Zu überprüfende Aussage: Ist es möglich, aus einem Land alle ausländischen Personen, einschließlich Asylbewerber*innen und „nicht assimilierbare“ Ausländer*innen mit oder ohne Staatsbürgerschaft abzuschieben?
Kontext: In Frankreich am Ende des 20. Jahrhunderts bereits verwendet und in den letzten Jahren unter den Vertreter*innen der radikalen Rechten wieder populär geworden, ist das Konzept der „Remigration“ in den Wortschatz nationalpopulistischer und identitärer Parteiführer*innen in Europa eingegangen. Gemeint ist damit die freiwillige oder erzwungene Rückkehr von Ausländer*innen, Asylbewerber*innen oder eingebürgerten Ausländer*innen, weil sie nicht in der Lage sind, sich zu integrieren und drohen, das „Gastvolk zu kontaminieren.”
Am 6. September hat die rechtsextreme Bewegung CasaPound im italienischen Grosseto angekündigt, eine Plattform für „Remigration“ und gegen die „Massenmigration“ zur Verteidigung der „nationalen Identität” ins Leben zu rufen. Diese soll anlässlich des italienischen Nationalfeiertages im September vorgestellt werden.
Remigration ist seit Jahren ein zentraler Begriff rechtsextremer Propaganda, wird jedoch immer häufiger auch von italienischen Politikern anderer Parteien verwendet. Wörtlich bedeutet er: „Rückwärtsmigration”, konkret bedeutet er die „erzwungene Rückkehr in das Herkunftsland.”
Der italienische Journalist Valerio Renzi ist Experte für Rechtsextremismus und Autor des Buches Le radici profonde. La destra italiana e la questione culturale (Fandango, 2025). Er erklärt, dass der Begriff zunächst in den 90er-Jahren unter französischen Rechtsextremen populär wurde, in letzter Zeit jedoch auch in anderen Ländern an Bedeutung gewonnen hat.
In Österreich hat insbesondere der Kopf der Identitären Bewegung Martin Sellner, ihn wieder populär gemacht. In Deutschland wurde das Konzept der Remigration im November 2023 auf einem Geheimtreffen von Rechtsextremisten, ethnonationalistischen Ideolog*innen, hochrangigen AfD-Funktionär*innen, CDU-Mitgliedern, Unternehmer*innen und Anwält*innen diskutiert. Die von der Online-Zeitung Correctiv veröffentlichten Enthüllungen lösten eine Welle der Empörung und Massendemonstrationen gegen Rechts in Deutschland aus.
In Italien wird seit Januar 2025 von Remigration gesprochen, nachdem Touristinnen ausländische Jugendliche - im Dialekt als „Maranza“ bezeichnet - wegen sexueller Belästigung in der Silvesternacht auf dem Piazza Duomo in Mailand angeklagt hatten.
„Von diesem Moment an haben alle mit den Rechtsextremen verbundenen Medien in Italien, ob Zeitungen oder Fernsehen angefangen, den Begriff zu benutzen. Innerhalb weniger Wochen verbreitete er sich, auch wenn er noch nicht in die Programme der traditionellen rechten Parteien aufgenommen wurde“, erklärt Renzi. Jedoch verwendet beispielsweise der Staatssekretär für Justiz, Andrea Delmastro, von der rechtsextremen Fratelli d’Italia den Begriff.
Am 26. Juli marschierten Vertreter*innen eines Netzwerks von rechtsextremen Parteien in Wien auf und verwendeten den Begriff in einer Demonstration, zu der dänische Aktivist*innen aufgerufen hatten. Sie waren Mitte Juli mit einem Transparent auf eine Moschee in Kopenhagen geklettert, auf dem sie die Ausweisung von Ausländer*innen und das Ende der Islamisierung Dänemarks gefordert hatten.
