Vor zwei Jahren begannen Arbeitsagenturen in Manila, Reisen zu einem neuen Ziel anzubieten: Polen. Der Philippiner Dolfa Ravena, der in einer Fabrik in Warschau arbeitet, erinnert sich: „Es ist schwierig, in die USA, nach Kanada oder Deutschland zu kommen. Ich habe Ihr Land [Polen] gewählt, weil es das einfachste Ziel in Europa ist“. Das gibt er gegenüber einem Journalisten der Gazeta Wyborcza zu, die Beiträge in El Confidencial veröffentlicht: „Ich habe meinen Onkel gefragt, der schon einmal ausgewandert ist, und er hat mir gesagt: ‚Polen ist gut‘“.
Derzeit stehen Philippiner*innen nach Inderinnen und Indern (45.000) und Nepalesinnen und Nepalesen (35.000) an dritter Stelle der Nationalitäten, die in Polen eine Arbeitserlaubnis erhalten. Während im Jahr 2017 nur 733 Philippiner*innen eine Arbeitserlaubnis in Polen bekamen, waren es im Jahr 2023 bereits 29.000.
Der Hauptunterschied zu anderen Nationalitäten ist das Geschlecht und das Alter, erklärt Olga Wanicka, eine Forscherin über philippinische Migration an der Universität Warschau. Philippiner*innen sind im Allgemeinen älter (zwischen 35 und 45 Jahre), und es gibt mehr Frauen. So sind beispielsweise 90 Prozent der indischen Migrierenden in Polen Männer, während die Hälfte der nach Polen einwandernden Philippiner*innen Frauen sind. Dies folgt teilweise dem Trend, dass philippinische Frauen seit Jahrzehnten als Hausangestellte oder Kindermädchen in den Nahen Osten oder nach Hongkong auswandern.
Polnische Arbeitsagenturen werben bei Arbeitgebenden für philippinische Migrierende als „lächelnde, englischsprachige Arbeitskräfte“ – Englisch ist eine der beiden Amtssprachen der Philippinen. Die Vermittelnden stellen auch die große katholische Bevölkerung in den Vordergrund, die beide Länder gemeinsam haben.
In Österreich ist die Situation ähnlich. Ohne Tränen und Drama verabschiedete sich die 25-jährige Maria Dio an einem Augusttag von ihrer Mutter, ihren Cousinen und ihrer zweijährigen Tochter. Alles war genau wie an jedem anderen Wochentag, aber anstatt den Bus zu nehmen, stieg sie in der Hauptstadt Manila in ein Flugzeug. Nach einem neunzehnstündigen Flug und einer vierstündigen Zugfahrt erreichte sie am nächsten Tag das österreichische Westendorf, um dort in einem Pflegeheim zu arbeiten.
Vom Tourismus bis zum Pflegesektor gibt es in Österreich kaum eine Branche, in der kein Personalmangel herrscht. 174.000 offene Stellen sind derzeit im Land zu verzeichnen. Hinzu kommen Tausende von Beschäftigten geburtenstarker Jahrgänge, die bald in Rente gehen und den Arbeitsmarkt verlassen werden. Vor diesem Hintergrund hat die österreichische Regierung vor einem Jahr eine Absichtserklärung mit den Philippinen unterzeichnet, um Leitlinien für den Transfer von qualifizierten Arbeitskräften festzulegen. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind nicht neu. Sie begannen in den 1970er Jahren, als Österreich philippinische Krankenschwestern ins Land holte, um dem Arbeitskräftemangel in seinen Krankenhäusern zu begegnen. Jetzt ist das Land einen Schritt weiter gegangen.
Im Jahr 2022 gab es 1,96 Millionen philippinische Beschäftigte im Ausland. Zwischen April und September 2022 schickten diese Erwerbstätigen etwa 3,18 Milliarden Euro zurück auf die Philippinen
Jann Siefken, Direktor von Recareity, einer österreichischen Personalvermittlung für den Pflegebereich in Graz, führte in einem Interview mit Der Standard aus, dass Philippiner*innen „von Natur aus sehr freundlich sowie hilfsbereit und engagiert“ seien. Bei der Rekrutierung von Arbeitskräften aus europäischen Ländern gab es dagegen Probleme mit der Zuverlässigkeit: „Wenn jemandem etwas nicht gefällt, steigt er/sie ins Auto und fährt nach Hause“, sagte er. In den vergangenen 18 Monaten hat Siefken rund 100 Fachkräfte von den Philippinen nach Österreich geholt. Die österreichische Regierung plant, bis zum Jahr 2027 jährlich rund 400 Philippiner*innen anzuwerben.
Paradoxerweise finden diese Anwerbungen zur gleichen Zeit statt, zu der die österreichische Regierung die Möglichkeit prüft, syrische Geflüchtete nach Syrien abzuschieben, und zu der mehrere österreichische Parteien eine Verschärfung der Asylgesetze fordern. Das war bei den Wahlen in Österreich am 29. September, bei denen die extremistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in den Umfragen führte, ein wichtiges Thema.
Das ist „Rosinenpickerei“ im großen Stil. Angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung und eines schrumpfenden Arbeitsmarktes haben einige europäische Staaten damit begonnen, die Arbeitskräfte, die in ihr Land kommen, nach ihrem Bedarf „auszuwählen“. Im Pflegesektor folgt Europa dem Beispiel der Vereinigten Staaten, wo 10-15 % der Krankenschwestern und -pfleger im Ausland geboren wurden und 4 % von den Philippinen stammen.
Die Krankenpflegeschule des Westens
Unter der langen Herrschaft des philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos (1965-1986) machten die Philippinen den Export von Arbeitskräften zur Staatsdoktrin, da sie auf Zuflüsse von Devisen hofften.
