Nach euch kräht kein Hahn mehr. Kräne im Stillstand, Valencia (Spanien).

Schieben, sparen, streichen

Der Sparkurs, um gegen die Haushaltsdefizite anzukämpfen, zwingt die EU-Staaten zu radikalen Kürzungen bei Infrastrukturprojekten.

Veröffentlicht am 4 August 2010 um 13:23
anroir  | Nach euch kräht kein Hahn mehr. Kräne im Stillstand, Valencia (Spanien).

In Spanien hat die Regierung am 2. August Preissenkungen von bis zu 45 Prozent beim Aufkauf von Strom aus Photovoltaik-Anlagen angekündigt, was bis zu 600 Betreiber im Land in Schwierigkeiten bringen könnte. Auch die Windenergie ist betroffen, doch der härteste Schlag kam am 22. Juli vom spanischen Verkehrsminister José Blanco, der ankündigte, dass über 200 Infrastrukturprojekte, betroffen davon 112 Straßen und Autobahnen sowie 87 Eisenbahnstrecken, für vier Jahre auf Eis gelegt werden.

Der euphemistisch "Anpassungsplan" genannte Sparkurs, verschiebt 17 Prozent der Programme, aber 60 Prozent der für die Periode 2010-2011 vorgesehen Gelder. Zu diesem Aufschub kommt noch die Streichung von 32 Staatsaufträgen, die eigentlich schon vergeben waren. Circa ein Dutzend davon sollen nun in Joint Ventures mit privaten Investoren realisiert werden, die Liste steht aber noch nicht fest. Nur die Häfen und Flughäfen und einige Hochgeschwindigkeitslinien bleiben verschont.

1,1 Millionen spanische Arbeitsplätze bedroht

Von dieser radikalen Umstrukturierung des Sektors sind direkt 115.000 und indirekt 1,1 Millionen Arbeitsplätze bedroht. Die Finanzierungslösungen werden auch nicht von den Kommunen kommen, deren Ressourcen von der Immobilienkrise geschwächt sind. Die Immobilientransaktionssteuer brachte ihnen Einnahmen bis zu 16,7 Milliarden Euro im Jahr 2006, in diesem Jahr werden es nur rund 1,8 Milliarden sein!

Und auf EU-Ebene sind die Geldhähne bis auf weiteres abgedreht. Um künftig die spanischen Autobahnen finanzieren zu können, plant das Land die Einführung einer LKW-Steuer und von Mautgebühren und vor allem die Senkung der Baukosten um durchschnittlich 22 Prozent. Großbritannien ist der zweite große EU-Staat, der einen Sparkurs von noch nie dagewesenem Ausmaß vorsieht. Finanz-Staatssekretär Danny Alexander kündigte am 12. Juli die Streichung von zwölf Staatsaufträgen in einer Gesamthöhe von zwei Milliarden Pfund (2,4 Milliarden Euro) an.

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Bauunternehmen arbeitslos nach Millioneninvestitionen

Die Liste ist vielfältig und reicht vom neuen Krankenhaus in Wynard in Nordwesten Großbritanniens über die Tourismus-Attraktion der historischen Stätte von Stonehenge bis zu einem Gerichtsgebäude in Birmingham. Der Etat für den Bau von fünf neuen Gefängnissen wurde, obwohl eine Priorität der Konservativen, auf zwei zusammengestrichen. Schlechte Neuigkeiten für die beteiligten Bauunternehmen. Insgesamt wurden die Infrastrukturen relativ verschont. Nur der geplante Ausbau der Londoner Flughäfen Heathrow, Gatwick und Stansted wurde abgesagt, sehr zur Freude der Umweltschützer. Die Bauvorhaben im Schulsektor sind 2010 mit Einschnitten von 1,2 Milliarden Euro auch betroffen. Bis jetzt wurden 58 Projekte für insgesamt 715 Schulen gestrichen, und ein Audit soll über die Fortführung oder den Stopp weiterer Projekte entscheiden.

Die Bauunternehmen hatten zwar Sparmaßnahmen erwartet, aber nicht von diesem Ausmaß: "Eine Katastrophe! Manche Bauunternehmen haben Millionen ausgegeben, um die Staatsaufträge zu bekommen. Alle großen der Branche sind betroffen", sagt ein Manager eines dieser Bauriesen. In Frankreich sind die großen Bauvorhaben, vor allem die neuen Trassen des Hochgeschwindigkeitszugs TGV, verschont worden. Doch selbst wenn offiziell keine Projekte verschoben wurden, kommen viele nur noch schleppend voran. (js)

STANDPUNKT

Ja zum EU-Defizit!

Um eine Rezession zu vermeiden, "bleibt als einziger Spielraum ein EU-Defizit", schreibt Philippe Cayla, Chef des europäischen Nachrichtensenders Euronews in der Tageszeitung Le Figaro. Das Zulassen eines europäischen Defizits von nur drei Prozent des globalen BIPs der Union würde 420 Milliarden Euro Liquiditäten einbringen und die Ressourcen der Union vervierfachen. Was mit dem Geld gemacht werden soll? Investitionen in Infrastrukturen. Ein europäischer Hochgeschwindigkeitszug, ein europaweites High-Speed-Internet, Stromtankstellen für Elektroautos, um unsere Anhängigkeit vom Erdöl zu reduzieren, etc... an Ideen mangelt es nicht.

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