Dabei handelte es sich um das gleiche Netzwerk, das sich am 17. Mai bereits in Italien beim Remigration Global Summit 25 getroffen hat. „Das Forum fand in Gallarate, in der Nähe von Mailand, statt, weil die Organisatoren dachten, dass dies ein fruchtbarer Boden für diese Art von Propaganda ist. Letztlich haben aber keine prominenten Persönlichkeiten aus der italienischen Politik daran teilgenommen. CasaPound hat aber ihre eigene Kampagne zur Einführung des Begriffs gestartet. Die Plattform der rechtsextremen Bewegung wird im Rahmen des Nationalfeiertages im September offiziell präsentiert“, erklärt Renzi.
Während der Demonstration in Gallarate tönte Martin Sellner, der zu den Organisatoren gehörte, auf Social-Media: „In den vergangenen Tagen haben uns die linken Medien geholfen, unsere Veranstaltung publik zu machen, und morgen werden Millionen von Italiener*innen vom Begriff der Remigration hören.“
Unter den Referenten und Referentinnen der Veranstaltung im Mai waren auch Lena Kotre von der AfD, John McLoughlin von der irischen Nationalpartei und der belgische Politologe Dries Van Langenhove sowie weitere Personen, die mit identitären und neofaschistischen Gruppen verbunden sind. In Italien sind es vor allem Vertreter*innen der Lega Nord, die den Begriff Remigration verwenden.
Beim Protest in Gallarate hat beispielsweise General Roberto Vannacci, Europaabgeordneter und stellvertretender Sekretär der Lega, folgende Videobotschaft gesendet: „Es tut mir leid, dass ich nicht persönlich bei Ihnen sein kann für diesen wichtigen Termin, aber ich möchte Ihnen meine volle Unterstützung ausdrücken. Das Thema, das Sie heute ansprechen, ist mutig und notwendig, vor allem weil es viel zu lange aus der Debatte ausgeschlossen wurde: die Remigration.”
Für Vannacci ist Remigration kein Slogan, für ihn steckt ein konkreter Plan dahinter: „Alle, die unsere Gesetze nicht respektieren, unsere Werte ablehnen und unsere Kultur verachten, sollen in ihre Herkunftsländer zurückbegleitet werden.“
Ein irreführendes Konzept
Der Begriff wird von rechtsextremen Gruppen verwendet, um eine Verschwörungstheorie zu stützen, der nach der „große Austausch”, also die ethnische Substitution, verhindert werden muss. Auch wird so die Idee der Deportation verharmlost, obwohl sie eine illegale Praxis in Europa ist, bei der Ausländer willkürlich in andere Länder überstellt werden. In Italien wurde der Begriff Remigration 2025 von der Treccani-Enzyklopädie in die Liste der Neologismen aufgenommen.
„Vor allem die Identitären Bewegungen in Mitteleuropa setzen den Begriff erfolgreich durch. Regelrecht explodierte sein Gebrauch jedoch, als Donald Trump ihn in seinem Wahlkampf gegen Kamala Harris verwendete”, erklärt Renzi. In Europa ist der Österreicher Martin Sellner der Kopf der identitären Bewegungen. Sein Buch Remigration - ein Vorschlag (Antaios 2024) erscheint im September auch in Italien unter dem Titel Remigrazione bei einem toskanischen Verlag, der den Fratelli d’Italia nahesteht.
Auch zu erwähnen ist die Rolle der AfD, die den Begriff Remigration seit 2023 in ihrem Wahlkampf offiziell verwendet. Gleichzeitig wurde er in Deutschland 2023 zum Unwort des Jahres gewählt. Das Wort sei ein „rechter Kampfbegriff” und eine „beschönigende Tarnvokabel” (...) „für die Forderung nach Zwangsausweisungen und Deportationen”, begründete die Jury ihre Wahl. „Im Moment denkt die AfD darüber nach, auf den Begriff zu verzichten, weil er zu spaltend ist und Angst macht. Es gibt darüber eine Debatte innerhalb der Partei”, erklärt Renzi.
