Nicht Shells größter Fan. Landhaus in Glenamoy Co. Mayo, Irland. Foto von Lapsed Pacifist.

The People vs Shell

Shells Corrib-Projekt, bei dem eine Pipeline von einem Erdgasvorkommen im irischen Atlantik bis zur entlegenen Ortschaft Erris im County Mayo führen soll, war von Anfang an umstritten, denn der niederländische Gigant wird verdächtigt, sich für die Gasempfangsstelle an Land über Gesundheits- und Sicherheitsregelungen hinwegsetzen zu wollen. Michael McCaughan berichtet von einer im Frühsommer abgehaltenen öffentlichen Anhörung, bei welcher die Gemeinde und die Aktivisten gegen die Experten von Shell antraten.

Veröffentlicht am 10 September 2009 um 14:52
Nicht Shells größter Fan. Landhaus in Glenamoy Co. Mayo, Irland. Foto von Lapsed Pacifist.

Seit bald acht Jahren führen die Einwohner der kleinen Ortschaft in der Gemeinde Kilcommon im County Mayo an Irlands Westküste nun schon Kampagne gegen ein Projekt der Firma Shell, bei welchem in einer durch ihre Region führenden Pipeline Erdgas aus dem Atlantik zu einer Raffinerie im Landesinneren transportiert werden soll. Ihr Protest stieß in den nationalen Medien auf wenig Widerhall, bis im Jahr 2005 fünf Männer aus dem Dorf Rossport verhaftet wurden, weil sie Shell den Zugang zu ihren Grundstücken verweigerten. In den folgenden Jahren wurden noch Hunderte mehr verhaftet, verbrachten insgesamt Monate im Gefängnis, während die Kampagne eine nationale und auch internationale Dimension annahm.

Während Shell die ökonomischen Vorteile des Projekts voranstellt, sind die Gegner des Vorhabens wie Shell to Sea der Meinung, dass beim Onshore-Teil des Projekts die Aspekte Gesundheit, Sicherheit und Umwelt zu kurz abgefertigt wurden. Die Pipeline vom Corrib-Gasfeld soll nun an Land stoßen, und so traten in einer öffentlichen Anhörung vor An Bord Pleanala (der irischen Planungsbehörde) die örtlichen Aktivisten mit ihrer gesammelten Sachkenntnis gegen die wissenschaftlichen Gewissheiten von Shell an. Bei der sechswöchigen Sitzung, die im Mai begann, kamen 120 Dokumente und 80 Vorträge ins Spiel.

Einschüchterung der lokalen Aktivisten

Die Anwohner sind überzeugt, dass die Behörde der Zwangsläufigkeit eines Projekts erliegen wird, das zu 80 Prozent vervollständigt ist und als eine Frage der nationalen Sicherheit übermäßig angepriesen wird. Ihre Vorträge konzentrieren sich auf die Eigenheiten der Pipeline, etwa ihr hoher Gasdruck, und auf den Mangel an Konsultation bei diesem Projekt. Langwierige Diskussionen über komplexe technische Fragen wurden mit Umsicht behandelt. Von Shell angeheuerte Consultants, die das Projekt in der Region verkaufen sollten, hatten nicht mit einer so rigorosen Untersuchung gerechnet und taten sich oft schwer, auf Fragen zu antworten.

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Auch außerhalb der Anhörung eingetretene Ereignisse beeinflussten die Stimmung. Die Spannungen zwischen der Gemeinde und Shell verschärften sich, nachdem Mitte Juni das Boot von Pat O’Donnell, einem Fischer und Aktivisten, der sich dem Projekt in seiner jetzigen Gestalt entgegensetzte, von Unbekannten versenkt wurde. Aus Solidarität zogen sich die Anwohner vorübergehend von der Anhörung zurück. Vorher war im April bereits der Landwirt Willie Corduff von maskierten Männern angegriffen worden. Corduff, der daraufhin ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatte dagegen protestiert, dass Shell das Gebiet des geplanten Landgangs der Pipeline einzuzäunen versuchte, da er und auch andere dies als illegal ansahen.

Abstriche und Änderungen bei den Sicherheitscodes

Die Corrib-Hochdruckgasleitung trifft in Glengad Beach anhand eines geheimnisumwitterten Mechanismus auf eine Ventilinstallation an Land. "Es ist eine Pipeline wie jede andere", behauptete man bei Shell drei Tage lang, bis dann unter der strengen Prüfung klein beigegeben wurde. Ist die Pipeline ungewöhnlich? "Ja", kam die einfach Antwort. Phil Crossthwaite, Risikoanalyse-Berater für Shell, kritisierte seine Klienten wegen "Abstrichen und Änderungen" bei den Sicherheitscodes, was als "nicht besonders gute Vorgehensweise" betrachtet wird.

Unterdessen gab der Pipeline-Consultant des Bord Pleanala, Nigel Wright, seine Bedenken kund, der Bauträger habe substantielle Risikofaktoren wie interne Korrosion, Methanhydrat, Konstruktionsfehler und unstabilen Rohrlauf im Torfmoor nicht ernst genug genommen. Wright zog den "Gas-Ultrahochdruck" von 144 bar, also fast doppelt so hoch wie bei normalem Gastransport in Irland und Großbritannien, in Zweifel. Er wunderte sich lautstark, ob das Unternehmen etwa gerade dabei sei, "ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt" durchzuführen anstatt der Erschließung eines hoch komplexen Gasfelds, das höchstes Maß an Gesundheits- und Sicherheitsgarantien erfordert. Die Beobachter reagierten auf diese Frage perplex.

