Am 28. September finden in dem an Rumänien und die Ukraine angrenzenden Land Parlamentswahlen statt, die von dem Verdacht einer massiven Einmischung Russlands geprägt sind, die das Land destabilisieren und pro-russische Parteien fördern soll. Sandu und die pro-europäischen Parteien befürchten, dass Moskau versuchen wird, Moldawien zu unterwerfen und es gegen die Ukraine und als Ausgangspunkt für hybride Angriffe in der EU zu nutzen. Interview durchgeführt vom Projekt Pulse.
Sie warnen vor Destabilisierungsversuchen Moskaus in der moldauischen Region Transnistrien vor den bevorstehenden Parlamentswahlen im September. Was befürchten Sie, was tun Sie dagegen?
Russland versucht, die moldauischen Institutionen zu überwältigen. Es setzt eine Vielzahl von Instrumenten ein, um sich in unsere politischen Prozesse und in unsere Wahlen einzumischen. Wir haben es letztes Jahr gesehen, und wir werden dieses Jahr noch mehr davon sehen, weil bei den Parlamentswahlen viel auf dem Spiel steht: die demokratische und europäische Zukunft Moldaus und die Sicherheit der Region. Eine Konsolidierung der demokratischen Achse in Osteuropa wäre ein starkes Signal, dass autoritäre Einmischung mit Einigkeit und Widerstandsfähigkeit zurückgedrängt werden kann. Die illegale Finanzierung politischer Parteien ist eine Methode Moskaus; Einmischungen in die autonomen Regionen Transnistrien und Gagausien sind andere. Sollte Russland die Gasversorgung der linken Seite des Dnister abermals einstellen, stehen wir aber bereit zu helfen. Es gibt darüber hinaus Cyberangriffe, Stimmenkaufprogramme, Desinformation.
Können Sie das zahlentechnisch festmachen, wie groß der Einfluss zuletzt war?
Wir haben Beweise für den Stimmenkauf von 140.000 Menschen bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2024. Bei einer Bevölkerung von 2,5 Millionen sind das zwischen acht und zehn Prozent der Wählerschaft. Es gab falsche Bombenwarnungen in Wahllokalen in ganz Europa, um Leute vom Wählen abzuhalten. Es gab Brandstiftungen gegen Gebäude des Zentralen Wahlkomitees oder Polizeiautos, um Chaos zu stiften und Angst zu schüren. Zum Thema Desinformation: Ich treffe viele Leute, die für mich als Präsidentin, aber gegen die EU im Referendum gestimmt haben, weil sie an Desinformation glaubten.
Da ging es um die Gefahr von LGBTIQ, wo die Kirche eine Rolle spielte, aber auch Fake News, wonach die EU Landflächen enteignet. Wir haben zuletzt aber hart daran gearbeitet, die Resilienz von Institutionen und der Zivilgesellschaft zu stärken – sei es durch unabhängige Medien, schärfere Gesetze zur Finanzierung von Wahlkämpfen, aber auch das Gespräch mit Menschen. Gespräche innerhalb von Familien sind wichtig, vor allem die Aufklärung durch Menschen aus der Diaspora. Damit sie erfahren, wie es in der EU wirklich ist und wie in Russland.
Es gab bei den vergangenen Wahlen viel Kritik, dass in Russland nur zwei Wahllokale für Auslandsmoldauer geöffnet waren, wohingegen es in Italien etwa 60 Wahllokale gab. Wie erklären Sie sich das, und wie viele werden es diesmal sein?
Die Grundlage der Anzahl der Wahllokale in Russland sind Zahlen aus früheren Wahlen in den Jahren 2020 und 2021. Aufgrund des Ukrainekrieges gibt es seither eigentlich aber noch weniger Moldauer in Russland als damals. Bei den letzten Wahlen hat der Kreml um je 50.000 Euro einige Passagiermaschinen gechartert, um einige Hundert Personen zu Wahllokalen in Europa zu transportieren. Wer macht so etwas? Und warum? Es war klar, dass diese Leute dafür bezahlt wurden. Dennoch werden wir wieder einige Wahllokale einrichten, sodass jene, die wollen, teilnehmen können.
Wie zufrieden sind Sie mit den Fortschritten, die Moldau auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft in der EU erzielt hat? Welche Stolpersteine gibt es?
Wir haben einen Zeitplan für die EU-Integration – 2030 –, und seit wir gemeinsam mit der Ukraine den EU-Beitrittsantrag eingereicht haben, haben wir sehr hart gearbeitet. Sowohl die Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen als auch die Unterstützung der Mitgliedstaaten laufen sehr gut. Wir glauben, dass wir den Screening-Prozess bis September 2025 abschließen können, und sind bereit, Verhandlungen über erste Kapitel zu eröffnen. Wir haben die Kapazitäten geschaffen und hoffen, dass dieser starke politische Wille auch nach den Parlamentswahlen im Herbst anhält.
Sie sehen keinerlei Hindernisse bei Staaten, die einen Beitritt der Ukraine nicht befürworten?
Wir haben sehr gute Beziehungen zu allen Mitgliedstaaten. Wir glauben, dass es im Interesse aller EU-Bürger ist, Moldau und die Ukraine in der EU zu haben. Ein demokratisches Moldau und eine demokratische und widerstandsfähige Ukraine tragen zum Erhalt von Frieden und Sicherheit auf dem Kontinent bei. Ich glaube also, dass wir die Unterstützung aller EU-Mitgliedstaaten haben werden, Moldau und die Ukraine.
