedingungen immer schwieriger und stressiger werden. Sie haben das Gefühl, dass das System manipuliert wird. Rechtspopulismus nimmt diese Wut auf und richtet sie gegen die empfindlichsten Menschen. Er macht die Eingewanderten zu Sündenböcken. Linkspopulismus versucht, die Energie der Bevölkerung gegen Unternehmen und Eliten zu richten. Doch diese Energie wurde von Politikerinnen und Politikern wie Steve Bannon [ehemalige rechte Hand von Donald Trump], Giorgia Meloni [italienische Ministerpräsidentin, rechtsextrem], Marine Le Pen usw. kooptiert.

Die militärische Bedrohung scheint überall auf der Welt zuzunehmen. Wie kann man ihr begegnen?

Trump wird sie nähren. Er will mehr europäische Rüstungsausgaben. Es ist auch eine Aufforderung an die Linke, statt in Militarismus lieber in Gesundheit und Wohnungsbau zu investieren. Das ist eine schwierige Entscheidung. Sollen wir Bomben herstellen oder Krankenhäuser bauen?

Was wäre die Antwort der Linken auf diese Frage? Sollten wir unsere Militärausgaben erhöhen?

Nein, aber wir können in eine Wirtschaft investieren, die Hoffnung auf Frieden mit der Erde und unter den Menschen gibt. Trump stellt eine Welt in Aussicht, in der wir in offensive Waffen und in eine globale Eisenkuppel investieren. So wären unsere Grenzen vor den Auswirkungen unserer Politik und der Masseneinwanderung geschützt ... Es könnte eine andere Vision für die populistische Linke geben, die sich auf den Klimakrieg und die wirtschaftliche Ungerechtigkeit konzentriert.

Künstliche Intelligenz ist zum Motor des Kapitalismus geworden. Wie wird sie die politische Landschaft verändern, und was sollte die Antwort der Linken und der Umweltschützenden sein?

Wir müssen die Risse in der von der Rechten zusammengebastelten Koalition identifizieren, die viele Schwachstellen hat. Eine davon ist, dass Trump bereits davon spricht, in künstliche Intelligenz zu investieren. Das steht aber im Widerspruch zu dem, was Bannon und Figuren der neuen Rechten sagen, die von einem spirituellen Zusammenbruch sprechen. Die Linke war nicht gut darin, auf dieses Gefühl einer Entmenschlichung der Welt einzugehen. Es geht um das Klima, um Arbeitsrechte, aber auch um eine spirituelle Frage, über die wir mehr sprechen müssen.

👉 Originalartikel auf Reporterre
🤝 Dieser Artikel wird im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts Come Together veröffentlicht

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