Im Gegensatz zu den so genannten „asiatischen Tigern“ (Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan), wo die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung der Bildung zugeschrieben wurde, konzentrierte die Regierung der Philippinen, die es nicht geschafft hatte, ihre hochqualifizierten Arbeitskräfte in die nationale Wirtschaft zu integrieren, ihre Bemühungen auf die Erleichterung der Beschäftigung im Ausland, erläutern Forscher des MIT. Infolgedessen gab es im Jahr 2022 laut Daten der philippinischen Statistikbehörde 1,96 Millionen philippinische Beschäftigte im Ausland. Zwischen April und September 2022 schickten diese Erwerbstätigen 197,47 Milliarden Pesos (etwa 3,18 Milliarden Euro) zurück auf die Philippinen.
„Die besten philippinischen Arbeitskräfte für Sie. Wir sind die erste Agentur in Spanien, die sich auf philippinische Hausangestellte für Luxuskunden spezialisiert hat“, heißt es bei einer Vermittlungsagentur mit Niederlassungen in mehreren europäischen Städten. „Brauchen Sie ein philippinisches Hausmädchen? Wir können Ihnen helfen, die richtige Person zu finden. Schreiben Sie uns. Sitz in Madrid“, heißt es in einem anderen. „Wir können den Wünschen unserer Kundinnen und Kunden gerecht werden – wir haben 16.000 Mädchen in unserer Datenbank“, erklärte ein Mitarbeiter einer Madrider Agentur am Telefon gegenüber El Confidencial.
Im Jahr 2005 veröffentlichte das englischsprachige Universalwörterbuch Merriam-Webster zwei Bedeutungen des Wortes „Filipina“. Eine war „Frau oder Mädchen von den Philippinen“, die zweite: „Hausangestellte“. Der Soziologe Julien Debonneville geht in seinem Buch „L'industrie mondialisée du travail domestique aux Philippines“ (Die Globalisierung der Hausangestelltenbranche der Philippinen) näher darauf ein und argumentiert, dass „diese Reihe sozialer Darstellungen, die philippinische Frauen mit Fügsamkeit und Ergebenheit gegenüber anderen assoziieren, im weiteren Sinne Teil einer Matrix von Diskursen ist, die im Kolonialismus wurzeln und alle betreffen, die wir heute als ‚Frauen des globalen Südens‘ bezeichnen“.
„Ich bin seit jeher darauf vorbereitet, als Hausangestellte zu arbeiten“, erklärt Emerita Aguila, eine philippinische Hausangestellte, die derzeit in Spanien tätig ist. „Es ist nicht schwer, weil ich schon immer darauf vorbereitet war“, sagt sie. Das Schwierige sei, ihre Familie zu verlassen, denn „wir haben sogar unsere Kinder auf den Philippinen zurückgelassen“ – sie weint. „Die Arbeit, die schaffe ich schon.“ Emerita kam mit Hilfe eines Verwandten nach Spanien. Ihr erster Job war in einer Villa, wo sie sich um Kinder kümmerte. Sie sagt, die Familie sei sehr nett gewesen. „Sie haben mich wie ein Familienmitglied behandelt. Ich habe mit ihnen am Tisch gegessen, sie waren gut zu mir. Andere arbeiten über Agenturen.“
Mit der zunehmenden Zahl neuer Arbeitskräfte haben auch die Missbräuche zugenommen. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2024 dokumentierte das Business & Human Rights Resource Centre 15 Fälle von Missbrauch, in die philippinische Beschäftigte in Polen verwickelt waren. Die meisten Fälle (neun) betrafen überhöhte Vermittlungsgebühren, Vertragsbruch (acht) und mangelnde Informationen (sechs).
„Die Arbeitsvermittler*innen auf den Philippinen suchen nach einem Arbeitgebenden, der bereit ist, sie zu sponsern, und verlangen eine Gebühr zwischen 3.500 und 5.000 Euro“, erklärte Jocelyn Pontanares von der Gemeinschaft der Philippiner*innen in Alicante gegenüber El Confidencial. Sie sagt, dass einige von ihnen eine Partneragentur auf den Philippinen oder an anderen Orten wie Hongkong haben, zum Beispiel diejenigen, die nach Polen gehen. Viele philippinische Beschäftigte waren schon woanders, bevor sie nach Polen kamen. Manchmal ist Polen auch nicht ihre letzte Station.
Belinda Piquic, 47, die bis vor kurzem als Hausangestellte in Spanien gearbeitet hat, unternahm ihre erste Auslandsreise mit 20 Jahren. Zunächst nach Israel, um Kinder zu betreuen, dann zurück auf die Philippinen, dann nach Zypern, wo sie acht Jahre lang in einem Haushalt beschäftigt war. Im Jahr 2023 begann sie in Spanien zu arbeiten. Dazu reiste sie zunächst nach Polen, „das war der schnellste Weg, um nach Spanien zu kommen“, erklärt sie. Sie wurde in einem Haus in Madrid eingestellt, wo sie alles machen musste: kochen, putzen, bügeln und sich um das Baby kümmern. Es war sehr schwer, weil es ein großes Haus war. Belinda hat das Gefühl, sich in einem Teufelskreis zu befinden – sie denkt daran, nach Polen zurückzukehren.
👉 Originalartikel auf El Confidencial
🤝 Dieser Artikel ist Teil des Projekts PULSE, einer europäischen Initiative zur Förderung der grenzüberschreitenden journalistischen Zusammenarbeit. Der Text wurde unter Verwendung von Material verfasst, das von El Confidencial, Der Standard und Gazeta Wborcza bereitgestellt wurde.
Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.
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