Altersarmut: "Seriös, sorgfältig, suche Bügelarbeit"

Veröffentlicht am 10 September 2012

Arbeitsministerin von der Leyen: Europas Presse staunt über die deutsche Rentendebatte Altersarmut in Deutschland? Europas Presse forscht nach: El Mundo stellt verwundert fest, dass bereits „**761.000 deutsche Rentner einen Minijob haben, um ihre Einkünfte aufzubessern. Und Le Monde prophezeit auch dem französischen Senioren-Arbeitsmarkt eine rosige Zukunft**.

"Reicht meine Rente noch zum Leben?" Mit dieser Frage brachte die Bild-Zeitung die Angst der Deutschen vor Altersarmut auf den Punkt.

Ursula von der Leyens Warnung, dass Arbeitnehmer, die unter 2500 Euro brutto im Monat verdienen, im Jahr 2030 eine Rente von nur 688 Euro erhalten und den direkten Weg ins Sozialamt antreten müssen, löste zahlreiche Debatten in der deutschen und zuweilen Erstaunen in der europäischen Presse aus. Denn das Bild des armen Rentners, wurde bisher nicht mit Deutschland in Verbindung gebracht.

[...] Wie ist es möglich, dass Deutschlands Wirtschaft, welche die Europäische Union unterstützt, in naher Zukunft nicht mehr in der Lage sein wird, ihre Renten zu sichern? ,

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fragt sich Gazeta Wyborcza aus Warschau und erinnert daran, wie

Griechen und Portugiesen voller Neid auf den deutschen Rentner schauen, der seine Ferien im Badeort verbringt. Die Deutschen zögern nicht, Geld im Urlaub auszugeben, und zu Hause können sie sich schicke Autos und Kleidung leisten.

Jedoch schaut das Blatt auch den düsteren Tatsachen im Nachbarland ins Auge:

[...] In 20 Jahren wird es von diesem Rentnerparadies keine Spur mehr geben [...] auf Grund einer drastisch alternden Gesellschaft. Im Jahr 2030 wird es in Deutschland mehr Rentner als Berufstätige geben. Das Katastrophenszenario sähe so aus, dass der Staat an der Überbelastung durch Rentenzahlungen und am Mangel an Steuereinkünften (von Seiten der berufstätigen Bürger) letztendlich zusammenbrechen würde. Deshalb haben die Deutschen schon 2006 - als erstes Land in Europa - das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre erhöht, um die Rentenlast auf den Staatshaushalt zu reduzieren. Die Reform trat dieses Jahr in Kraft. Doch [die Deutschen] wissen nicht, wie sie die heute 40-Jährigen vor der Armut im Alter schützen können.

Eine Reportage in der spanische Tageszeitung El Mundo macht deutlich, dass Arbeiten nach der Rente in Deutschland nicht erst 2030, sondern für viele jetzt schon angesagt ist.

761.000 deutsche Rentner haben einen Mini-Job, [...] davon sind 120 000 über 75 Jahre alt." Wie Jacob, "der vor kurzem seine Frau verloren hat [...] und nun ihren Mini-Job übernimmt, dem sie bis zum Schluss nachgegangen ist. Von Montag bis Freitag, vier Stunden am Tag, kümmert er sich um einen Laden, in dem Backwaren und Zeitschriften verkauft werden [...]. Die 400 Euro, die er damit verdient, erlauben ihm, etwas angenehmer zu leben.

Die Zahl der Rentner in Mini-Jobs ist in Deutschland seit ihrer Einführung im Jahr 2003 laut El Mundo um 60 % gestiegen. Zwar nutzen viele ältere Menschen diese Gelegenheit, um freiwillig weiter aktiv zu bleiben, doch bei den Meisten:

handelt es sich nicht um Universitätsprofessoren, die länger arbeiten wollen, sondern um Rentner, die Zeitungen austragen, Regale im Supermarkt auffüllen oder anderen unattraktiven Beschäftigungen nachgehen, um damit ihre Rente aufzubessern.

Zu diesem Schluss kommt auch Le Monde, die einen Blick auf die Situation der französischen Rentner wirft.

500 000 von insgesamt 15 Millionen Rentnern arbeiten, obwohl sie eine Pension beziehen. Eine Zahl, die sich in den letzten sechs Jahren fast verdreifacht hat. [...] Der Anstieg erklärt sich durch die Entwicklung des Gesetzes, das es seit 2009 erlaubt, neben der Rente einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen, [...] aber auch durch die Krise, die immer mehr Rentner dazu nötigt, wieder eine Arbeit aufzunehmen.

Internetseiten mit Stellengesuchen von Senioren schießen in Frankreich wie Pilze aus dem Boden.

Hinter den wenigen Sätzen, mit denen sich die Bewerber präsentieren, lassen sich finanzielle Engpässe am Ende des Monats und knappe Budgets erahnen. So wie bei Guy (in Rente seit März 2011, habe immer noch Energie zu geben), der gern stundenweise Heimwerkertätigkeiten ausführen würde, "weil er nur eine ganz kleine Rente hat". Oder wie bei Nicole (seriös, sorgfältig, suche ein paar Stunden Bügelarbeit), die sich ihren Alltag erleichtern will.

Mit der Verarmung eines Teils der Rentnerschaft:

blüht dem Senioren-Arbeitsmarkt eine rosige Zukunft. Die kommenden Rentnerwellen stammen aus Generationen, deren Karrieren Unvorhergesehenem, wie Arbeitslosigkeit oder Teilzeitarbeit, ausgesetzt waren; alles Phasen, in denen sie weniger für ihre alten Tage vorsorgen konnten

, schließt das Blatt aus Paris.

Von Katja Petrovic

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