Überschwemmungen in Mitteleuropa: Schuld ist der vom Menschen verursachte Klimawandel

In den letzten Wochen wurde Europa von Regenfällen heimgesucht, die zu den stärksten gehörten, die je verzeichnet wurden. Ein Blick in die Nachrichtenpresse zeigt, wie heikel die Berichterstattung darüber ist, weil es für eine wissenschaftliche Analyse Zeit braucht.

Veröffentlicht am 10 Oktober 2024

Mit der „Attribution von Extremereignissen“ bestimmt die Wissenschaft, wie der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit oder Intensität bestimmter extremer Wetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen beeinflusst hat. Solche Studien durchlaufen ein Peer-Review-Verfahren und werden in der Regel erst Monate oder sogar Jahre nach einem Ereignis veröffentlicht.

Alternativ dazu haben die Forscher der World Weather Attribution (WWA) eine schnellere, aber trotzdem solide wissenschaftliche Studie durchgeführt und kamen zu dem Schluss, dass der Klimawandel schuld daran ist. Ihre verwendete Methode besteht aus acht Schritten, die hier beschrieben werden.

Die Überschwemmungen, die im September in Mitteleuropa 24 Menschen töteten, wurden durch den vom Menschen verursachten Klimawandel doppelt so wahrscheinlich. Die WWA-Studie fordert die Leser zum Handeln auf, weil durch Erderwärmung ausgelöste Überschwemmungen in Zukunft noch zerstörerischer werden. Sie verweist außerdem auf die steigenden Kosten, die der Klimawandel fordert: 10 Milliarden Euro hat die Europäische Union für die Reparatur der durch die jüngsten Überschwemmungen verursachten Schäden bereits zugesagt.


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Natürlich hat sich auch die EU-Politik dem Thema gewidmet. Während der ersten Plenarsitzung des neu gewählten Europäischen Parlaments führten die Abgeordneten eine Debatte über die verheerenden Überschwemmungen, den Verlust von Menschenleben und die Bereitschaft der EU, auf solche Katastrophen zu reagieren, die - wie sie zugaben - „durch den Klimawandel verschlimmert werden“.

Das Problem für Journalisten besteht darin, einerseits schnell über solche Notfälle berichten zu müssen und andererseits den Zusammenhang zwischen Klima und Starkregen mit dem nötigen Abstand zu erklären. Manchen von ihnen in den betroffenen Ländern, darunter Österreich, Tschechien, Ungarn, Italien, Polen, Rumänien und die Slowakei, ist das gelungen. 

Teresa Wirth etwa spricht von einem „Hochwasser mit Zwischentönen”. In der österreichischen Zeitung Die Presse schreibt sie, dass die Antwort des WWA eigentlich alle zufrieden stellen sollte. „Blöd nur, dass eine Geschichte, die nicht schwarz-weiß ist, eine Geschichte mit Zwischentönen, oft schwerer zu verstehen, oder, für Politik wie Medien, schwerer zu vermitteln ist.

Antonio Piemontese sprach in Wired Italy mit Enrico Scoccimarro, dem Direktor der Abteilung für Klimaprognosen des Euro-Mediterranean Center on Climate Change, der betonte, dass die Wissenschaft es gar nicht eilig habe könne: „Wir brauchen Wochen, um eine Antwort zu geben, da unsere Arbeit auch von der Verfügbarkeit der für die Verarbeitung der Daten erforderlichen Computerressourcen abhängt.”

Was man jedoch sicher sagen kann, ist, „dass die höhere Temperatur der Ozeane zu einer Konstante geworden ist und dieser Faktor zusammen mit der größeren Wassermenge, die in einer wärmeren Luftsäule enthalten ist, die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen dieser Art erhöht. Dies lässt sich sowohl anhand historischer als auch zukünftiger Daten nachweisen. „Angesichts der Rückkehr der Klimaleugner ist es für die Medien eine Notwendigkeit, sich an Fakten zu halten“, da man nur so die gegnerische Rhetorik widerlegen könne, betont Piemontese. 