Die Flucht aus dem Todesstreifen

Das Fehlen eines umfassenden Rahmens sowie eines Managementplans für Sicherheit und Kontrolle des Projekts führte dann zum Vorschlag eines 30-Sekunden-Plans seitens Shell, bei welchem alle Anwohner egal welchen Alters in einem Tempo von 2,5 Meter pro Sekunde laufen müssten, um im Fall eines Pipeline-Bruchs nicht in Flammen aufzugehen. Shells Experten waren offensichtlich noch nie selbst über das Torfmoor gelaufen, ein in jedem Tempo schwer zu bewältigendes Gelände, und gingen davon aus, dass man nach einem eventuellen Unfall innerhalb von 30 Sekunden Schutz finden könne. Wer das Gebiet kennt, weiß jedoch, dass beim Schafehüten oder beim Torfstechen entlang der vorgeschlagenen Pipelinetrasse der nächste Unterschlupf weit entfernt ist.

An der Gasempfangsstelle an Land soll durch die Shell-Ventilinstallation der Druck von 345 bar auf 144 bar entspannt werden. Diese Installation liegt jedoch bereits an Land, oberhalb des Strands von Glengad, und setzt somit die Anwohner der Gefahr aus, dass Erdgas unter einem Druck von 345 bar in einer deutlich kürzeren Entfernung als der Standardentfernung von 500 Metern von ihren Wohnhäusern an Land kommt. Dazu wird die dicke Pipeline, die von 3,79 Tonnen Stahl getragen wird, Erdsenkungen im unstabilen Torfmoor verstärken. In einem ganz offensichtlichen Versehen zählte Shell in seinem "Environmental Impact Statement" von 2008 nur 49 Wohnstätten auf dem Trassenverlauf der Pipeline. Ein Jahr später gehören zum überarbeiteten Statement nun 82 Wohnstätten, davon 79 innerhalb der tödlichen 500-Meter-Zone. Eine davon gehört einem Rentnerehepaar und ist nur 40 Meter von der geplanten Trasse entfernt.

Shells Anwalt zitierte die EU-Habitatrichtlinie, die besagt, dass ein Bauprojekt ohne Rücksicht auf "negative Auswirkungen" oder "das Fehlen von Alternativlösungen" weitergeführt werden darf, wenn "zwingende Gründe in einem überwiegenden öffentlichen Interesse, darunter soziale und wirtschaftliche Gründe" auf dem Spiel stehen. Die bevorzugte Trasse kann jedoch mit unüberwindbaren rechtlichen Schwierigkeiten rechnen, da EU-Habitate Energiesicherheitsbelange übertrumpfen könnten. Das Umweltministerium gab in seinem letzten Vortrag über den Bau einer Steinstraße und die Verlegung der Pipeline bekannt, "es bestünden wissenschaftlich begründete Zweifel über das Ausbleiben nachteiliger Auswirkungen auf die Unversehrtheit des Geländes". Wenn die Behörde nicht zu dem Schluss kommen könne, dass der vorgeschlagene Bau die Unversehrtheit des Geländes nicht gefährdet, *"dann darf sie ihre Zustimmung nicht geben*".

Shell übersah sicherere Alternativen

"Überwiegende" ökonomische und soziale Interessen gelten nur dann, wenn es keine Alternativlösung gibt. Die Bevölkerung von Erris hat schon seit langem das abgeschiedene Glinsk als mögliche Alternative identifiziert. Ein Sachverständiger beschreibt Glinsk als "einen weitaus überlegenen Standort, was Gesundheit, Sicherheit und Umweltfragen betrifft". Aus Fragen zu diesem Thema verwies Shell ausweichend auf ein früheres Informationsdokument von derselben Firma, in welchem eine Pipelinetrasse empfohlen wurde, die durch Dooncarton geführt hätte... wo sich 2003 ein verheerender Erdrutsch ereignete.

In einem letzten Vortrag bemerkte ein Anwohner, die Gemeinde versuche seit über acht Jahren, "dem Antragsteller (Shell) dabei zu helfen, diese 'Corrib-Titanic' zu einem sichereren Projekt zu machen – doch alle Hilfsangebote wurden zurückgewiesen". Dieser und weitere Vorträge bestätigen das, was sich die Mainstream-Medien entschlossen weigern anzuerkennen: nämlich dass die breite Mehrheit der lokalen Bevölkerung durchaus möchte, dass das Erdgas an Land gebracht wird, das Projekt jedoch in seiner jetzigen Form als Fehlschlag betrachtet. Shell erkannte während der Anhörungen an, dass es bei diesem Projekt nach dem Prinzip "des geringsten Widerstandes" vorgeht anstatt sich an das Vorsichtsprinzip zu halten. Angesichts dieses Zugeständnisses fürchten die Einwohner von Erris für ihr Leben.

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