Bei den polnischen Präsidentschaftswahlen war Warschaus Bürgermeister Rafał Trzaskowski, ein Liberaler aus dem Lager von Premierminister Donald Tusk, gegen den Nationalisten Karol Nawrocki angetreten, der sich als unabhängiger Kandidat präsentierte, in Wirklichkeit jedoch von Jarosław Kaczyńskis rechtsextremer Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt worden war.
Nawrocki gewann die Wahl mit weniger als einem Prozent der Stimmen trotz der zahlreichen Skandale und Kontroversen, die um ihn in den letzten Wochen des Wahlkampfs aufgekommen waren. Die Enthüllungen waren erschütternd. Es scheint, dass Nawrocki sich eine Wohnung in einem attraktiven Danziger Stadtteil verschaffte, die einem Mann gehörte, der in ein Pflegeheim gebracht worden war. Außerdem soll er Verbindungen zur Fußball-Hooligan-Szene haben, darunter auch zu deren faschistischen Fraktionen. Auch wird ihm vorgeworfen, früher als Sicherheitsbeamter im luxuriösen Grand Hotel in Sopot gearbeitet zu haben, wo er für die Organisation der sexuellen Unterhaltung für die Gäste zuständig war.
Aber heißt es nicht, dass jeder eine zweite Chance verdient? Weniger entscheidend ist, wer Nawrocki früher war, sondern was er in Zukunft für ein Präsident sein wird. Es besteht jedoch jetzt bereits kein Zweifel an seiner rechtsextremen Weltanschauung und dass er sich für die rasche Rückkehr der PiS an die Macht einsetzen wird. Und es ist nicht auszuschließen, dass er sich noch weiter in Richtung der rechtsradikalen Partei Konfederacja orientieren wird, deren Kandidat Sławomir Mentzen in der ersten Wahlrunde den dritten Platz belegte.
Derzeit herrscht im liberalen Polen ein wahres Festival der Klagen und Vorwürfe, wie Manus Jałosewski in Oko.press feststellt. In zahlreichen Analysen wurde versucht, zu ergründen, wie „unser Kandidat” die Wahl verlieren konnte.
Wochenlang lag Rafał Trzaskowski in den Umfragen klar in Führung, doch in der letzten Phase des Wahlkampfs ging alles schief. Der Bürgermeister von Warschau erwies sich als schwacher Kandidat, der sich zwischen verschiedenen Positionen hindurch lavierte, um unterschiedliche (manchmal diametral entgegengesetzte) Wählergruppen zufriedenzustellen.
Zunächst schwenkte er nach rechts, um die Wähler der Konföderation für sich zu gewinnen. Erst kurz vor der zweiten Runde erinnerte er sich an seine überwiegend linke Wählerschaft. Infolgedessen schreckte er letztendlich beide Gruppen ab. Erschwerend kam hinzu, dass Trzaskowski bei Wahlkampfveranstaltungen oft müde und apathisch wirkte. Manche Beobachter geben auch seinem Wahlkampfteam die Schuld, das seine Arbeit vernachlässigt und keine kohärente Wahlstrategie entwickelt habe, wie Tomas Mateusiak in Onet berichtet.
Hinter Rafał Trzaskowski stand außerdem die inkompetente Regierung des unbeliebten Premierministers Donald Tusk. Die regierende Bürgerkoalition wollte eigentlich acht Jahre autoritären Missbrauchs durch die PiS wiedergutmachen. Sie entschied sich jedoch hauptsächlich dafür, deren repressive Politik gegenüber Aktivist*innen, Minderheiten und Migrierende fortzusetzen. Heute, so Ewa Karbowicz in der Gazeta Prawna, steht die Regierung kurz vor dem Zusammenbruch - Tusk hat bereits ein Vertrauensvotum angekündigt. Die meisten politisch interessierten Polinnen und Polen warten ab, ob und wann es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen wird.
„Putinismus” jetzt bald auch in Polen? Polen, wie wir es heute kennen, würde aufhören zu existieren, und wir könnten es erst wieder aufbauen, wenn Russland seinen Einfluss verliert” - Vitaly Portnikov
Der Sieg des demokratischen Lagers von Donald Tusk bei den Parlamentswahlen 2023 sollte das Abgleiten in den Rechtspopulismus in Polen und der gesamten Region aufhalten. Nach dem Sieg von Nawrocki und angesichts der aktuellen Umfragen ist jedoch ziemlich sicher, dass spätestens 2027 die populistische (und antiukrainische) radikale Rechte in Warschau wieder an der Macht sein wird. Polen könnte sich dann Viktor Orbán in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei anschließen, wobei Polen aufgrund seiner Größe und Wirtschaftskraft ein bedeutender Gewinn für dieses Bündnis wäre.
Zwar ist derzeit noch schwer vorstellbar, dass Warschau ähnliche Annäherungsversuche an den Kreml unternimmt wie Orbán und Fico. Aber eine solche polnische Regierung würde die antieuropäischen Kräfte stärken und ihre Außenpolitik auf eine Freundschaft mit Trump ausrichten. Washingtoner Beamte und Beamtinnen, darunter Kristi Noem, die wenige Tage vor der Wahl zur CPAC-Konferenz nach Polen gereist waren, haben ihre Unterstützung für Karol Nawrocki offen bekundet, berichtet Karol Żak von RMF24. Während seines Wahlkampfs stimmte der neue Präsident der Forderung der Konföderation zu, eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft abzulehnen. Ein solcher Schritt würde nicht nur den vitalen Interessen Polens zuwiderlaufen, sondern ist auch eine der Forderungen Russlands für ein Ende des Krieges in der Ukraine. Eine Art Putinismus könnte daher auch bald in Polen herrschen.
Vor über einem Jahr sprach ich mit dem ukrainischen Journalisten Vitaly Portnikov über die Folgen einer möglichen Niederlage der Ukraine im Krieg mit Russland für Polen. Allgemein wird angenommen, dass Moskau dann weiter nach Westen vorstoßen und Polen und die baltischen Staaten angreifen würde. Portnikov warnte damals bereits vor weitreichenden Folgen für Polen: „Sollten die Ukraine und andere ehemalige Sowjetrepubliken zusammenbrechen und Putin es schaffen, sein Imperium innerhalb der Grenzen der Sowjetunion vor ihrem Zusammenbruch 1991 wiederherzustellen, dann kann Polen seine Unabhängigkeit für Jahrzehnte vergessen. In einem solchen Szenario werden Politiker*innen an die Macht kommen, die eine pro-russische Politik der Koexistenz mit Moskau befürworten. Polen, wie wir es heute kennen, würde aufhören zu existieren, und wir könnten es erst wieder aufbauen, wenn Russland seinen Einfluss verliert.”
Dieses Szenario erscheint heute plausibler denn je, auch wenn Russland nach wie vor unfähig zu sein scheint, die Ukraine zu besiegen und die UdSSR wiederherzustellen.
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