Europäische Abkommen wird Angela Merkel von nun an nicht mehr mit ihrem Nicolas aushandeln können. François Hollande sitzt jetzt im Elysée-Palast, und er hat angekündigt, Europa vom deutschen Sparkorsett zu befreien. „Wer wird die Oberhand gewinnen?“, rätselt Polityka aus Polen. Hollande wolle nur „sein Gesicht wahren“, meint die Financial Times.
Ganz klar ist noch nicht, wie das neue Tandem Europas nun heißen wird. Angela Merkel und François Hollande können ergeben: Merkollande, Merde (frz. Scheiße) oder Homer. Und die Frage des Sinns hinter dem neuen Duumvirat beschäftigte Europas Presse. Für die Cartoonisten war es eine Festwoche.
In Trouw sah Tom Janssen Frankreich Merkel ihre rechte Hand weg-guilliotinieren. Und in Le Monde reichte Nicolas Sarkozy François Hollande mit einem ermutigenden Schlag auf die Schulter an Merkel weiter, während Steve Bell sich selbst treu bleibend offen ließ, ob ein zugeknöpfter François Hollande dem Charme der pickebehaupteten Domina Merkel verfallen würde. Die Frage stellt sich bald. Denn einen Tag nach seiner Vereidigung wird François Hollande zum Kennenlernen nach Berlin pilgern, wo Angela Merkel ankündigt, ihn „mit offenen Armen“ zu empfangen.
La Repubblica bemerkt, das habe sie auch nötig, wenn sie es sich nicht mit halb Europa verscherzen wolle.
Es ist eine bedeutende Geste der Offenheit, wenn Berlin seine Hand dem neugewählten sozialistischen Präsidenten reicht. Eine sensationelle Wende – aber auch eine erzwungene Entscheidung: nachdem sie drei Niederlagen einstecken musste – in Frankreich, in Griechenland, und zu Hause in Schleswig-Holstein – holt die Kanzlerin zum Gegenangriff aus. Merkel weiß, dass sie Gefahr läuft, allein zu stehen; isoliert zu sein mit ihrer Forderung nach Disziplin in einem Europa, wo nun Italien und Spanien die zweite Macht der Euro-Zone an ihrer Seite haben: Frankreich, mit seinem ganzen wirtschaftlichen, politischen und diplomatischen Gewicht, das von Deutschland fordert, mehr für Wachstum und Beschäftigung zu tun.
Wird Angela Merkel also vor dem Scherbenhaufen des Fiskalpakts stehen, wenn Frankreichs Präsident mit dem gebündelten Unmut der Europäer ein Aufschnüren des Sparkorsetts fordert? In der Polityka in Warschau hört sich das kommende Treffen fast schon nach Boxkampf an. „Wer wird die Oberhand gewinnen?“, rätselt die Wochenzeitung.
Merkel ist nicht mehr so stark nach letztem Sonntag. Böse Omen für die nächste Bundestagswahl kündigen sich an. Sie spürt schon den Atem der Opposition in ihrem Nacken, und das französische Wahlergebnis ist ein Zeichen, dass das politische Pendel in Europa nach links schwingt.
„Den ganzen Wahlkampf hindurch knurrte Hollande ,Ich werde den Fiskalpakt neu verhandeln‘“, bestätigt die Pariser Satirezeitung Canard enchaîné und erinnert an die dröhnenden Wortgefechte über Deutschland.
Für ihn war das ein willkommenes Mittel, um der Linkspartei die Stimmen wegzufischen; und um seinem Image eines ,Wackelpuddings‘ den Hals umzudrehen. Er musste zeigen, das auch er sich mit seiner Willensstärke durchzusetzen vermag. ,Grotesk‘, gab Nicolas Sarkozy zurück und verhöhnte die ,diplomatische Erfahrungslosigkeit‘ des normalen Kandidaten, der vorgab – allein gegen alle – Deutschland in die Knie zu zwingen, Deutschland, dass die Märkte an der Leine hat. Aber am Tag nach der Wahl scheint sich der weithin angekündigte deutsch-französische Streit um den Fiskalpakt in Wohlgefallen aufzulösen. . [...] Ohne es laut zu sagen, verzichtet der neue Präsident auf eine Neuaushandlung. Ohne es laut zu sagen akzeptiert die Kanzlerin einen Abschnitt über Wachstum. Der Anfang einer Idylle?
