Nachrichten Endstation für den Euro 3/4

Wall Streets gnadenlose Diagnose

Die um den US-Finanzguru George Soros und den ehemaligen EU-Kommissar versammelte Elite der Hochfinanz kann nur feststellen, dass der Euro aufgrund der Unfähigkeit der europäischen Politik in der Sackgasse steckt.

Veröffentlicht am 16 August 2011 um 14:09

Sonntag, 27. Mai 2012, New York, Plaza Athenee. In dem schicken Salon des etwas altmodisch angehauchten Hotels der Upper Eastside betont die diskrete Beleuchtung den weichen Faltenwurf der Vorhänge und schmeichelt den goldsamten bezogenen Empire-Stühlen.

Hier versammelt ein einflussreicher Manager regelmäßig die Finanzelite, sowie einige hochrangige Diplomaten. An diesem Abend sitzen sich in der Mitte des Tischs John Paulson und George Soros gegenüber. Das Imperium des ersten ist 37 Milliarden Dollar schwer, das des zweiten 28 Milliarden. Des Weiteren ist der Blackstone-Boss Stephen Schwarzman anwesend, der über ein 100 Milliarden Dollar-Imperium herrscht. An der Wall Street mehr als anderswo ist Reichtum ein relativer Begriff.

Neben den Investoren sind eine handvoll Diplomaten gekommen, um zu hören, was die zwei Orakel über Europa, welches dem Rest der Welt in diesem Mai 2012 Kopfzerbrechen bereitet, zu sagen haben. Der ehemalige EU-Kommissar und Berater der Bank Goldman Sachs, Mario Monti, nimmt zum ersten Mal an einem dieser ideas dinners teil. Neugierig wartet er auf den Beginn der Debatte. Er ist auf den Rang eines bedeutenden Vertreters des Alten Kontinents erhoben worden, nachdem sein Landsmann Tommaso Padoa-Schioppa bedauerlicher Weise verstorben ist.

Seit vierundzwanzig Stunden brodelt die Gerüchteküche über eine interne Allianz innerhalb von FDP und CDU gegen Kanzlerin Merkel. Spiegel Online hat es in die Welt gesetzt. Am Nachmittag des 25. Mai landete die Online-Ausgabe des Hamburger Wochenmagazins ihren Coup.

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Unter der Schlagzeile „Der Pakt für das Euro-Ende“ meldet ein Artikel, dass Kanzlerin Merkel von den eigenen Reihen im Bundestag überstimmt werden wird, und es Ende 2012 zu vorgezogene Neuwahlen kommen könnte.

Unter dem schlichten Titel „Vorschlag für einen Koalitionsvertrag“ kann man auf der Website ein anonymes Arbeitspapier herunterladen, welches auf zwei Seiten die Umrisse für einen „geordneten Ausstieg“ aus der Eurozone bis zum 1. Januar 2014 und einen neuen Vertrag zwischen Christdemokraten und Liberalen darlegt. Die Quellen des Artikels bleiben ebenso anonym, mit Ausnahme des Fraktionsvorsitzenden der CDU im Bundestag Volker Kauder, der munter dementiert und die „verantwortungslosen Spekulationen“ von sich weist.

Nicht nur, dass die Investoren in Panik geraten: der Scoop des Spiegel droht Italien in Spanien den Zugang zu den Finanzmärkten zu versperren, und das in dem Augenblick, in dem verfassungsrechtliche Bedenken in Deutschland den Europäischen Stabilitätsmechanismus in Frage stellen. Einmal mehr steht Europa auf der Kippe.

„Es ist schon tragisch mit ansehen zu müssen, wie sehr die Lehren aus der Großen Depression in Europa und insbesondere in Deutschland nicht gezogen worden sind“, kommentiert Soros. „Die Last den Schuldnerländern allein zu überlassen ist blanker Wahnsinn. Sie werden regelrecht in die Rezession getrieben. Eine Hetzjagd im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ehrlich gesagt, ich glaube nicht an diese Story eines freiwilligen Austritts Deutschlands aus der Eurozone, den die Presse kolportiert. Die Mehrheit der Deutschen irrt, aber sie ist nicht lebensmüde.“

- Aber George, bei Ihnen hört man eher das Risko eines Bruchs heraus, als eine mögliche Konsolidierung der Region...

