"Für das Europäische Parlament ist das die große Stunde, wo es sich wie der amerikanische Kongress fühlen kann", schreibt Le Figaro. Innerhalb von acht Tagen werden die 26 von den Mitgliedsstaaten designierten Kommissarenacheinander von den EU-Abgeordneten angehört und müssen sich drei Stunden lang ihren Fragen stellen. Die Befragungen dienen der Prüfung der fachlichen Kompetenzen der Kandidaten, ihrer europäischen Gesinnung und der Stichhaltigkeit ihrer Ernennung. Nach Abschluss des Verfahrensam 26. Januar werden die Parlamentarier die bis 2014 amtierenden Kommissare offiziell bestätigen müssen. Sie können aber auch die neue Kommission blockieren und deren Präsidenten José Manuel Barroso und die Mitgliedsländer zwingen, ihr Portfolio zu überarbeiten. "Die Anhörungen sind ein wichtiger Moment für das Europäische Parlament […]. Die Abgeordneten halten damit eine Waffe zur politischen und demokratischen Kontrolle in ihren Händen – etwa so, als ließen die belgischen Parlamentarier ihre Minister ordentlich schmoren, um ihre Kompetenzen zu überprüfen, bevor sie der Ernennung zustimmen", kommentiert La Libre Belgique. Die 26 aufeinander folgenden 'Vernehmungen' bieten Politikern und Wählern die seltene Gelegenheit, Zeugen eines politischen Theaterstücks zu werden", unterstreicht Le Figaro und erklärt, dass diese Form von "öffentlicher sowie individueller Prüfung auf dieser Seite des Atlantiks eher selten ist". Die 736 Abgeordneten könnten dabei ihre Autorität gegenüber den 27 Ländern, die ihre Kommissare gewählt haben, und dem Kommissionspräsidenten, der die Ressorts verteilt, behaupten.
Kandidaten auf der Anklagebank
Die Anhörungen sind jedoch nicht nur reine Formsache. "Hinter der kühlen diplomatischen Fassade brodelt ein Kessel voller Emotionen", schreibt die polnische Tageszeitung Polska. Für einige Kandidaten könnte die "Prüfung sehr schmerzhaft werden", stellt die rumänische Tageszeitung Evenimentul Zilei fest. "Das betrifft besonders den für das Landwirtschaftsressort designierten Rumänen Dacian Ciolos und die für internationale Zusammenarbeit und humanitäre Hilfe vorgesehene Bulgarin Roumiana Jeleva." Ciolos wird "zwischen den Interessen der Konservativen, welche die Vergabe von Direktsubventionen an Landwirte fordern, und den Liberalen, die sich für eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik einsetzen, vermitteln müssen". Für Roumiana Jeleva könnten sich die Gerüchte um ihren Mann, dem man Verbindungen zum organisierten Verbrechen in Bulgarien nachsagt, als besonders problematisch erweisen.
Ein weiterer Kandidat auf der Anklagebank ist laut Polska der für die "Interinstitutionellen Beziehungen und Verwaltung" designierte Slowake Maros Sefkovic. Ihn scheint seine Vergangenheit einzuholen. Wegen seines Studiums an einer renommierten Moskauer Schule, die als Rekrutierungsfeld des KGBs bekannt war, sieht sich der Politiker starker Kritik aus den Reihen der EVP (Europäische Volkspartei) ausgesetzt. Die Partei hatte verlauten lassen, dass "eine Persönlichkeit, die in der Vergangenheit mit einem autoritären Regime in Verbindung stand, als EU-Kommissar nicht in Frage kommen könne", schreibt die polnische Tageszeitung. "Die Anhörung des zukünftigen Kommissars für Binnenmarkt und Dienstleistungen Michel Barnier wird von der britischen Presse, die von ihm die Durchsetzung strengere Regulierungen des Finanzmarktes befürchtet, genau verfolgt", erklärt der Euobserver.com.
Die Vize-Präsidentin der Kommission und Hohe Beauftragte der EU für Außenpolitik, Catherine Ashton, die die Anhörungen eröffnen wird, könnte "zwischen die Fronten der euroskeptischen Briten und den Pro-Europäern auf dem Kontinent geraten. Letztere akzeptieren nur schwer, dass das Gesicht der europäischen Diplomatie ein britisches ist, geraten", unterstreicht Le Figaro. Wenn jedoch eine der 26 Anhörungen Schwierigkeiten bereiten sollte, ist es wahrscheinlich, dass der Kommissionspräsident nicht auf seiner Ernennung bestehen wird. "José Manuel Barroso erinnert sich nur ungern an seine Sturheit von 2004. Die EU-Abgeordneten hatten den Italiener Rocco Buttiglione zurückgewiesen, der wegen seiner rückschrittlichen Ansichten zur Homosexualität für das Justizressort als ungeeignet angesehen wurde, und hatten damit das gesamte Portfolio gefährdet", erklärt Le Figaro. Der Italiener musste schließlich seinen Hut nehmen.