Würden Sie auf die Ukraine warten, wenn die EU-Staaten Moldau hereinließen, die Ukraine aber noch nicht?
Wir verdanken unseren Frieden der Ukraine. Wir sind stolz, diesen Weg gemeinsam eingeschlagen zu haben; und wir wissen, dass man sich Fortschritte erarbeiten muss. Moldaus Demokratie kann nur als Teil der EU überleben.
Ist das ein Ja oder ein Nein?
Das ist ein Ja, wir wollen zusammen in die EU.
Die EU-Mitgliedschaft ging immer wieder Hand in Hand mit der Nato-Mitgliedschaft. Halten sie Neutralität im 21. Jahrhundert noch für eine kluge Sicherheitsstrategie, wenn man bedenkt, wie viele südwestliche Nachbarn Russlands irgendeine Art von Schutz vor Moskau suchen?
Die Neutralität in unserer Verfassung verankert, und die Mehrheit der Moldauer ist der Meinung, dass die Republik Moldau neutral bleiben sollte. Wir respektieren diesen Willen der Menschen. Natürlich beschäftigen wir uns aber mit der Sicherheit und den Problemen und tun viel, um die Widerstandsfähigkeit unseres Landes zu stärken. Derzeit werden die Sicherheit Moldaus und der Frieden von der Ukraine verteidigt.
Dafür sind wir sehr dankbar, auch den Ländern, die die Ukraine unterstützt haben. Und die Ukraine wird noch mehr Unterstützung benötigen. Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass Russland Moldau nicht kontrolliert und das Land sowohl gegen die Ukraine als auch gegen die EU-Mitgliedstaaten einsetzt. Kommt Russland in Moldau an die Macht, wird das Land zur Basis des hybriden Kriegs gegen die EU.
Mit 0,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts ist Moldau meilenweit von den fünf Prozent entfernt, die Nato-Staaten zuletzt als Ziel für Verteidigungsausgaben beschlossen haben.
Nun, wir sind nicht in der Nato, haben aber unsere Verteidigungsausgaben erhöht und wollen noch mehr ausgeben. Wir sind uns der Risiken bewusst und schätzen es sehr, von der Europäischen Friedensfazilität profitieren zu dürfen.
Was unternehmen Sie gegen die Energiekrise und die hohen Preise?
Wir sind nicht mehr auf russisches Gas angewiesen. Nur die Region Transnistrien bezieht noch russisches Gas. Weil aber etwa der aus Rumänien zugekaufte Strom zunächst über das vom Regime in Tiraspol kontrollierte Gebiet kommt, sind wir weiterhin verwundbar. Bis Jahresende soll aber die neue Hochspannungsleitung fertig sein, die direkt ans Westufer des Dnister geht. Wir haben viel in erneuerbare Energien investiert. Mindestens 20 Prozent, an guten Tagen sogar schon 50 Prozent, unseres Stromverbrauchs stammen aus erneuerbaren Energiequellen. Die Preise sind immer noch hoch, aber sie werden in den nächsten Jahren runtergehen.
Reicht das Versprechen, oder muss schon schneller mehr geschehen?
Die Energiekrise in Moldau begann ja schon im September 2021. Russland hatte es auf die eine oder andere Weise geschafft, die Vorgängerregierungen in Moldau zu überzeugen, keine Alternativen aufzubauen. So blieben wir erpressbar. Die Preise sind natürlich ein Thema, aber wir müssen den Menschen die Wahrheit sagen, egal, ob das populär ist oder nicht.
Es gibt vereinzelt Kritik an der intransparenten Besetzung von Höchstrichtern und der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft.
Wir befinden uns inmitten einer Reform des Justizsektors. Es gibt deshalb viele unzufriedene Richter und Staatsanwälte. Als wir eine strenge Korruptionsprüfung ankündigten, hat ein Drittel der Richter das System freiwillig verlassen. Wir müssen diesen Prozess abschließen, weil man bei der Korruptionsbekämpfung keine Ergebnisse erzielen kann, solange die Korruption im System ist. Mit korrupten Richtern und korrupten Staatsanwälten werden sie nie in der Lage sein, Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Es gibt also natürlich Richter und Staatsanwälte, die sich über einen Sturz dieser Regierung freuen würden. Die Übergangsphase ist aber freilich schwierig. Richter wollen etwa Gesetze über die illegale Finanzierung politischer Parteien verzögern. Der Staat ist also nicht so effizient, wie wir es uns wünschen würden. Aber trotzdem machen wir weiter. Die Menschen verstehen, dass wir zuerst in der Justiz aufräumen müssen, erst dann kann die Gerechtigkeit beginnen.
Vor wenigen Tagen trat vor dem Regierungsgebäude in Chișinău ein bekannter russischer Rapper, Basta, bei einem Schulschlussfest auf. Zehntausende junge Leute kamen. Frustriert sie so etwas?
Das Konzert wurde von einem Lokalpolitiker organisiert. Es waren auch viele nichtrussische Sänger da, aber ja: Ich glaube, dass die staatlichen Institutionen strenger aufpassen sollten, wer vor unseren jungen Leuten auftreten kann und wer nicht.
👉 Originalversion auf Der Standard
🤝 Dieser Artikel ist das Ergebnis einer gemeinsamen Arbeit im Rahmen des Pulse-Projekts.
Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.
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