Portugal und Litauen: zwei Gesichter der Krise

In Lissabon hätte die Schocktherapie beinahe die Regierung zu Fall gebracht. In Wilna wird mit ihrer Hilfe Druck ausgeübt, um die Aufnahme Litauens in die Eurozone zu beschleunigen. Welche Schlüsse kann man daraus ziehen?

Veröffentlicht am 11 Juli 2013 um 13:03

Lissabon hat mit dem ehemaligen baltischen Tiger, der seit 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, mehr gemeinsam, als es scheint. Die beiden von schweren Rezessionen gebeutelten Länder haben in den letzten Jahren drastisch und eifrig Sparpolitik betrieben.

Zwei Stunden Zeitunterschied und 3.300 km Luftlinie voneinander entfernt: alles scheint Litauen und Portugal zu trennen. Mit dem Flugzeug muss man eine lange Strecke zurücklegen, um in die zwei Hauptstädte an den äußersten Rändern der Europäischen Union zu gelangen. Während der Sommerlethargie haben sich dennoch beide Länder auf ihre Art bei den Europäern in Erinnerung gerufen.

Litauen und seine energische Präsidentin Dalia Grybauskaite mit dem schwarzen Karate-Gürtel hat am 1. Juli die zwischen den 28 Mitgliedsstaaten halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft übernommen, gerade rechtzeitig, um Kroatien aufzunehmen.

Dagegen konnten Portugal und sein Ministerpräsident Pedro Passos Coelho nur knapp einer Krise riesigen Ausmaßes entkommen. Der plötzliche und unerwartete Rücktritt von Finanzminister Vítor Gaspar, einer wichtigen Säule der Regierung, war ein schwerwiegender Rückschlag für das Land, welches seit zwei Jahren auf die Hilfe der Eurozone und des Internationalen Währungsfonds angewiesen ist.

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Jedem sein Schicksal und seine Probleme in einem Europa, in dem die Entfernung bestenfalls zu Gleichgültigkeit, schlimmstenfalls zu Vorurteilen oder sogar Anfeindungen führt. In Litauen interessiert sich die Masse nicht für die politischen Turbulenzen Portugals.

Dort verfolgt man eher die Schandtaten der russischen oder weißrussischen Nachbarn. Die mächtigen Schreckgespenste drängen Litauen dazu, immer mehr die Annäherung zu Europa zu suchen. Und in Lissabon, wie überall im Westen des Kontinents, hat kaum jemand bemerkt, dass der weit entfernte Partner für sechs Monate über das Schicksal von 500 Millionen Europäern mitentscheiden wird.

Seit drei Jahren sind die Augen der Portugiesen eher nach Athen, Madrid, Berlin, Paris oder Washington gerichtet. Ohne Hoffnung, schon bald das Ende des Tunnels zu sehen, sind sie vor allem der Klasse der Lokalpolitiker überdrüssig, die sich nach zweijährigen Bemühungen unter Aufsicht der „Troika” gegenseitig zerfleischen.

Litauische „Rosskur”

In Zeiten der Eurokrise bilden die Hauptstädte dennoch zwei Seiten einer Medaille und haben mehr gemeinsam, als es den Anschein hat. Denn Litauen kennt sich auch in Sachen Rezession und Anpassung aus.

Unter dem Gewicht der Finanzkrise von 2009 bricht der ehemalige „baltische Tiger” zusammen: eine Rezession von 15 Prozent und damit die brutalste in Europa und ein böses Erwachen nach dem „Wunder” der postsowjetischen Jahre. Im Gegensatz zu seinem lettischen Nachbarn wollte sich die damalige konservative Regierung nicht unter die Fuchtel des Internationalen Währungsfonds begeben. Das Land sollte ganz allein und ohne Abwertung seiner Währung eine wahrhafte Rosskur durchlaufen.

Die Gehälter der Beamten wurden je nach Dienstgrad um 5 bis zu 50 Prozent geschrumpft. Die Ministerien entledigten sich eines Teils ihrer Angestellten. Da das immer noch nicht reichte, wurden sogar die Renten gekürzt. Das vom Parlament unterstützte Sparprogramm löste bei der Bevölkerung keinen Protest aus. Auch wenn alle Probleme längst noch nicht aus der Welt geschafft sind, kann das Land wieder Wachstum verzeichnen. „Du magst keine Sparpolitik? Versuchs mal mit Kommunismus!”, lautet die Devise an der Ostsee.

Der Kelch des Kommunismus ist an Portugal vorbeigegangen, nicht aber der des IWF – und der EU-Rettungsschirme. Nachdem das Land lange Zeit über seine Verhältnisse gelebt hat, setzt es seit zwei Jahren eine rigorose Sparpolitik durch, um ab 2014 wieder Zugang zu den Finanzmärkten zu erlangen. Angesichts der Lage liegt das rettende Ufer allerdings noch in weiter Ferne.

Reformeifer in Portugal

Trotz der täglich lauter werdenden Proteste aus der Bevölkerung haben die portugiesischen Politiker vor einem gewissen Eifer nicht zurückgeschreckt. Unter allen Ländern der Eurozone, denen unter die Arme gegriffen werden muss, ist es wahrscheinlich das Einzige, das teilweise den Forderungen der Gläubiger sogar zuvorgekommen ist.

Bisher hat die portugiesische Regierung und die „Troika” in erster Linie auf die Sanierung des Staatshaushaltes bestanden und Strukturreformen zunächst hinten angestellt. Das verhindert allerdings weder die Rezession noch die durch Massenarbeitslosigkeit ausgelöste Hoffnungslosigkeit.

Der relative Erfolg von Litauen, wo das Mindestgehalt unter 300 Euro liegt, ist kein echter Ansporn für die Portugiesen. Und die Probleme des portugiesischen Patienten machen der litauischen Führung keine Angst. Dalia Grybauskaite und ihre Regierung haben nur einen Gedanken: so schnell wie möglich der Währungsunion beitreten, im Idealfall am 1. Januar 2015.

Das von den Schwierigkeiten in Portugal und Griechenland gebrannte Kind EU hat es sicher nicht so eilig. Man kann sogar hoffen, dass die Union lieber die Eurozone stärkt, anstatt sie immer weiter zu vergrößern. Aber es braucht sehr solide Argumente, um die äußerst entschlossene Dalia Grybauskaite von ihren Plänen abzubringen.

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