Den Namen Osama Almasri Najim haben Sie vielleicht noch nie gehört, in Italien ist er aber sehr bekannt. Er ist der Chef der libyschen Kriminalpolizei und gegen ihn liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor. Dieser beschuldigt ihn, für die höchst umstrittenen Strafvollzugsanstalten in Tripolis verantwortlich zu sein, für Mord, Folter und sexuelle Gewalt. Das verhinderte jedoch nicht die Freilassung des Verdächtigen durch die italienische Polizei: Nur wenige Tage nach seiner Festnahme in Turin wurde er in sein Heimatland zurückgeschickt.
Die Affäre zieht sich bis an die Spitze des italienischen Staates, erklärt Filippo Gozzo für Euronews. Ich empfehle seinen Artikel, in dem die Reisen von Almasri beschrieben werden und in dem er den Verdacht gegenüber den Behörden aufgreift.
Domani hat die Reaktionen der NGOS und italienischer Politiker zu dem Fall aufgegriffen. Die Opposition kommt zu einem niederschmetternden Schluss. „Appelle und Forderungen der Opposition und der in der Seenotrettung tätigen NGOs an die Regierung, den libyschen General – Leiter mehrerer Haftanstalten aus denen Berichte über Folter und unmenschliche und erniedrigende Behandlung von Inhaftierten bekannt geworden sind – an Den Haag auszuliefern, haben nicht geholfen“, resümiert die italienische Tageszeitung verbittert.
Laut einem Kommentar von Mediterranea Saving Humans, einer in der Seenotrettung tätigen NGO, sei dem Leiter der Kriminalpolizei in Tripolis von der italienischen Regierung „ein beschämender Schutz“ gewährt worden, meint Gozzo weiter. Eine Person, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Menschenhandel und Folter angeklagt ist, wird freigelassen? Für die in Domani zitierte NGO offenbart der Fall die Heuchelei der italienischen Regierung, die behauptet, mit ihrer Migrationspolitik den Menschenhandel zu bekämpfen.
In einem ebenso schonungslosen Leitartikel in Il Manifesto reagiert Andrea Fabozzi auf die Position der italienischen Behörden.
„Eine Person, die vom Internationalen Strafgerichtshof der Folter bezichtigt wird, ist ein wertvoller Kooperationspartner für die italienischen Behörden“, schreibt er. „Ein Protagonist dieser tödlichen Politik[...], bei der sich die Migrationsströme aus Libyen nach Italien öffnen oder schließen, bei der Menschen das Risiko eingehen, entweder in den Haftanstalten an Land durch Folter zu sterben oder auf dem Meer zu ertrinken – einer Politik also, die ausschließlich auf der Logik des Profits und der Erpressung basiert.“
„Für alles gibt es schriftliche Beweise, alles ist bekannt. Neben den Berichten und Anklagen des Internationalen Strafgerichtshofs gibt es Videos, Fotos, Tausende von Zeugenaussagen: Die schrecklichste Gewalt ist in den libyschen Zentren an der Tagesordnung.“
„Ausgerechnet die Präsidentin [des Rates Giorgia] Meloni, die versprochen hatte, die weltweite Jagd auf Menschenhändler zu eröffnen, begnügt sich damit, einige verzweifelte Überlebende auf dem Meer festnehmen zu lassen, die sie als „Schlepper“ bezeichnet“, so Fabozzi. „Die wirklichen Verbrecher hingegen schützen wir und bringen sie nach Hause, sofern sie ihre Arbeit im Stillen fortsetzen.“
Schlepper: Ein ideales Feindbild
Schlepper – eine fast mythische Gestalt, die allen europäischen Maßnahmen in der Migrationspolitik zugrunde liegt. Es heißt, eine Verringerung der Migration wäre in erster Linie ein Mittel, den Menschenhandel einzudämmen, Schlepper zu stoppen und letztlich Leben zu retten. Mit dem Ziel, den Menschenschmuggel zu unterbinden, legte die Europäische Kommission am 28. November 2023 einen Vorschlag für eine Richtlinie vor, die die Grundlage für einen europäischen Rechtsrahmen schaffen soll. Aber ist der Text relevant? Eine Studie von Professorin Violeta Moreno-Lax (INCREA-Universitat de Barcelona und Queen Mary University of London) stellt die Grundlagen des Textes in Frage.
Moreno-Lax legt zudem eine Reihe von Empfehlungen vor: Rückruf der Richtline bis zum Abschluss einer gründlicheren Prüfung, Anpassung des Textes an die UN-Definition von Menschenhandel, Präzisierung des verwendeten rechtlichen Vokabulars zur Beschreibung von Menschenhandel und der Personen, die des Menschenhandels beschuldigt werden, Schutz von NGOs, von „gutgläubigen“ Dienstleistern, Solidarität usw.
Abgesehen davon, dass auf nationaler und internationaler Ebene mit zweierlei Maß gemessen wird, wird das Konzept unserer Institutionen in Bezug auf den Menschenhandel und Menschenschmuggel kritisiert. In openDemocracy fasst David L. Suber zusammen, dass sich die Bekämpfung von Menschenhandel und Menschenschmuggel oft als kontraproduktiv erweist.
„Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenschmuggels scheitern, weil sie gar nicht wirklich versuchen, ihn zu stoppen“, so Suber. „Was sie stoppen wollen, ist die Migration. Wer beides gleichsetzt oder annimmt, dass die Bekämpfung des einen auch gegen das andere vorgeht, hat das Problem grundlegend missverstanden.“
Für den Forscher und Journalisten sorgen diese Maßnahmen lediglich dafür, dass Migrationsrouten gefährlicher werden und Schlepper noch dringender gebraucht werden. Dabei schrecken die immer höheren Risiken die migrierenden Menschen nicht ab.
"Wir sollten - und wir können - die Dinge anders machen", hofft er. „Eine hochgradig auf Sicherheit ausgerichtete und rechtsverletzende Migrationspolitik sollte nicht die einzige Lösung sein. Sie verbraucht wertvolle Ressourcen, die den Sicherheitsbedenken der Staaten Rechnung tragen könnten, in dem man sie für die Schaffung sicherer Migrationsrouten verwendet.“
„Aber damit sich all das ändert, müssen wir zunächst anerkennen, dass der Menschenschmuggel in einer Welt, in der das Reisen kriminalisiert worden ist, ein unabdingbares Phänomen darstellt“, ergänzt er. Wohl oder übel erfüllen Schlepper für Menschen, die vor Krieg, Hunger und Verfolgung fliegen, eine wichtige Funktion. „Und egal wie gefährlich der Weg ist, den sie gehen müssen, sie werden es versuchen.“
Natürlich geht es nicht darum, Kriminellen, die die Notlage von migrierenden Menschen ausnutzen, Amnestie anzubieten oder entwürdigende und tödliche Zustände wie in den libyschen Lagern zu billigen. Wichtiger ist vielmehr die Frage: Wen greift man an, wenn man Migration kriminalisiert? Die Henker oder ihre Opfer?
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