Links, Rechts. Enrico Letta: "Endlich eine große Koalition"

Was der neuen Generation am Steuer bevorsteht

Nach zwei Monaten politischer Krise scheint die neue Regierung unter Enrico Letta zumindest teilweise auf den Ruf nach Erneuerung der politischen Klasse in Italien einzugehen. Bleiben noch ein paar unbekannte Faktoren, angefangen beim Bündnis mit Silvio Berlusconi und dessen juristischen Sorgen.

Veröffentlicht am 29 April 2013 um 16:03
Links, Rechts. Enrico Letta: "Endlich eine große Koalition"

Niemand kann die Schwierigkeiten unter den Teppich kehren, die der neuen Regierung bevorstehen. Letztere hat die Basis für ein Bündnis gelegt, das nur schwer das Stadium eines halb fortschrittlichen, halb konservativen Hirngespinsts überwinden wird. Die politische Linie ist unklar, die Wähler aus Mitte-Links sind erregt und verwirrt durch den mit Berlusconi geschlossenen Pakt.

Diese Regierung ist zudem eine Notlösung, die auf ein – gelinde gesagt – nebulöses Wahlergebnis zurückzuführen ist. Sie besitzt keine klare Mehrheit und die demokratische Partei (PD) – die führende Partei des Landes – liegt aufgrund ihres katastrophalen Managements der Präsidentschaftswahlen in Trümmern.

Und doch steht diese Regierung in gewisser Weise für einen Wendepunkt im Sumpf der italienischen Politik. Auf einmal wurden fast alle führenden Köpfe, die das Land in den letzten 20 Jahren geleitet und geformt hatten, weggefegt.

Es fehlte nicht an Druck zugunsten eines Status quo – sowohl von Seiten der beiden Parteien als auch von außen. Doch der Drang nach Erneuerung und Nachwuchs siegte letztendlich.

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Der Präsident der Republik, Giorgio Napolitano, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Und der Ausgang ist fürs erste überraschend: Die gemäßigte Linke verliert ihre historischen Anführer. Manche von ihnen versuchten – nicht ohne Nachdruck –, im neuen Kabinett Fuß zu fassen, was ihnen jedoch nicht gelang. Damit verspielten sie vielleicht ihre letzte Chance [, wieder zur Regierung zu gehören].

Ohne Berlusconi

Zum ersten Mal seit 1994 gehört die rechte Mitte zu einem Regierungsteam ohne Silvio Berlusconi. Dieser, Symbol seiner Zeit, hat keinen Sitz und seine ehemaligen Minister auch nicht.

Der aus dem Amt scheidende Ratspräsident Mario Monti blieb ebenfalls auf der Strecke. Ein „Neuling“ in der Politik, mit 70 Jahren. Wir erleben da zweifellos das Ende eines Zyklus. Die Frage bleibt, ob es auch der Anfang eines New Deals ist.

Das Durchschnittsalter der Mitglieder in Lettas Team ist im Vergleich zum letzten Kabinett deutlich gesunken. Viele junge Menschen und viele Frauen. Und zum ersten Mal in Italiens Geschichte gibt es einen Minister afrikanischer Herkunft.

Dies veranschaulicht am besten den Wandel der italienischen Gesellschaft und Bevölkerungsstruktur. Mit seiner Entscheidung ist es dem Ministerpräsidenten zweifellos gelungen, ein Team aufzustellen, das besser ist als das dahinter stehende Bündnis.

Wenn man sich diese Koalition vor Augen hält, dann hat er vielleicht das Schlimmste verhindert. Jedenfalls sind diese zum Teil notwendigen Beschlüsse bezeichnend für einen Punkt, nach dem es kein Zurück mehr gibt.

Italien räumt auf

Es wird in Zukunft schwierig sein, zu den Symbolen der alten Generation zurückzukehren, ob bei den nächsten Wahlen oder bei der Bildung einer neuen Regierung. Italien räumt auf, wie in den Jahren 1992-1994, aber ohne die Gerichtsverfahren.

