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Neue Initiativen gegen die Wohnungskrise in Europa

Wohnen wird in Europa wegen explodierender Mietpreise und dem erschwerten Zugang zu Wohnraum immer schwieriger. Betreffende in Rom, Barcelona und Edinburgh versuchen dagegen mit neuen Strategien vorzugehen - eine Reportage in Partnerschaft mit Valigia Blu.

Veröffentlicht am 25 August 2025

In vielen europäischen Städten sind angesichts steigender Mieten, Massentourismus und wachsender sozialer Ungleichheiten kollektive Aktionen für mehr und besser zugänglichen Wohnraum entstanden. So wie es die folgenden Beispiele aus Rom, Barcelona und Edinburgh zeigen, wo mit unterschiedlichen Strategien versucht wird, Antworten auf die Wohnungskrise zu finden.

Beispiel Rom : bei den Bedürfnissen der Menschen anfangen

An vorderster Front für besseres Wohnen kämpft in Italien die 2017 gegründete Organisation Nonna Roma. „Wir verstehen uns als Anlaufstelle für gegenseitige Hilfe“, erklärt die freiwillige Mitarbeiterin Sara Fiordaliso. „Wir versorgen Menschen mit Lebensmitteln und bieten darüber hinaus ein ganzes Netzwerk an Hilfsdiensten an, damit alle Teil einer Gemeinschaft werden.“

Unter den etwa 200 ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen sind auch Menschen, die sich zunächst an Nonna Roma gewandt haben, weil sie selbst Unterstützung brauchten. Dieses Bedürfnis hat sich zunächst in ein Bewusstsein verwandelt, und nach und nach ist daraus ein politisches Engagement entstanden.


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Im Laufe der Jahre hat sich die Organisation auch der Wohnungsnot angenommen. Angefangen bei konkreten Hilfsangeboten bis hin zu politischen Lösungsvorschlägen. „In Rom warten derzeit etwa 18.500 Familien auf eine Sozialwohnung. Bis sie tatsächlich eine bekommen, können Jahrzehnte vergehen“, erklärt Sara. Eine erschreckende Perspektive, die das Ausmaß der Krise deutlich macht.

Nonna Roma
Nonna Roma, in Rom. | ©NR

2024 wurde die kollektive Studie Di casa a Roma veröffentlicht, in der verschiedene Stimmen zur Wohnungskrise laut wurden. Auf Grundlage dieser Studie wurden zwei Kampagnen gestartet, um gegen die wichtigsten beiden Probleme vorzugehen: die immer zahlreicher werdenden Kurzzeitmieten und die Schwierigkeiten beim Zugang zu bezahlbarem Wohnraum. Ein Jahr später ist die Situation jedoch nach wie vor kritisch - vor allem wegen des Touristenbooms im Heiligen Jahr, das in Rom seit Anfang 2025 gefeiert wird.

„Das Ereignis hat die Mietpreise noch mehr explodieren lassen und Langzeitmieten sind in Rom jetzt kaum noch zu finden. (...) Selbst in nicht zentralen Vierteln wie Pigneto gibt es im Vergleich zu Tausenden von Anzeigen für Kurzzeitmieten nur ein paar Dutzend für längere Mietverträge. Wir haben dort Zwei-Zimmer-Wohnungen für 2.500 € gesehen“, berichtet Sara.

Wie überall in Italien sind auch in Rom die meisten Familien Eigentümer ihrer Immobilien. Oder Angehörige stellen sie ihnen kostenlos zur Verfügung. Laut dem italienischen Statistikamt ISTAT liegt ihr Anteil mit 80 % weit über dem europäischen Durchschnitt. Mieter*innen bilden also eine sehr kleine Gruppe und müssen vor allem in Großstädten um die wenigen erschwinglichen Wohnungen konkurrieren. Ausländer*innen oder Beschäftigte mit unbefristeten Verträgen werden dabei systematisch diskriminiert.

