Ein Werk des israelischen Künstlers Ori Melamed von 2004. Sein Protest gegen die Installation einer schwedischen Kunststoffkünsterlin, die eine palästinensische Selbstmordattentäterin in einer Stockholmer Ausstellung präsentierte. (AFP)

Antisemitische Schweden?

Der Besuch des israelischen Ministerpräsidenten in Europa am 25. August könnte unter keinem schlechteren Stern stehen: Schweden, das Land mit dem derzeitigen EU-Vorsitz, ist in eine diplomatische Krise mit Israel verstrickt, seitdem letzte Woche ein Artikel in der Tageszeitung Stockholm Aftonbladet veröffentlicht wurde, in welchem israelische Soldaten beschuldigt werden, 1992 mehrere Palästinenser getötet zu haben, um ihre Organe zu entnehmen.

Veröffentlicht am 24 August 2009
Ein Werk des israelischen Künstlers Ori Melamed von 2004. Sein Protest gegen die Installation einer schwedischen Kunststoffkünsterlin, die eine palästinensische Selbstmordattentäterin in einer Stockholmer Ausstellung präsentierte. (AFP)

Innerhalb weniger Tage, so die Genfer Zeitung Le Temps, "hat sich der Zwischenfall zu einer wesentlichen diplomatischen Affäre zwischen den beiden Ländern ausgewachsen. Doch auch zwischen Israel und der EU". Euobserver.com erklärt, dass "der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der am 25. August in Brüssel zu Diskussionen über die Expansion der jüdischen Kolonien erwartet wird, verlangt, dass Schweden den Artikel formell verurteilt". Der schwedische Außenminister lehnt dies jedoch ab. Carl Bildt habe am 21. August auf seinem Blog geschrieben, dass "zum Prinzip der Meinungsfreiheit, wie es in Schweden verstanden wird, auch gehört, dass die Regierung nicht dazu tendiert, Zeitungsartikel zu verurteilen", so euobserver.com weiter. Die Brüsseler Website fügt hinzu, dass "die diplomatischen Spannungen um eine Stufe gestiegen sind, nachdem der israelische Finanzminister Yuval Steinitz erklärte, Bildt, der am 10. September nach Israel reisen sollte, sei nicht mehr willkommen". Le Temps berichtete, dass "der Innenminister des hebräischen Staats, Eli Yshai, am Sonntag bestätigte, er werde die Visen und Aufenthaltsgenehmigungen mehrerer in Israel niedergelassener schwedischer Journalisten nicht erneuern. Im Anschluss daran wird ihnen das Presseamt der Regierung nicht mehr die offiziellen Ausweise ausstellen, mit denen sie sich unter anderem in den palästinensischen Gebieten frei bewegen können". Euobserver.com erinnert schließlich daran, dass "sich die Beziehungen zwischen der EU und Israel seit Beginn des Jahres, mit dem israelischen Angriff auf Gaza, immer weiter verschlechtert haben: Brüssel hat seither die Vertiefung der Beziehungen aufgehoben und angekündigt, dass es keine Veränderungen geben werde, solange Israel nicht die Expansion der Kolonien in den besetzten palästinensischen Gebieten beendet."

Für den Spiegel handelt es sich um "die tiefste diplomatische Krise seit Jahren zwischen Schweden und Israel". Die deutsche Wochenzeitung versucht auch den israelischen Standpunkt zu erklären: "Der Vorwurf des Organ-Diebstahls erinnert an antisemitische Stereotype aus dem Mittelalter, wonach Juden das Blut von Christen für rituelle Zwecke benutzt haben sollen."

Auf seinem Blog erklärt der israelisch-polnische Journalist Eli Barbur, dass "Schweden mit seinen neun Millionen Einwohnern in der Sicht der Israelis das anti-israelischste Land der EU ist (40% der Schweden bekennen sich zu antisemitischen Ansichten)" und fügt hinzu, dass es "als Vorsitz führender Staat der EU nicht effizient über den Nahen Osten verhandeln kann (obwohl es, wie der Rest Europas, den festen Vorsatz dazu hat), wenn es sicht nicht offiziell entschuldigt."

In der israelischen Tageszeitung Jerusalem Post schreibt der ehemalige israelische Botschafter Zvi Mazel, dass "Israel in den letzten 20 Jahren von den europäischen Regierungen blind angegriffen wurde, während die europäische Presse die aus dem Nahen Osten stammenden Informationen verzerrt. Die schwedische Presse lag bei diesem Trend ganz vorne und hat mit dem letzte Woche im Aftonbladet veröffentlichten Artikel ganz klar die Grenzen überschritten". Mazel erinnert weiter an die NS-sympathisierende Vergangenheit der größten schwedischen Tageszeitung und an "eine Art von Diktatur, die von den – anti-israelisch eingestellten – Sozialdemokraten und Gewerkschaften gegenüber der Presse ausgeübt wird" (inklusive dem Aftonbladet), und fordert Israel dazu auf, auf das "Massaker aus Europa, insbesondere aus Westeuropa und den Mitgliedsstaaten der EU" zu reagieren. Diese Dämonisierung Israels sei eine richtige, ernst zu nehmende Bedrohung.

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Eine weitere große israelische Tageszeitung, Haaretz, versucht ihrerseits, die Ereignisse im Kontext darzustellen, und zitiert hierzu Lena Posner, die Vorsitzende des offiziellen Rates der jüdischen Gemeinschaften in Schweden. Ihrer Meinung nach hat "die israelische Forderung an die schwedische Regierung, den Artikel aus dem Aftonbladet zu verurteilen, die ganze Geschichte völlig aus den Proportionen gehoben. Niemand hatte den Artikel – der sicher antisemitisch und falsch war – überhaupt bemerkt, denn er war ganz hinten in der Zeitung versteckt. Doch Israels Reaktion hat den Autor, den Journalisten Donald Boström, ins Rampenlicht und in den Mittelpunkt der in Schweden vorherrschenden öffentlichen Meinung gebracht. Was noch schlimmer ist", so Lena Posner: "Die Debatte ist vom Antisemitismus zur Presserfreiheit in Schweden übergegangen. Statt sich mit der Überprüfung des Artikels zu beschäftigen, ist nun eine Frage der Meinungsfreiheit daraus geworden. Die Regierung wird den Artikel nicht verurteilen", schließt sie. "Meinungsfreiheit ist hier ein sakrosanktes Thema." Diesbezüglich verweist auch die österreichische Tageszeitung Die Presse auf Folgendes: "Als es um die Karikaturen Mohammeds ging, hatte das schwedische Außenministerium der dänischen Regierung einen Protestbrief geschickt".

Im Aftonbladet schließlich erklärt Chefredakteurin Helle Klein, die Reaktion der israelischen Regierung breche "den Rekord der Übertreibung". Ihrer Ansicht nach "muss die israelische Regierung, eine der konservativsten in der Geschichte des Landes, die öffentliche Meinung auf einen Feind von außen konzentrieren". Der Artikel aus dem Aftonbladet sei somit "die Gelegenheit für die israelische Regierung, ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den vorgeblichen Antisemitismus zu zeigen". Dies dürfe, so schreibt sie, "auch bei den glühendsten Freunden Israels für Beunruhigung sorgen".

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