Europa macht dicht!

Veröffentlicht am 29 Mai 2012

Bald werden Europas Grenzen lächeln. Ein gerissenes Lächeln, wenn das millionenschwere „Smart Border Project“ der EU weiter Form annimmt. Drohnen, Offshore-Sensoren und Satelliten-Überwachung sollen zukünftig die europäischen Außengrenzen „sicherer“ machen. Für wen?

Damit nicht noch mehr illegale Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, sagt die EU-Komission. Damit von den Mittellosen und Ungewollten niemand mehr hinter die elektronischen Mauern der Festung Europa gelangt, meint eine neue Studie der Böll-Stiftung.

In Krisenzeiten werden die Mauern höher. Schon vor einem Monat umtrieben den deutschen Außenminister Hans-Peter Friedrich und seinen damaligen französischen Partner Claude Guéant ernste Grenzgedanken.

Nicht um äußere, sondern um Europas innere Grenzen ging es dabei und kein geringeres Privileg als die Freizügigkeit im Schengen-Raum sollte damit ausgesetzt werden. Für 30 Tage so der Vorschlag, der vielfach als Wahlkampfhilfe für Nicolas Sarkozy gewertet wurde, sollten zwischen Paris und Berlin wieder Grenzkontrollen eingeführt werden.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Mit dem Brustton souveräner Nationalstaatlichkeit sahen beide die Grenzfrage als „eine Angelegenheit nationaler Souveränität“, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Wovor hatten Guéant und Friedrich Angst?

Sicher nicht voreinander, denn den Ausnahmefall für die Schengener Freiheit wollten beide Länder festlegen, wenn „die europäischen Außengrenzen im Süden und Osten nicht ausreichend gesichert werden“, schrieb die Süddeutsche Zeitung mit Bezug auf einen internen Briefwechsel zwischen den beiden Ministern.

„Jeder muss seinen Beitrag zum Schutze Schengens leisten“ befand die EU-Innenkommissarin Cecilia Malström. Vielleicht hätte sie das auch Claude Guéant und Hans-Peter Friedrich schreiben sollen?

Europa macht dicht. Nicht nur wirtschaftlich - und wieder sind es die Griechen, die weder die Löcher in ihrem Staatshaushalt, noch die Löcher in ihren Grenzzäunen stopfen können. So polemisch klang eine Nachricht im Spiegel, der zufolge Brüssel die Flüchtlingsströme aus Afrika und dem Nahen Osten als ernsthafte Bedrohung sieht.

Um die gesundheitliche und rechtliche Situation der Flüchtlinge sorgt man sich weniger.

Vor den Küsten Europas erstreckt sich ein riesiger Friedhof - das Mittelmeer. Allein 2011 starben 1.500 Flüchtlinge bei dem Versuch von der nordafrikanischen Küste aus nach Europa zu fliehen, berichtet die TAZ. Ein trauriger Rekord, den das UNHCR seit Beginn dieser makabren Erhebung im Jahr 2006 verzeichnete.

Diese dramatische Entwicklung will die EU auch mit ihrem neuen Grenzkontrollsystem EUROSUR stoppen. Die Komission wiederholte in ihrem Antrag den Willen zu „Schutz und Rettung“ von Flüchtlingen.

Die Autoren der Studie „Grenzwertig: Eine Analyse der neuen Grenzüberwachungsinitiativen der Europäischen Union“ der Heinrich-Böll-Stiftung halten das für einen gutmenschelnden Vorwand:

Es werden keinerlei Verfahren erläutert, was mit den 'Geretteten' geschehen soll. Vor diesem Hintergrund und ungeachtet der humanitären Krise unter Migrantinnen/Migranten und Flüchtlingen, die auf dem Mittelmeer nach Europa unterwegs sind, stellt EUROSUR weniger ein lebensrettendes Instrument dar, sondern ergänzt vielmehr die langjährige europäische Politik, mit der Menschen daran gehindert werden, in das Hoheitsgebiet der EU zu gelangen (unter anderem mittels sogenannter 'Zurückdrängungs'-Aktionen (push-back operations), bei denen Migrantenboote gezwungen werden, in das Land zurückzukehren, aus dem sie gekommen sind).