Doch regt sich dagegen Widerstand dank eines stabilen Netzwerks von Verbänden, die im Sozialforum Abitare zusammengeschlossen sind und dem auch Nonna Roma angehört. So wurde beispielsweise im nordöstlich gelegenen 3. Stadtbezirk von Rom ein Wohnungsamt eingerichtet, das von dem Verein mitverwaltet wird. Wir können so eine Vermittlerrolle spielen und prekären Mieter*innen die nötigen Garantien verschaffen”, erklärt Sara.

Die nächste Hürde wird die Umsetzung des von dem Stadtteil genehmigten Wohnungsbauplans sein, der zur Eröffnung einer Wohnungsagentur führen könnte. Auf diese Weise könnten alle, die Schwierigkeiten haben, eine Mietwohnung zu bekommen, von der Agentur die benötigten Bürgschaften dafür erhalten. 

Beispiel Spanien: die Arbeit des Sindicat de Llogateres

Barcelona gehört zu den europäischen Städten, wo das Recht auf Wohnen besonders mit Füssen getreten wird. In Spanien haben sich die Mietpreise in den letzten 10 Jahren verdoppelt und der Anteil an Sozialwohnungen ist mit nur 2,5 % der niedrigste in Europa.

Damit sich das ändert, wurde die Gewerkschaft Sindicat de Llogateres ins Leben gerufen, die nach Angaben ihrer Sprecherin Carme Arcarazo etwa 8000 Mitglieder zählt. Sie möchte Mieter*innen mehr Spielraum geben, um mit großen Immobilienunternehmen zu verhandeln. 

„In Spanien wird die Hälfte des Einkommens für Miete ausgegeben“, sagt Carme und erklärt, warum die Gewerkschaft 2017 gegründet wurde. „Das Verhältnis zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen ist so ungleich, dass eine Verhandlung praktisch unmöglich ist. Wenn man sich jedoch mit anderen Mieter*innen zusammenschließt, wird das Kräfteverhältnis ausgeglichener und man kann besser verhandeln.”

Die Strategie des Sindicat de Llogateres besteht darin, Mieter*innen nicht allein mit ihren Problemen zu lassen, sondern sie als kollektives Problem zu verstehen und gemeinsam anzugehen. Oft werden Mieter*innen regelrecht „erpresst”, sagt Carme. „Bei Ablauf des Mietvertrags zum Beispiel werden sie mit Forderungen konfrontiert wie ‘Entweder du zahlst mir das Doppelte von dem, was du bisher gezahlt hast, oder du fliegst raus.’” 

Wenn sich jemand wegen solcher Probleme an die Gewerkschaft wendet, „prüfen wir zunächst im Grundbuchamt, wem das Haus gehört und wie viele andere Immobilien der Eigentümer oder die Eigentümerin noch besitzt. Dann klopfen wir an die Türen dieser Häuser und fragen die Mieter*innen, ob sie das gleiche Problem haben.” 

Menschen mit ähnlichen Problemen werden auf diese Weise mobilisiert, kollektive Verhandlungen zu führen.

Wenn das nicht fruchtet, werden noch andere Maßnahmen ergriffen. Wie im Fall des Ende 2024 wieder eingeführten Mieterstreiks, den es 1931 bereits schon einmal gab. „Es ist doch absurd, dass es so wenig Sozialwohnungen gibt, und noch absurder, dass die Wenigen, die es gibt, privatisiert werden (...). Unsere Arbeit richtet sich gegen die großen Immobilienfirmen. 

Aber wir müssen auch pädagogische Arbeit leisten, denn die Leute sind verängstigt. Es gibt unter Mieter*innen keine Streikkultur, also müssen wir sie schaffen. Aber ich glaube, jeder oder jede ist sich des Rechts auf Streik in der Arbeitswelt bewusst, weil jemand damit angefangen hat, als es noch nicht legal war", sagt Carme.

Neben dem Kampf für bessere Mietbedingungen und Gesetzesänderungen gibt es also ein kulturelles Paradigma, das revolutioniert werden muss, angefangen beim Recht auf Wohnen. „Wir wollen keine Vereinigung von Aktivist*innen und hyper-politisierten Menschen sein“, sagt Carme. Die Idee ist, die Trennung in den Köpfen zwischen normalen Bürger*innen und engagierten „Aktivist*innen“ zu überwinden: Klassenprobleme und Wohnungskrise betreffen ja schließlich sowohl die einen als auch die anderen.

