Zerissene Umarmungen

Veröffentlicht am 14 Mai 2012

Dass man manchmal auch die andere Wange hinhalten muss, ist was Feindesliebe betrifft, ein Grundsatz des Protestantismus. Er gilt aber auch für politische Freundschaften, insbesondere deutsch-französische.

„La bise“, das obligatorische Begrüßungsküsschen links und rechts, war für Nicolas Sarkozy die direkteste Geste einer deutsch-französischen Annährung. Nach seinem Amtsantritt 2007 hatte er mit voller Wangenwärme seiner neuen politischen Partnerin deutlich gemacht:

„Ensemble, tout devient possible“ („Gemeinsam ist alles möglich“ war Sarkozys Wahlkampfslogan).

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Was für eine Geschichte. Die unterkühlte Pastorentochter aus Templin trifft im höchsten Staatsamt mit dem selbstverliebten Sarkozy den wohl unwahrscheinlichsten Partner.

Am Ende seiner Amstszeit sind in den kalten Krisenstürmen über Europa beide unzertrennlich zu „Merkozy“ geworden. Und für ihre harte Sparpolitik vom Volk gehasst, hieß das Motto jetzt:

„Ensemble c'est tout“ („Zusammen ist man weniger allein“).

François Hollande war noch nicht gewählt, da hieß es schon aus dem Kanzleramt, man halte den französischen Sozialisten eher für einen Pragmatiker und erwarte im Westen nichts Neues.

Tiefgreifende Reformen seien von Hollande nicht zu erwarten. Gleichzeitig zeigten die Deutschen sich selbst alles andere als reformwillig, was die Nachverhandlungen um den europäischen Fiskalpakt betrifft, den Hollande um einen Wachstumspakt ergänzen wollte.

Kommt so eine diplomatische Borniertheit daher, dass man glaubt ein „Wackepudding“ (so der Spitzname seiner Gegner) wie Hollande würde sowieso nicht beißen?

Liegt das an einem deutsch-französischen Missverständnis? nämlich dem, dass was man in Frankreich leidenschaftlich sozialistisch nennt, von der Mentalität her den sozialistischen Ambitionen eines SPD-Ortsvereins sehr ähnlich ist. Alles Pragmatiker, keine Revoluzzer! Also vielleicht genau das Richtige in Krisenzeiten?

Heute Nachmittag hat Frankreich mit 21 Kanonenschüssen François Hollande im Amt bestätigt. Ein diplomatisches Signal folgte sofort. Jean Marc Ayrault, der sich mit Deutschland bestens auskennt und fließend Merkels Sprache spricht, ernannte Hollande zu seinem Premierminister. Was kann Europa vom ersten deutsch-französischen Rendez-vous erwarten? Vielleicht eine europäische Sparkurs.

Vielleicht wird Sie bei diesem ersten Treffen auch im politischen Sinne die andere Wange hinhalten müssen.

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