Als Kohle noch der Renner war. In der Miene in von Pensford in Surrey (Großbritannien), 1960.

Die Kohle ist im Kommen

Die Katastrophe in Fukushima hat das Interesse an der Kernkraft gedämpft. Da die erneuerbaren Energien den Energiebedarf des alten Kontinents nicht decken können, wenden die europäischen Länder sich wieder dem ältesten und billigsten Brennstoff zu, der jedoch auch die Umwelt stark belastet.

Veröffentlicht am 4 August 2011
Als Kohle noch der Renner war. In der Miene in von Pensford in Surrey (Großbritannien), 1960.

Kohle feiert ihr Comeback. Die Kohle, die zur Zeit der industriellen Revolution alles mit ihrem braunen Schleier bedeckte. Die Protagonisten der Erzählungen von Emile Zola und die Albträume der Kinder, die von Wallonien bis Sardinien als Bergarbeiter in den Bauch der Erde geschickt wurden, schienen der Vergangenheit anzugehören. Die Katastrophe in Fukushima hat der Geschichte allerdings eine neue Wende verliehen und eine Ressource neu belebt, mit der Europa eigentlich in fünfzig Jahren endgültig Schluss machen wollte.

Alle Mächte der Erde schmieden neue Pläne. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung kürzen sie Atomprojekte und, bis die erneuerbaren Energien wirklich rentabel sind, greifen auf das erste schwarze Gold zurück, das zwar als überholt gilt, mit dem jedoch auch heute noch rund die Hälfte unseres Stroms erzeugt wird.

Kohle erzeugt 41 Prozent des Stroms weltweit

Nobuo Tanaka, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur (IEA) erzählte kürzlich den europäischen Abgeordneten, dass die Kernkraftvorhaben bis 2035 seit dem japanischen Unglück halbiert wurden. Geplant waren ursprünglich 360 Gigawatt, jetzt sind er nur mehr 180. Auf internationaler Ebene wird damit der Anteil der Atomkraft von 14 auf 10 Prozent sinken. Ein Drittel des neu zu verteilenden Bedarfs wird wohl von Kohle gedeckt werden. Die neue Beliebtheit des fossilen Brennstoffs hat indessen problematische Konsequenzen: Sie heizt die Marktpreise an und steigert die Kosten zur Senkung der Treibhausgase.

Von China und Indien angetrieben wächst die weltweite Nachfrage nach Braunkohle & Co. wieder deutlich. Prognostiziert wird ein Anstieg um mehr als 50 Prozent bis 2035 in Bezug auf eine Weltproduktion, die sich 2010 auf 6,5 Milliarden Tonnen (ein Plus von 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr) belief. Kohle erzeugt heute noch 41 Prozent des Stroms weltweit. In Europa sind es 26 Prozent. Diese Zahlen werden sich ändern. Giuseppe Lorubio, Analyst des europäischen Dachverbands der Stromwirtschaft Eurelectric meint, die Stilllegung von 28 (der 143) europäischen Kernkraftwerke der alten Generation würde den Bedarf an Kohle um 8 bis 10 Prozent anheben.

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Dieser Rohstoff ist „demokratisch“

Deutschland, der größte Steinkohleverbraucher in der EU, hat zu einer schmerzhaften Wende angesetzt. Dieser Schritt steht auch Polen bevor, das 90 Prozent seines Energiebedarfs mit Kohle decken könnte. Die Briten, die mit einem guten Mix aus Kernkraft, Kohle und Erdgas fahren, setzen auf grüne Energie, um überalterte Kraftwerke stillzulegen. Sonst ist das Szenario stabil. In Europa gibt es keinen Raum mehr für neue Kraftwerke. Deshalb heißt es, das verfügbare Potenzial optimal auszuschöpfen.

Die Herren der Kohle versichern uns, dass ihr Rohstoff „demokratisch“ ist. Er ist relativ billig und fördert dank seiner Arbeitsintensivität die Beschäftigungslage. Das mag stimmen. Es gibt jedoch einen sozialen Fallstrick, denn sonst hätte die EU-Kommission kein ethisches Gütezeichen für einen Sektor gefordert, der, insbesondere in China und in Südamerika, die Grubenarbeiter so ausbeutet wie die Engländer zu Zeiten von Dickens. Dazu kommen noch die Umweltauflagen. Die von der EU eingeführten CO2-Emissionszertifikate müssen ab 2013 gekauft werden und dürften die Bilanzen der Stromversorger der gesamten Union stark belasten.

Altes Kreuz der Umweltverträglichkeit

Selbstverständlich muss für höhere Umweltverträglichkeit gesorgt werden. Kohle hat sich nicht geändert, geändert haben sich nur die Verfahren. Braunkohle, die einen hohen Feuchtigkeitsgehalt aufweist und auch zu den gefährlichen Schwefeloxidemissionen beiträgt, wird bei der Förderung und Aufbereitung getrocknet. Ferner müssen die Speichersysteme für Kohlendioxid größere Verbreitung finden.

Die CO2-Emissionen werden verflüssigt und in einem unterirdischen Speicher endgelagert, wie es die italienischen Versorgungsunternehmen Enel und Eni in Brindisi versuchen. Das sind derzeit jedoch noch Zukunftsklänge. Brüssel ist bestrebt, den 27 Mitgliedsstaaten trotz politischen Zögerns und gravierender Haushaltsprobleme den richtigen Weg zu zeigen. Fukushima zwingt uns zu einer strategischen Wende. Ob nun alles einfacher wird, ist noch abzuwarten.

Aus dem Italienischen von Claudia Reinhardt

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