Arm wie ein Grieche in Deutschland

Beamte, die wegen Geldmangels nicht mehr arbeiten können, Rentner ohne Rente: Experten haben ausgerechnet, wie sich das griechische Sparpaket in Deutschland anfühlen würde. Das Ergebnis ist beunruhigend, wie viele andere Nachrichten, die uns aus dem Krisenstaat erreichen.

Veröffentlicht am 29 Februar 2012

Nennen wir ihn Erich Hansen. Hansen ist Erzieher im öffentlichen Dienst einer hessischen Kleinstadt. Mit den Jugendlichen, die er in seiner Einrichtung betreut, fährt er hin und wieder ins nahe gelegene Marburg, um dort im Bowlingcenter zu spielen. In Zukunft muss sich Herr Hansen aber genau überlegen, ob er nicht lieber mit den Kids in den Wald geht – der Eintritt ins Bowlingcenter könnte zu teuer werden, denn Hansen muss sparen. Genau wie der Rest der Republik.

Machen wir es einmal mit, das Gedankenexperiment, das die Hans Böckler Stiftung mit Hilfe des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zusammen gestellt hat, um nachzuvollziehen, wie sich die griechische Sparmisere für uns in Deutschland anfühlen würde.

Erich Hansens Gehalt würde künftig von den monatlichen 3.250 Euro auf 2.760 Euro zusammen schrumpfen. Im Gegenzug erhöht sich seine Krankenversicherung um 530 Euro im Jahr während die Mehrwertsteuer von 19 auf 22 Prozent angehoben wird. Hansen, der am Feierabend gerne mal eine Kippe zu seinem Bierchen raucht, muss mit einer Steuererhöhung auf Alkohol, Benzin und Zigaretten von 33 Prozent rechnen.

Bei Hansens Kollegen herrscht angespannte Stimmung. Im öffentlichen Dienst werden 460.000 Stellen gestrichen, kündigt die Regierung an. Die Rentner in Deutschland müssen mit 1000 Euro weniger im Jahr rechnen. Brisant ist diese Vorstellung, wenn man bedenkt, was angekündigte Nullrunden an Protesten in Deutschland bereits ausgelöst haben.

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Warum Erich Hansen und die anderen so darben: Die Bundesrepublik Deutschland muss, übersetzt man die Forderungen an Griechenland in unsere Breitengrade, in fünf Jahren rund 500 Milliarden Euro einsparen. Das hat IMK-Experte Henner Will ausgerechnet und kommt zu dem Schluss, dass die Troika – Europäische Zentralbank, Europäische Kommission und Internationaler Währungsfonds – die Auswirkungen des Sparkurses unterschätzt hat.

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