- Genau da liegt das Paradox. Es ist beeindruckend zu sehen, wie die beiden Alternativen offen leiben, trotz der tragischen Wendungen der Ereignisse. Die wichtigsten Fortschritte wurden auf institutioneller Ebene gemacht. Da gibt es ein interessantes, neues Fundament. Der geschickte Schachzug mit der Schaffung des „Kirchberg-Clubs“ im Zuge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war ein Meisterstück. Man kann gar nicht genug betonen, wie sehr die Europäische Zentralbank eine Revolution in die Wege geleitet hat. Alles, was seit 2010 geschaffen wurde, geht in Richtung eines europäischen Finanzministeriums, für das ich schon immer plädiert habe. Und ich stand nicht allein da. Dominique Strauss-Kanh wurde für diese Idee im April 2010 am King’s College dafür ausgebuht. Und Jean-Claude Trichet ist es im selben Jahr kaum besser ergangen. Doch die Idee setzt sich durch. Nur mit einer massiven Bündelung der Schulden im Rahmen einer europäischen Steuerbehörde kann die Schuldenkrise in der Eurozone bewältigt werden.

- Danke George. Ich weiß nicht, ob man ihre Worte eher als optimistisch oder pessimistisch bezeichnen kann. Mario, möchten Sie etwas erwidern?

- Ich teile selbstverständlich Georges Meinung und zwar in zweierlei Hinsicht: Die Lage ist zwar ernst, aber nicht völlig hoffnungslos. Und was die Frage eines europäischen Finanzministeriums betrifft, die sicherlich eine Schlüsselfrage ist, so würde ich dies mit einem Dilemma zusammenfassen. Da gibt es einerseits den Bundestag, der - kurz gesagt - will, dass das Finanzministerium seiner Autorität unterliegt und auf der anderen Seite das Europäsche Parlament, das mit ebenso stichhaltigen Argumenten fordert, die nationalen Finanzminister sollen ihm nachweisen, dass sie im gemeinsamen europäischen Interesse handeln. Eine institutionelle und verfassungsrechtliche Situation, die buchstäblich unentwirrbar scheint. Ganz ehrlich gesagt, ich sehe keine evidente Lösung.

- Sie suchen nach einem politischen Genie, um den Knoten zu lösen.

- Wenn Sie eines kennen, sagen Sie ihm, dass es in Brüssel willkommen ist. Scherz beiseite. Ich möchte den Ernst der Lage nicht kleinreden. Europa braucht Luft, braucht Liquiditäten...

Er blickt auf und sieht auf seine chinesischen und russischen Tischnachbarn...:

„Liquiditäten, nicht mehr, nicht weniger. Und glauben Sie mir, die Europäische Union würde das Ende der Gemeinschaftswährung nicht überleben, denn würde Deutschland durch den steigenden Kurs seiner Währung das Messer an die Kehle gesetzt, würde der Druck immer größer, alle Haushaltsdisziplin in Europa über den Haufen zu werfen, um somit angeblich die Wettbewerbsfähigkeit zu schützen. Nehmen Sie Europa die Gemeinschaftswährung und den gemeinsamen Markt, dann bleibt nicht mehr viel übrig. Für den Rest der Welt wäre dies das Ende der Multilateralität. Ich stelle also die Frage: Wer hätte ein Interesse an einer Welt, die nur auf bilateralen Beziehungen basiert? Niemand, glauben Sie mir.

- Glauben Sie an die Hypothese eines Finanz-Crashs in Europa?, fragt in dem Moment der Gastgeber Paulson.

- Ein Crash? Ich denke nicht. Man kann aber einen Crash nie voraussagen, antwortet Paulson mit einem Lächeln. Doch ich denke es kommt zur einem strukturellen Anpassung, das bestimmt.

Fortsetzung folgt...

(Aus dem Französischen von Jörg Stickan)

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