„Eine weitere Schlüsselfrage“ besteht für ihn darin, „ob Europa in der Lage war, die Auswirkungen solcher Wassermassen auszuhalten. Etwas Ähnliches wie der Wirbelsturm Boris hatte sich im Mai 2023 mit dem Hochwasser in der Emilia-Romagna ereignet, als sintflutartige Regenfälle Italiens Norden heimgesucht und große Schäden verursacht hatten. Angesichts der Tatsache, dass zur Bekämpfung der globalen Erwärmung vor allem Treibhausgasemissionen reduziert werden müssen, bleibt die Frage der Anpassung auf dem Tisch - also die Reihe von Maßnahmen, die nützlich sind, um das Ausmaß der Schäden bei Klimakatastrophen zu reduzieren - wie es in letzter Zeit geschehen ist.“

Andere Medien in den am stärksten betroffenen Ländern zählten die Opfer und Schäden auf und zeigten sich besorgt über die Zukunft, in der sich extreme Wetterereignisse wahrscheinlich immer häufiger ereignen werden.

So berichtet Teodora Marinescu in Adevărul über die Auswirkungen des Unwetters in Rumänien: „Der Verkehr wurde auf einer Bahnstrecke vorübergehend eingestellt. Dazu kamen Dutzende von umgestürzten Bäumen, überflutete Häuser und 5.438 Menschen, die wegen der Überschwemmungsgefahr evakuiert wurden oder sich selbst evakuiert haben.“

Katarzyna Przyborska von Krytyka Polityczna sprach mit dem polnischen Europaabgeordneten Michał Kobosko, der die Lage auf den Punkt brachte: „Wir müssen uns sowohl mit den Auswirkungen als auch mit der Ursache des Hochwassers befassen. Wenn wir solche Situationen, wie wir sie in den letzten Tagen im Kłodzko-Tal gesehen haben, nicht mehr erleben wollen, müssen wir dieses Problem langfristig und mit der gebotenen Ernsthaftigkeit angehen und die Kosten dafür nicht nur in den polnischen Haushalt, sondern auch in den Haushalt der Europäischen Union für die Jahre nach 2027 aufnehmen“, fügte er hinzu.

In der tschechischen Zeitung Deník Referendum führte Matej Moravansky ein Interview mit Diana Ürge-Vorsatz, Professorin für Umweltwissenschaften und stellvertretende Vorsitzende des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC). „Wir fangen gerade erst an, uns vorzustellen, was im schlimmsten Fall passieren wird, wenn wir heute keine aktiven und starken klimapolitischen Maßnahmen ergreifen“, sagte sie darin. „Die jüngsten Überschwemmungen zum Beispiel, die zu den extremsten gehören, die wir je erlebt haben, könnten praktisch alltäglich werden.“

In Tschechien sorgen sich die Medien derweil um den bevorstehenden Winter. „Tausende von Menschen sind nach den Überschwemmungen immer noch ohne Strom, Gas oder Wasser [...] und in einigen Gemeinden werden die Netze mehrere Monate lang nicht funktionieren“, beschreiben Iva Bezděková und Tomáš Linhart die Situation für die Zeitung Deník N.

In Ungarn schreibt Rita Slavkovits für HVG: „Der Klimawandel kommt nicht, er ist schon längst da“. Die rechtsextreme Regierung von Viktor Orbán hat sich jedoch nicht gerade als hilfreich erwiesen, indem sie die Beziehungen ihres Landes zu Brüssel gestört und die EU-Finanzierung gefährdet hat. „Es gibt nicht genug Geld, um die durch den Klimawandel verursachten Schäden zu verhindern, aber die ungarische Regierung arbeitet nicht daran, Zugang zu EU-Geldern zu bekommen“, schreibt Slavkovits.

Nach Einschätzungen des WWA wird es erneut zu verheerenden Überschwemmungen kommen. Mathilde Frénois in Reporterre berichtet von Bürgern, die ein Unwetter in Cannes am 23. September als „apokalyptisch“ bezeichneten. „Wir müssen es wagen, Feuchtgebiete zu erhalten“, sagt ihr die Umweltschützerin Juliette Chesnel im Interview und fügt hinzu: „Doch dazu braucht es mutige Politik“. 

Für Jeannine Blondel, Präsidentin von France Nature Environnement 06, ist es dazu jedoch schon „zu spät“, denn „die landwirtschaftlichen Flächen, die als Schwamm fungieren sollten, sind bereits völlig verschwunden. Cannes ist eine der wenigen Städte an der Côte d'Azur, die versucht, etwas gegen die Überschwemmungen zu unternehmen. Aber das reicht nicht aus“- lautet ihr bitteres Fazit.

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ECF, Display Europe, European Union

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