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Eine Kampagne im Schatten der extremen Rechten

Die Partei Rassemblement National von Marine Le Pen, die in den Umfragen weit vorne liegt, heizt den Europawahlkampf an. Sie profitiert von der Unbeliebtheit Emmanuel Macrons und einem angespannten sozialen Klima. Die anderen Parteien, allen voran die Partei des Staatschefs, haben drei Jahre vor den nächsten Präsidentschaftswahlen Mühe, die extreme Rechte in den Griff zu bekommen.

Veröffentlicht am 30 März 2024 um 15:09
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Rassemblement National? Eine Partei außerhalb des „republikanischen Spektrums“, urteilte der französische Präsident Emmanuel Macron; das trojanische Pferd der russischen Interessen im Hexagon, schloss sich Premierminister Gabriel Attal an; in Wirtschaftsfragen das Versprechen eines „neuen Marxismus“, wagte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hinzuzufügen. Die Angriffe des Lagers des französischen Präsidenten auf die rechtsradikale Partei nehmen drei Monate vor der Europawahl zu. Die Rassemblement National ist seit 2017 sein Hauptkonkurrent bei den Wahlen, geht aus Meinungsumfragen systematisch als Favorit hervor und hat einen großen Vorsprung vor der macronistischen Liste Renaissance.

2019 waren beide Blöcke Kopf an Kopf mit der gleichen Anzahl an gewählten Abgeordneten ins Europäische Parlament eingezogen. Fünf Jahre später ist die Erzählung von einem unausweichlichen Sieg der Partei von Marine Le Pen so tief in den Köpfen verankert, dass es für viele Beobachter vor allem darum geht, wie groß genau ihr Vorsprung vor den anderen Formationen sein wird. Die Prognose stützt sich auf die Unbeliebtheit von Emmanuel Macron, das erfolgreiche Debüt des neuen RN-Vorsitzenden Jordan Bardella, der auch Spitzenkandidat der Partei ist, die Spaltung der Linken und ein schwieriges soziales Klima, das vor allem durch die sinkende Kaufkraft geprägt ist.

Die RN, Finalistin der letzten Präsidentschaftswahlen und mit fast 90 von 577 Abgeordneten besser denn je in der Nationalversammlung vertreten, profitiert am meisten von den derzeitigen Schwierigkeiten. Weder die Vorwürfe des Dilettantismus noch die juristischen Debakel mehrerer ihrer zentralen Figuren, ihre mittelmäßige Bilanz in Europa oder gar ihre langjährige Wertschätzung für das Regime von Vladimir Putin scheinen die Meinung zu beeinflussen. Die Hauptstrategie der Partei besteht darin, ihr Image so weit wie möglich zu banalisieren, jedes Risiko zu vermeiden, sich bedeckt zu halten und passiv von den Fehltritten ihrer Konkurrenten zu profitieren.

Das Lager des Präsidenten scheint diese Normalisierung akzeptiert zu haben. Mit wenigen Ausnahmen hat es darauf verzichtet, der RN moralisch den Prozess zu machen und sie auf den Rassismus und Antisemitismus ihres ersten Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen zu verweisen. Stattdessen warnt es lieber vor einem Wirtschaftsprogramm, das mit dem der „extremen Linken“ gleichgesetzt wird, und vor der Idee eines unvermeidlichen „Frexit“ im Falle eines Wahlsiegs der RN – obwohl diese offiziell darauf verzichtet hat, einen Austritt aus der Europäischen Union zu verteidigen. Der im Januar mit nur 34 Jahren zum Ministerpräsidenten ernannte Gabriel Attal, der populärer und schlagkräftiger als der Staatschef ist, wurde als Waffe gegen Bardella, den erst 28 Jahre alten Vorsitzenden und Kandidaten der RN, wahrgenommen. Doch angesichts der Notwendigkeit, mit der heftigen sozialen Bewegung der Landwirt*innen fertig zu werden und der Ankündigung harter Haushaltskürzungen zur Reduzierung des Defizits hat der neue Ministerpräsident die Feindseligkeiten mit der rechtsextremen Partei noch nicht wirklich eröffnet.

Derzeit ist es nach wie vor der Staatschef, der die großen Manöver in die Hand nimmt und sich dabei den internationalen Kontext zunutze macht. Er, der die französische und europäische „Souveränität“ zum neuen Motto seiner Präsidentschaft gemacht hat, hat kürzlich den Ton gegenüber Moskau verschärft. Eine diplomatische Haltung, aber auch für den internen Gebrauch, die es seinem Lager ermöglicht, bei jeder Gelegenheit Marine Le Pens Verbindungen zu Putin-Kreisen zu betonen.

In den anderen Lagern ist die Situation nicht schmeichelhafter. Les Républicains, die historische Bewegung der Rechten, ist auf einem Tiefpunkt angelangt, da sie auf der einen Seite vom Makronismus und auf der anderen von der extremen Rechten beschnitten wurde. Sie ist zu einer zweitklassigen Partei geworden und sucht ihr Heil in einer identitären Linie und einem empörten Anti-Macronismus. 

Bei der Linken ist das Bild unübersichtlich. Die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei, die Grünen und La France insoumise (LFI), die bei der letzten Parlamentswahl Verbündete waren, treten bei der Europawahl getrennt an. Die drei Erstgenannten wollen die Führungsrolle der LFI und ihres Anführers Jean-Luc Mélenchon, der bei der letzten Präsidentschaftswahl den dritten Platz erreichte, in Frage stellen. Sie verurteilen seine autoritäre Haltung und seinen populistischen Stil ebenso wie bestimmte Punkte seines Diskurses. Auch wenn die kumulierten Ergebnisse der Linksparteien mit denen der RN und der Macronisten konkurrieren könnten, deutet nichts darauf hin, dass sie bis zur Präsidentschaftswahl 2027 wieder zu einer Einheit zusammenwachsen werden.

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