Die Presse aus Wien möchte keine Beschwörungsformeln der deutsch-französischen Freundschaft hören:
Ein Chor von Kommentatoren stimmt die Tonart von Botschaftern an: Die deutsch-französische Freundschaft wird halten, zum Wohle Europas. Schon werden emotionale Schnittmengen gesucht: Hollande, der volksnahe Biedermann, passt ja bestens zu Frau Merkel, die am Samstag selbst in den Supermarkt geht und sich dann an den Herd stellt. Die Achse war doch stets stabil, wenn sie schwarz-rot gefärbt war: Giscard d'Estaing und Schmidt begründeten das moderne Europa, Mitterrand und Kohl ließen Deutschland zusammenwachsen. Merkozy ist tot, es lebe Merkhollande! Mit Verlaub, so läuft es nicht.
Denn grundsätzliche Unterschiede bleiben. Zum Beispiel beim Wachstum, das jetzt alle forderten, schreibt in Paris Le Monde. Wachstum in Paris sei dabei nicht unbedingt gleich Wachstum in Berlin.
Für den Franzosen besteht Wachstum vor allem in der Nutzung europäischer Gelder, um große Strukturprojekte in Umwelt oder Energieversorgung anzuschieben. Abgesehen von deren Nutzen, haben diese Projekte den Vorteil, Energien für die politische Sache zu mobilisieren. Seine Berater geben zu, dass es in erster Linie darum geht, endlich ein Zeichen der Hoffnung an die immer euroskeptischeren Wähler zu senden.
Für die Deutsche kann Wachstum nur ,dauerhaft‘ sein. Dabei geht es hauptsächlich um Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt, die ein Land wettbewerbsfähiger machen sollen. In ihren Augen heißt die Anhäufung von Staatsschulden nicht keynesianische Politik zu betreiben, sondern die Lage zu verschlimmern. Für sie ist es politische Feigheit, wenn man eher auf Zeit spielt als versucht, die Probleme zu lösen.
In London glaubt die Presse, dass Hollande lauter belle aus beiße. Und deshalb dürften die Deutschen auch ganz gelassen bleiben, schrieb der Guardian.
Beide sind Pragmatiker aus der politischen Mitte, was die Bereitschaft, einen gemeinsamen Deal zu stricken annehmen lässt, aber nicht garantiert. Hollande wir vorgeworfen, ein ,gefährlicher‘ Steuernverprassender Keynesianer zu sein, der auszieht, um die steuer- und geldpolitische Strenge der Deutschen umzustürzen und sie mit Eurobonds in eine Euro-Haftungsgemeinschaft hineinzulocken. Gemessen an seinen Beratern, seinem Programm und seinen Stellungnahmen, ist es damit aber nicht weit her.
Denn jede französische Bemühung, Deutschland innerhalb der EU zu isolieren, wäre eine historische Wende in der französischen Außenpolitik der Nachkriegszeit, schreibt die Financial Times.
Ein Zusammenschluss Frankreichs mit den südeuropäischen Staaten würde auch Frankreichs Selbstbild als eine der stärkeren Wirtschaftsmächte in Europa schädigen. Die Wahrnehmung Frankreichs an den Finanzmärkten würde sich ebenfalls verschlechtern. Der größte Schaden von allen wäre, dass eine offene Spaltung zwischen Frankreich und Deutschland europaweit Probleme bereiten und einen richtungsweisenden Bruch in den Grundmauern der EU und ihrer Währung auslösen würde.
Demzufolge gehen die meisten Analysten davon aus, dass sich Hollande mit ein paar gesichtswahrenden Gesten aus Berlin begnügen wird, anhand derer er dann sagen kann, er habe den EU-Debatten eine neue Richtung zugunsten des „Wachstums“ gegeben.
In Zusammenarbeit mit Spiegel Online.
Foto: © Séverin Millet für Le Monde.
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