Beispiel Schottland: Konsultationen auf lokaler und nationaler Ebene

2024 hat die OECD dem Vereinigten Königreich in Sachen Wohnungsnot einen traurigen Rekord bescheinigt: Unter den Ländern mit hohem Einkommen gibt es dort die höchste Obdachlosenrate. Schottland ist mit am stärksten von  der Wohnungskrise betroffen. In der Region Edinburgh sind die Mieten für eine Ein-Zimmer-Wohnung in den letzten zehn Jahren um durchschnittlich 94 Prozent gestiegen.

In diesem Kontext agiert die Gewerkschaft Living Rent und folgt dabei dem ACORN-Modell, das auf lokalen Organisationen und Verbänden basiert. Cameron Scally ist Vorsitzender der Zweigstelle von Living Rent Edinburgh in Leith, dem Hafengebiet der Stadt. Er trat der Gewerkschaft 2020 während der Pandemie bei, nachdem er arbeitslos geworden war und Schwierigkeiten hatte, seine Miete zu zahlen.

„Edinburgh ist in erster Linie eine Universitätsstadt, weshalb es immer mehr Studentenwohnungen gibt“, erklärt er.

Living Rent demonstration
Living Rent Demo in Schottland. | ©LR

Ein weiterer Faktor, der sich auf den Wohnungsmarkt auswirkt, ist der Tourismus, vor allem im Sommer, wenn Veranstaltungen wie das Fringe Festival die Branche ankurbeln. „Wir sehen uns mit einer enormen Entwicklung des Hotelgewerbes konfrontiert, insbesondere mit der Umwandlung von Wohnungen in Kurzzeitmietobjekte, die auf Airbnb und Co angeboten werden. Das schottische Parlament hat jedoch vor kurzem eine Touristensteuer eingeführt, die Edinburgh zugutekommen wird.”

„Dank einiger Kampagnen auf Stadtebene und zunehmender Reglementierung auf nationaler Ebene konnten wir hier einige Fortschritte erzielen“, sagt Cameron. „Es geht nicht nur darum, den Zustrom von Touristen und Touristinnen zu stoppen, sondern auch darum, dass das Geld aus dem Tourismus in der Stadt bleibt.“

Einer der Widersprüche der Wirtschafts- und Wohnungskrise besteht nämlich darin, dass in Städten wie Edinburgh, die vom Tourismus leben, die Beschäftigten des Sektors wo anders leben müssen, weil sie sich die exorbitanten Mieten nicht mehr leisten können.

Im Rahmen der Konsultationen, die der Verabschiedung der Steuer vorausgegangen waren, stellte Living Rent daher sicher, dass die Einnahmen aus der Steuer zur Unterstützung von Sozialwohnungen, subventionierten Mieten und öffentlichen Räumen verwendet werden. Die Möglichkeit, sich auf lokaler und nationaler Ebene zu konsultieren, sei eine der Stärken von Living Rent, meint Cameron. „Auf diese Weise konnten wir die Wohnungspolitik der linken Koalition aus SNP und Grünen innerhalb von zwei Jahren mit definieren”, erinnert er sich. 

Doch über die Branchenverbände und die Immobilienagenturen hinaus wurden einzelne Mieter*innen nicht direkt in diese Konsultationen mit einbezogen. Deshalb, so fährt Cameron fort, „haben wir uns mit Living Rent zusammengetan und sind dann auf die Straße gegangen, um die Menschen um Mithilfe bei der Ausarbeitung unserer Vorschläge zu bitten. Wir haben das Ganze zu einer öffentlichen Veranstaltung gemacht, um Unterschriften zu sammeln und die Betroffenen mit einzubeziehen.” Dadurch wurde ein technisches und komplexes Gesetzesverfahren „für die Menschen transparenter und zugänglicher“ gemacht.

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