In Griechenland, wo die extreme Rechte ebenfalls kein Problem mehr damit hat, von der „Deportation” von Migrierenden zu sprechen, hat sich der Begriff der Remigration nicht durchgesetzt. Er wird bisher vor allem in den Medienberichten über die Aktivitäten der europäischen Rechtsextremen verwendet.
In Frankreich dagegen wurde der Begriff vor allem von der Identitären Bewegung publik gemacht, allen voran vom Bloc/Génération identitaire. Dieser führte den Begriff 2014 bereits in die öffentliche Diskussion ein, mit der Idee, einen Teil der Eingewanderten samt ihrer Nachkommen aus Frankreich in ihre Heimatländer zurückzuführen. 2022 wollte der damalige rechtsextreme Präsidentschaftskandidat Eric Zemmour das Konzept in einen konkreten politischen Vorschlag umwandeln, indem er während seines Wahlkampfs die Schaffung eines Ministeriums für Remigration ankündigte. Französische Medien und Forscher verbinden den Begriff „Remigration“ mit der verschwörungstheoretischen Theorie vom großen Austausch - le grand remplacement - die in der Propaganda rechtsextremer Kreise regelmäßig auftaucht.
Als stärkste Partei des Landes und potenzielle Regierungspartei vermeidet der rechtsextreme Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen und Jordan Bardella den Begriff Remigration. Er passt nicht in die Entteufelungsstrategie, („Dédiabolisation“, wie es in Frankreich genannt wird), an der die Partei seit Jahren erfolgreich arbeitet. Was sie jedoch nicht milder macht, denn der RN unterstützt harte Maßnahmen gegen Immigration (Einschränkungen des Geburtsortsprinzips, Bevorzugung französischer Staatsbürger*innen beim Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, Abschiebungen straffälliger Ausländer*innen). Der RN zog es bisher vor, nicht von Remigration, sondern von der „immigration de peuplement” zu sprechen. Damit ist eine dauerhafte Niederlassung eines Volkes auf fremdem Territorium in Abgrenzung zur temporären Arbeitsmigration gemeint.
Das national-feministische Kollektiv Nemesis hingegen verwendet den Begriff Remigration, wenn es um die Verteidigung der Frauenrechte gegen sexistische und sexuelle Gewalt geht. In diesem Zusammenhang sprechen sie von der „prädatorischen Vergewaltigung” („viol de prédation”) und meint damit Gewalt, die Frauen im öffentlichen Raum von Männern ausländischer Herkunft angetan wird. Laut ihren Statistiken – die weitgehend entkräftet wurden – würden diese Gewalttaten vor allem von Ausländern ausgeübt werden, die abgeschoben werden sollen. „Remigration bringt Frieden“, heißt es in ihren Posts auf Instagram oder X und auch sonst in ihrer Kommunikation.
Aber, was schlagen die Rechtsextremen mit dem Begriff Remigration eigentlich genau vor? Sie fordern damit die Abschiebung aller irregulären Ausländer*innen, aber auch aller „nicht assimilierbaren“, was sehr vage bleibt und mehr oder weniger restriktiv interpretiert werden kann. „Offensichtlich würde dies auch Massenabschiebungen von Personen bedeuten, die seit langer Zeit in unseren Ländern leben“, erklärt Renzi. Die Idee ist außerdem, Ausländer*innen nicht nur in ihre Herkunftsländer, sondern auch in Drittstaaten, zu denen sie keinerlei Verbindung haben, massenhaft abzuschieben.
Tatsächlich wäre dies momentan praktisch nicht durchführbar und diese Idee widerspricht in den meisten europäischen Ländern dem Grundgesetz. Doch versuchen Rechtsextreme auf diese Weise, die Grenze dessen, was in der Einwanderungspolitik diskutiert und getan werden darf, immer weiter zu verschieben und bisherige Tabus aufzuweichen. „Tatsächlich”, erklärt Renzi, „handelt es sich um eine Untermauerung des rassistischen Ansatzes in der Einwanderungspolitik.”
Stavros Malichudis von der Athener Zeitung Solomon hat an diesem Artikel mitgewirkt.
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