Die elektronische Aufrüstung an Europas Außengrenzen betrachtet nicht nur humanitäre Probleme rein aus einer militärischen Überwachungsperspektive. EUROSUR zielt auch auf vollständige Datenerfassung und lässt die Frage des Datenschutzes gänzlich offen, so die Studie.

Zu EUROSUR gehören das EES (Entry-Exit System), das mit Hilfe von biometrischen Überwachungsverfahren wie Gesichtsscannern und Fingerabdrücken alle in den Schengen-Raum einreisende Angehörige von Drittstaaten erfassen und die Ausweisung illegaler Migranten erleichtern soll.

In Verbindung mit dem RTP (Registered Traveller Programme) soll verhindert werden, das Angehörige aus Drittstaaten ihrer Aufenthaltsdauer überziehen oder illegal einreisen.

Schon 2013 soll Europa durch diese „smart borders“ wie ein riesiger Flughafen digital abgesichert werden. Eine „gated community“ im besten Sinne. Zusätzlich sollen die See- und Landgrenzen mit einem ganzen Arsenal aus Drohnen, Offshore-Sensoren und Satellitensystemen bestückt werden, die unter der Koordination der europäischen Grenzagentur FRONTEX stehen.

Abgesehen von dem ungeheuren Koordinationsaufwand halten die Autoren der Studie die Kalkulationen der EU (338 Mio.) für falsch und erwarten Kosten in mehr als doppelter Höhe (bis 874 Mio. Euro).

Darüber hinaus weisen sie auf die von der EU-Komission unbeachteten Probleme hin, die die USA mit der Einführung eines solchen Systems an der mexikanischen Grenze hatte (US Visit und SBINET).

EUROSUR wird in der EU-Komission ohne den Willen zu einer öffentlichen Debatte diskutiert und auch ohne die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines solchen Programms. Wie auch immer man die Sicherheitsphantasien der EU-Komission bewerten mag: offensichtlich ist, dass es sich bei diesem High-Tech-Schutzwall nicht um ein Zeichen für Migrationspolitik, sondern für Abschottungspolitik handelt.

In der Flüchtlingspolitik der EU scheint die Formel immer gleich: Erst erfolgt der Ausbau von Überwachungs- und Kontrollsystemen zur effizienteren Ausweisung und erst danach stellt man sich humanitäre und menschenrechtliche Fragen.

So auch im Fall des Dublin-II Abkommen, das Deutschland in die glückliche Lage brachte, von Staaten umgeben zu sein, die nach dieser Regelung als erstes dazu verpflichtet sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Auch hierzu hat sich die EU umfassende Identifizierungsmaßnahmen ausgedacht (die Fingerabdruckdatenbank Eurodac), um die illegal Eingereisten in die Länder abzuschieben, auf die sie zuerst ihren Fuß gesetzt haben.

Zum Beispiel Griechenland. Da war die humanitäre Lage der dorthin abgeschobenen Flüchtlinge so katastrophal, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dafür sorgte, das Dublin-II-Abkommen nachbessern zu lassen.

Europas neueste Lösung für die Migrationsproblematik besteht scheinbar darin, die Zäune höher zu ziehen und mit sogenannter Sicherheitspolitik eine versteckte Wachstumspolitik zu betreiben, die allenfalls Rüstungs- und Sicherheitskonzernen zu Gute kommt.

Besonders in Krisenzeiten zeigt sich die EU grenzverliebt, denn Grenzen sind die am willkürlichsten gezogenen und gleichzeitig deutlichsten politischen Zeichen angeblicher Sicherheit und Stärke.

Abgrenzungsreaktion wie die von Deutschland und Frankreich angedachte Aussetzung des Schengen-Abkommens sind nur die ersten Vorboten des neuen europaweiten Mauerbaus.

Unvorstellbar erscheint - gerade in Bezug auf Griechenland - was passiert, wenn Europa dicht macht und das im ökonomischen und grenzpolitischen Sinn.

Die „smart borders“ sind schlau. Ihr Lächeln ist kein freundliches.

Die Studie der Böll-Stiftung hier als Zusammenfassung (de) und als Volltext (eng)

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

 

Dann unterstützen Sie uns, damit wir Ihnen unabhängig von anderen Geldgebern mehr davon und weiterhin frei zugänglich anbieten können!

 

UNTERSTÜTZEN

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie Journalismus, der nicht an Grenzen Halt macht.

Stärken Sie unsere Unabhängigkeit durch eine Spende.