Mit der aktuellen Aktion geht eine der typischen Untugenden Italiens zurück: die quasi feudalistische Bevormundung durch die dominierenden Amtsträger – der soziale Aufstieg ist oft blockiert, die Politiker klammern an ihrer Macht.

Für Enrico Letta ist dies jedoch nur eine erste Hürde. Deren Überwindung kostete ihren Preis: Er übergab das mächtige Innenministerium an Angelino Alfano, die rechte Hand des Cavaliere. Ein Ministerium, das auch entscheidend für die juristischen Probleme des PDL-Chefs ist.

Die demokratische Partei hat fast alle großen Ministerien verloren und hält sich zum Ausgleich an den sozial-kulturellen Ministerien fest. Diese Situation wird den neuen Bewohner des Palazzo Chigi [Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten] dazu zwingen, täglich mit den Vorbehalten von Mitte-Rechts und den Voraussetzungen des Wandels zu jonglieren.

Denn das Unbehagen der linksliberalen Sympathisanten und in der öffentlichen Meinung wird sich letztendlich äußern. Die Widersprüche sind zu deutlich und die Konfrontation der letzten 20 Jahre zu offen.

Schwer reformierbare Ungerechtigkeiten

Die Interessenkonflikte, die maßgeschneiderten Gesetze und die Wirtschaftspolitik, die Ungleichheiten verstärkte und die Kluft zwischen Reich und Arm im Land noch vertiefte, können nicht von heute auf morgen vergessen werden. (Zehn Prozent der reichsten Haushalte besitzen heute knapp 45 Prozent des Gesamtreichtums des Landes.)

Ganz bestimmt weiß Enrico Letta, dass das Haupthindernis auf seinem Weg der Cavaliere sein wird. Insbesondere dessen politische Zungenfertigkeit, die in direktem Verhältnis zu seinen juristischen Problemen steht. Das wird die wirklich unkontrollierbare Variable für den Palazzo Chigi sein.

Enrico Letta wird beweisen müssen – auch seinen störrischsten Wählern –, dass diese Verbindung von Karpfen und Hase für das Land nützlich ist und dass sich das Bündnis mit Mitte-Rechts nicht schädlich auswirken wird. (PLM)

Italien-Deutschland

Optimismus in Brüssel, Bedenken in Berlin

Nach der Ernennung der Regierung von Enrico Letta „schwankt das vorherrschende Gefühl in Brüssel zwischen Vorsicht, Beruhigung und Optimismus“, heißt es in Il Sole 24 Ore. Die italienische Wirtschaftszeitung schreibt:

Italien wird in der Staatsschuldenkrise in mehrerer Hinsicht als entscheidend betrachtet. Bis jetzt haben die Märkte dem italienischen Establishment vertraut. [...] Brüssel hofft auf ein möglichst langes Bestehen der neuen Regierung, damit nicht zu schnell wieder neue Wahlen anfallen. [...] Dass es in Italien wieder eine Exekutive mit allen Vollmachten gibt, hat auch den Nutzen, dass sich das Kräfteverhältnis innerhalb des EU-Rats wieder auszugleicht. Die französische Schwäche, die spanische Anfälligkeit und die italienische Ungewissheit haben Berlin ein Gewicht verliehen, das weder Europa noch Deutschland zusagt.

Lettas Vergangenheit als EU-Abgeordneter trägt zwar dazu bei, seine europäischen Partner zu beruhigen, doch kurz nach seiner Ernennung erklärte er schon, die EU müsse „diese zu sehr auf das Sparen orientierte und nicht mehr ausreichende Politik ändern“. Dies habe die deutsche Regierung und insbesondere den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble zutiefst verstimmt, meint Linkiesta:

In Berlin wird befürchtet, die neue Regierung werde die Debatte in Gang halten, die letzte Woche durch die Erklärungen von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso](3716971) über die „Grenzen der Sparpolitik“ eröffnet wurde.

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