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Miesepeter gegen Merkiavelli

Veröffentlicht am 6 September 2013
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Das TV-Duell hat die Bundestagswahl in den Fokus der europäischen Presse gerückt. Das Urteil: Der Personenkult um Angela Merkel überdeckt die Inhalte. Der Guardian nennt das „Merkiavellismus”, Der Standard analysiert den Neid der SPD auf die Hände der Kanzlerin.

„Nie wurde in jüngerer Zeit ein politisches Ereignis mit größerer Spannung erwartet als die deutsche Bundestagswahl”, schreibt die italienische Nachrichtenplattform Linkiesta, denn „für das laufende Jahr könnte der 22. September zu einem einschneidenden Moment der Eurokrise werden.”

Davon ist auch die rumänische Tageszeitung România libera überzeugt und listet das gesamte Ausmaß dieser Abstimmung für die Europäische Union auf:

Vom Ausgang dieser Wahl hängen nicht nur die Zukunft des Euroraums ab, sondern auch das Ergebnis der Europawahlen im Mai 2014, der Name des Chefs der Europäischen Kommission und die künftige Ausrichtung der EU. [...] Deutschland ist der Pfeiler der Stabilität Europas, aber das bedeutet nicht, dass es de facto gegen politische Risiken und Unbeständigkeit gefeit ist.

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Politische Risiken und Überraschungen sieht The Guardian in diesem deutschen Wahlkampf keine, jedenfalls nicht für Angela Merkel:

Seit Ausbruch der Krise ist es in vielen Ländern Europas zu einem Machtwechsel gekommen. Nur die deutsche Regierung sitzt fest im Sattel. Die Deutschen mögen Merkel. Warum? Weil sie eine Machtpolitik in Europa führt, die ich “Merkiavellismus” nennen möchte: eine Kombination aus Machiavelli und Merkel. Sie will im Ausland gefürchtet und in der Heimat geliebt werden, vielleicht, weil sie die anderen Länder bereits das Fürchten gelehrt hat. Brutaler Neoliberalismus nach außen, sozialdemokratischer Konsens zu Hause, so lautet das Erfolgsrezept, das Merkiavelli ermöglicht, ihre eigene Machtposition und die Deutschlands stetig zu untermauern.

Geradezu „Personenkult” werde in Deutschland um die Kanzlerin betrieben, meint Der Standard aus Wien und wundert sich darüber, wie das Schicksal des Landes auf dem riesigen CDU-Wahlplakat, das derzeit in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs hängt, vertrauenvolls in „Muttis Hände” gelegt werde:

Auf 70 mal 20 Metern ist nicht einmal mehr CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel zu sehen, sondern nur noch ihre Hände - geformt zur mittlerweile legendären „Merkel-Raute”. Daneben hängt noch ein Plakat, darauf steht: „Deutschlands Zukunft in guten Händen”. Lange Zeit war Merkel für diese Raute verspottet worden, […] aber mittlerweile ist sie in der CDU Kult. [Doch wird] natürlich nicht nur wohlwollend über die „Raute der Macht” diskutiert. Über „monströs inhaltsleeren Personenkult” klagt Berlins SPD-Landeschef Jan Stöß. Vermutlich ist er auch ein bisschen neidisch, weil selbst bei größtem Bemühen um Kreativität kein Körperteil von SPD-Chef Peer Steinbrück so groß plakatiert werden könnte.

Tatsächlich alles andere als kreativ findet El Pais aus Madrid die Wahlplakate der SPD. Peer Steinbrück sei darauf so „ernst und unattraktiv”, dass man denken könnte, „der politische Gegner hat sie aufgehängt”. So, meint der Leitartikler der spanischen Tageszeitung, wird die SPD ganz sicher keinen Erfolg bei den Wahlen haben.

Die SPD wird am 22. September verlieren. [...] Der Hauptgrund für diese Niederlage ist ihr Kanzlerkandidat. Dabei bestreitet niemand die wirtschaftlichen Fähigkeiten eines Peer Steinbrück. Schließlich war er Angela Merkels Finanzminister zu Zeiten der Großen Koalition. Aber er hat ein ernstes Image-Problem, seine Wahlkampfaussagen haben ihn unpopulär gemacht, er hat den Ruf eines Miesepeters und es fehlt ihm an Charisma.

Und so konnte Merkels Herausforderer auch mit guten Argumenten während des TV-Duells nicht gegen seine Gegnerin punkten, vermerkt die griechische Tageszeitung I Kathimerini, die sich furchtbar darüber ärgert, dass das Thema Griechenland nur „ganze 12 Minuten in der eineinhalbstündigen Debatte” eingenommen hat:

Ohne eine Spur von Reue bestand Angela Merkel darauf, dass das den Griechen von ihr und Finanzminister Wolfgang Schäuble auferlegte Programm aus Sparmaßnahmen, Strukturreformen und vielleicht einem neuen Rettungspaket absolut gerecht sei [...]. Steinbrücks Gegenvorschlag eines neuen Marschallplans hat die Bundeskanzlerin nicht beeindruckt, da sie weiß, dass sie Unterstützung nicht nur bei den deutschen Sozialdemokraten sondern auch bei den griechischen Politikern gefunden hat und immer noch findet. Den neuen Marschallplan hätte jemand anderes vorschlagen müssen: die griechische Regierung selbst.

Daran, dass Peer Steinbrück als neuer Bundeskanzler irgendetwas an der europäischen Krisenpolitik ändern könnte, zweifelt auch die polnische Zeitung Dziennik Gazeta Prawna aus Warschau:

Peer Steinbrück liegt auf der selben Wellenlänge wie Angela Merkel und hat in den letzten vier Jahren alle Entscheidungen der Bundeskanzlerin zu den Rettungspaketen für die verschuldeten Südländer unterstützt und oft betont, dass Haushaltskürzungen die einzige Lösung für die Eurokrise seien.

Die französische Wirtschaftszeitung Les Echos ist daher der Meinung, dass nicht die SPD, sondern die euroskeptische Partei Alternative für Deutschland “der wahre Feind der Bundeskanzlerin” sei. Vor allem ältere Wähler könnten sich von der CDU zu Gunsten der AfD abwenden, und davon, erklärt die Zeitung aus Paris, gebe es in Deutschland ja eine Menge:

“Mit der raschen Überalterung der deutschen Bevölkerung liegt die Rentnerrepublik, vor der [EX-Bundespräsident] Roman Herzog 2008 warnte, nicht mehr in weiter Ferne, sondern ist bereits Realität. Der bürgerliche Rentner, Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Welt, steht den Thesen der AfD, die in den beiden Tageszeitungen ein breites Echo finden, aufgeschlossen gegenüber. Für ihn stellen die Eurokrise und die Rettung von Ländern wie Griechenland eine doppelte Gefahr dar: Sie bedrohen wegen der niedrigen Zinsen seine Ersparnisse und die Finanzen des Staats, der ihm nicht nur seine Rente bezahlen, sondern auch für die Rettung der krisengebeutelten Länder aufkommen muss.

In Partnerschaft mit Spiegel Online

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