EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn bei einer Pressekonferenz zu den Herbstaussichten, November 2011, Brüssel

Wie Brüssel Griechenland verwüstet

Das in einer bodenlosen Rezession versunkene Griechenland wird von einer “inkompetenten” EU und ihrem “unbarmherzigen” Währungskommissar Olli Rehn erstickt, moniert Peter Oborne in einer beißenden Kritik.

Veröffentlicht am 17 Februar 2012 um 16:17
EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn bei einer Pressekonferenz zu den Herbstaussichten, November 2011, Brüssel

Seitdem ich mich erinnern kann, belächelt das britische Establishment die EU als etwas inkompetent und korrupt, neigt aber dazu, sie als gutartige, ja sogar positive Kraft in dieser problematischen Welt zu betrachten. Nun wird es immer schwieriger, diese Einstellung aufrechtzuerhalten, hat diese Partnerschaft der Nationen sich doch plötzlich als brutaler Unterdrücker entpuppt, die demokratische Regeln, nationale Identität und das Leben einfacher Leute verachtet.

Zur Wende kam es diese Woche, als die Brüsseler Bürokraten drohten, ein ganzes Land bankrottgehen zu lassen, wenn die Oppositionsparteien nicht versprechen, das von der EU vorgeschriebene Sparprogramm zu unterstützen.

Rücken wir das griechische Problem einmal ins richtige Licht. Die Weltwirtschaftskrise in den Dreißigerjahren gehört heute zum britischen Nationalmythos. Damals bestimmten öffentliche Suppenküchen und Massenarbeitslosigkeit das Bild, das George Orwell in seinen großartigen Romanen beschrieben hat.

Ein unzumutbares Leben

Das britische Bruttoinlandprodukt (BIP) ging zu dieser Zeit um 10 Prozent zurück. In Griechenland ist das BIP seit 2008 bereits um satte 13 Prozent geschrumpft. Den Experten zufolge soll es bis Ende des Jahres weitere 7 Prozent einbüßen. In anderen Worten wird die Rezession an Weihnachten in Griechenland doppelt so tief sein wie die schreckliche Wirtschaftskrise, die Großbritannien vor 80 Jahren heimsuchte.

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Der europäischen Elite ist das egal. Anfang der Woche warnte Olli Rehn, Chefökonom der EU, vor den “verheerenden Folgen” eines griechischen Staatsbankrotts. Der Kontext seiner Bemerkung lässt darauf schließen, dass er mehr um die fatalen Folgen für das übrige Europa besorgt war als um die Auswirkungen auf die Griechen.

Die Euro-Elite scheint es offensichtlich nicht zu stören, dass das Leben in Griechenland, der Wiege der europäischen Kultur, unzumutbar geworden ist.

Rund 100 000 Unternehmen sind bereits untergegangen, und täglich machen neue Firmen dicht. Die Selbstmordrate ist steil gestiegen, die Anzahl der Morde hat sich verdoppelt, Zehntausende haben kein Dach mehr über dem Kopf. Das Leben in den ländlichen Gebieten ist dank des Tauschhandels erträglicher. In den Städten ist es hart und für Minderheiten wie die völlig rechtlosen Albaner, die seit langer Zeit die niedrigsten, von den Griechen verabscheuten Arbeiten verrichten, ist es intolerabel.

“Dieser Idiot aus Brüssel”

Nicht nur die Bürger leiden, auch die griechischen Institutionen brechen zusammen. Im Gegensatz zu Großbritannien in der Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre kann Griechenland nicht auf eine über Jahrhunderte aufgebaute, mehr oder minder stabile parlamentarische Demokratie zurückblicken. Das Land hat erst vor einer Generation die Fesseln einer Militärdiktatur abgeworfen.

Da jetzt Teile des Landes sich selbst überlassen sind, erstarken wieder unheimliche Kräfte. Im letzten Herbst entfielen erst 30 Prozent der Stimmen auf die Extremisten. Jetzt stehen bereits rund 50 Prozent hinter den Links- und Rechtsradikalen. Die Tendenz ist steigend. Die Einmischung der EU, insbesondere die Einsetzung der EU-Marionette Lukas Papademos als Ministerpräsident, trägt dazu bei, dass immer mehr von der Demokratie enttäuscht sind.

Letztes Jahr wurde ich scharf kritisiert und von einem besonders ängstlichen Produzenten sogar von einem Newsnight Studio abgesetzt, nachdem ich Amadeu Altafaj-Tardio, einen EU-Sprecher, “diesen Idioten aus Brüssel” genannt hatte. Gutmeinende Geister haben mir seitdem mehrmals bestätigt, dass Amadeu Altafaj-Tardio ein intelligenter und auch sympathischer Mensch sei. Ich habe keinen guten Grund, an dieser Aussage zu zweifeln. Außerdem ist nicht zu vergessen, dass er ja nur Sprachrohr und Söldner des EU-Währungskommissars Olli Rehn ist.

Cameron sollte Athen zu Hilfe eilen

Im Rückblick ist klar, dass meine Bemerkungen zu großzügig waren. Ich würde gern umfassendere und überzeugendere Argumente liefern. Idiotie ist fraglos eine der Hauptursachen des Problems in Brüssel. Sie erklärt viele Fehlurteile und Kompetenzmängel in den letzten Jahren. Weit beeindruckender ist allerdings die Erbarmungslosigkeit und Menschenverachtung der EU-Kommissare wie Olli Rehn. An der Spitze des Brüsseler Regimes sind sie dabei, all das zu zerstören, was einst ein stolzes, berühmtes und ziemlich gut funktionierendes Land war.

Ich bin alt genug, um mich an die Reaktionen zu erinnern, als Margaret Thatcher zur Belebung der Wirtschaft Anfang der Achtziger auf eine monetaristische Politik umschwenkte. Der britischen Premierministerin wurde damals vorgeworfen, mitleidlos und unmenschlich vorzugehen. Dabei schrumpfte das BIP 1979-82 nur um knappe 6 Prozent, das heißt um weniger als ein Drittel des Rückgangs, das die gepeinigten Griechen heute verzeichnen. In den Rezessionsjahren stieg die Arbeitslosigkeit in Großbritannien auf 10,8 Prozent, das heißt auf etwas mehr als die Hälfte der Quote im heutigen Griechenland.

Margaret Thatcher war in Wirklichkeit unendlich barmherziger und pragmatischer als Amadeu Altafaj-Tardios Chef Olli Rehn und seine finsteren Gesellen. Sie hätte nie eine ganze Nation wegen wirtschaftlicher Dogmen zerstört.

Es kann für Großbritannien nicht länger richtig sein, die europäische Einheitswährung zu unterstützen, dieses verhängnisvolle Experiment, das katastrophale wirtschaftliche Folgen für die Menschen hat. David Cameron sollte so menschlich sein, alle anderen Überlegungen beiseitezuschieben, sich von Brüssel zu trennen und Griechenland doch noch zu Hilfe zu eilen.

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