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Im Labor für Mikroorganismen des Leibniz-Instituts für Neue Materialien (INM) in Saarbrücken.

Wohin gehen die Innovations-Milliarden?

Im Rahmen der EU-Strategie 2020 hat die Union beschlossen, mehr als sechs Milliarden Euro in Forschung und Innovation zu investieren. Ein Geldsegen, von dem vor allem Großunternehmen profitieren werden, und dessen Auswirkungen erst in vielen Jahren bewertet werden können, so die Analyse eines niederländischen Universitätsprofessors.

Veröffentlicht am 22 Juli 2010 um 15:17
Im Labor für Mikroorganismen des Leibniz-Instituts für Neue Materialien (INM) in Saarbrücken.

Im nächsten Jahr stellt die Union 6,4 Milliarden Euro zur Finanzierung von Projekten in Forschung und Innovation zu Verfügung. Eine notwendige Maßnahme, meint die irländische EU-Kommissarin für Forschung, Innovation und Wissenschaft Máire Geoghegan-Quinn. In Innovation investieren, ist die "einzige Weise, die Krise intelligent zu bewältigen", erklärte sie. Die Gelder stammen aus dem mit 50 Milliarden Euro dotierten Forschungs-Rahmenprogramm der EU für die Jahre 2007-2013. Alfred Kleinknecht, Professor für Wirtschaft und Innovation an der Technischen Universität Delft, hat analysiert, wohin die Gelder in den vergangenen Jahren geflossen sind.

Trouw: Die Europäische Union hat diese 6,4 Milliarden Euro als ihren größten Investitionsplan für Forschung und Innovation aller Zeiten gepriesen. Die Zahl wirkt beeindruckend. Wie sieht es in der Praxis aus?

Kleinknecht: Es klingt wirklich nach einem Batzen Geld, aber in Wirklichkeit ist es gar nicht so viel. Die Summe ist für siebenundzwanzig Staaten gedacht. Aufgeteilt auf die gesamte EU, ist das dann gar nicht mehr üppig.

Denken Sie wie die EU-Kommissarin, dass dies eine Maßnahme gegen die Krise ist?

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Nein. Auf kurze Sicht hat diese Maßnahme gar keine Auswirkung auf die Wirtschaft. Die Projekte, die mit diesen Geldern finanziert werden, müssen erst einmal gestartet werden. Auswirkungen werden Sie erst in fünf, zehn Jahren oder später feststellen. Es handelt sich um Investitionen auf lange Sicht.

Denken Sie, dass mit diesen Geldern mehr innovative Projekte aus dem Boden sprießen werden?

Die Maßnahme hat Vor- und Nachteile. So ist es äußerst schwierig, an die Fördergelder heranzukommen. Einen Antrag stellen heißt, einem bestimmten Protokoll zu folgen, was die Forscher wochenlang aufhält. Es ist ein regelrechter bürokratischer Zirkus. Man müsste dafür quasi eine zusätzliche Stelle schaffen. Es wurde alles getan, um Betrug vorzubeugen. Die EU hatte die Wahl zwischen zwei Übeln: das Betrugsrisiko oder riesigen Papierkram. Der Wahl ist getroffen. Sie ist verständlich, aber ich persönlich würde unter solchen Bedingungen nie ein Projekt in Angriff nehmen.

Wenn nicht Sie, wer denn?

In unseren Studien haben wir festgestellt, dass es vor allem den europäischen Schwergewichten im Bereich Innovation zugute kommt. Die Auswahl ist genau daraufhin ausgerichtet: Rund die Hälfte der Anträge werden im Vorfeld abgelehnt. Was bleibt, sind Unternehmen wie Philips. Die haben eine ganze Abteilung, die sich nur um solch einen Papierkram kümmert. Der Vorteil bleibt aber, dass insgesamt mit den Fördermitteln ehrgeizige Projekte auf höchstem Niveau unterstützt werden, die ohne diese Gelder wahrscheinlich nie realisiert worden wären.

Im Rahmen dieser Maßnahme ist beispielsweise eine bestimmte Summe von der EU dem IKT-Sektor (Informations- und Kommunikationstechnologien) vorbehalten. So nimmt Brüssel einen direkten Einfluss darauf, worüber geforscht wird. Ist das eine gute Sache?

Brüssel kann auf diese Weise grob definieren, in welchen Bereichen am meisten geforscht werden wird. Nanotechnologie ist derzeit ein Bereich, der viel Interesse weckt. Deshalb verknüpfen die Forscher ihr Projekt gern mit dieser Disziplin: Plötzlich hat jedes Projekt eine Nano-Komponente. Es stellt sich durchaus die Frage, inwiefern der Einfluss von Brüssel angemessen ist. Doch hat er auch seine Vorteile. In IKT-Bereich in den USA ist auch nur mit öffentlichen Zuschüssen groß geworden. Ohne diese Gelder hätten Microsoft und Intel nie solche Giganten werden können. (js)

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