Keine Krise am Horizont. Europa von der südlichen Mittelmeerküste aus gesehen. Foto: S@m Image

Auf der anderen Seite des Mittelmeers

In der heutigen Wirtschaftskrise zeigen sich die Anrainerstaaten auf der Südseite des Mittelmeers dynamisch. Eine Entwicklung, die nun auch von der EU durch regionale Kooperation begleitet werden soll, stellt El País mit Genugtuung fest.

Veröffentlicht am 17 März 2010 um 14:14
Keine Krise am Horizont. Europa von der südlichen Mittelmeerküste aus gesehen. Foto: S@m Image

In unsere sterilen internen Debatten verstrickt, nehmen wir kaum noch wahr, was sich nur einen Katzensprung von uns entfernt abspielt. An Dynamik fehlt es nicht... unseren Nachbarn zumindest. Als Spanien 2009 in die Wirtschaftskrise hineinschlitterte, konnte Marokko fünf Prozent Wachstum, nur zwei Prozent Haushaltsdefizit und ein Prozent Inflation aufweisen. Ein Ergebnis, dass sich weitgehend mit einem guten Jahr für die Landwirtschaft erklärt, aber auch dadurch, dass staatliche Investitionen zunehmen konnten, da die aufstrebende Mittelklasse die Konjunktur ankurbelt.

Zudem ist der Finanzsektor relativ verschlossen und somit immun gegen Viren von der Wall Street. So kann der Wirtschafts- und Finanzminister Salaheddine Mezouar auch behaupten, dass "die Krise an uns vorbeigeschlittert ist". Marokko ist nicht das einzige Land, mit dem es bergauf geht. Der gesamte südliche Mittelmeerraum "hat auf die Krise gut reagieren können" mit Wachstumsraten des BIP und einem Konjunkturaufschwung wie Marrokko, meint der Wirtschaftsexperte Fahallah Sijilmassi. Bis vor kurzem war es so, dass sich die Lage im Süden stets verschlechterte, wobei sich die Situation im Norden verbesserte.

Problempunkte sind jetzt Chancen

Wirtschaftliche Stagnation und demographische Explosion verschärften die Schwierigkeiten der Länder des Südens: derselbe Kuchen musste unter einer immer größeren Bevölkerung aufgeteilt werden. Lag 1970 das Verhältnis des Nominaleinkommens von Marokko und Spanien bei 1 zu 4, wuchs diese Ungleichgewicht stetig und erreichte 2009 ein Verhältnis von 1 zu 17 (Bei der realen Kaufkraft pro Einwohner liegt das Verhältnis bei 1 zu 7). Auch als der Süden die demographische Explosion in den 1990er Jahren unter Kontrolle bekam und das BIP pro Einwohner stieg, lag das Wachstum des BIP pro Einwohner innerhalb der EU immer noch weit höher.

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Folge: das Nord-Süd-Gefälle und somit Zuwanderung nahm zu. Heute sieht es so aus, als ginge dieses wachsende Ungleichgewicht dem Ende zu. Wir werden schon bald merken, dass nicht nur Brasilien, China und Indien aufstrebende Wirtschaftsmächte sind, sondern in bescheidenerem Ausmaße auch die Länder des südlichen Mittelmeerraums, allen voran ihre geographischen Extreme, die Türkei und Marokko. Länder, die nicht nur Probleme darstellen, sondern die Absatzmärkte der Zukunft sind.

Alawitisches Königreich im Europäischen Wirtschaftsraum

In dieser Hinsicht sind zwei kaum mediatisierte Ereignisse zu nennen, die vor kurzem eine politische Pattform schufen, die dieser Entwicklung Rechnung tragen. Das erste war das europäisch-marokkanische Gipfeltreffen von Granada. Die Teilnehmer riefen zwar Marokko zu mehr Demokratie auf, gleichzeitig verständigte man sich aber auf ein Programm mit dem Ziel, das alawitische Königreich in den Europäischen Wirtschaftsraum zu integrieren, getreu dem Motto der EU: "Alles teilen, außer den Institutionen". Zuerst geht es dabei um eine Angleichung des Rechtssystems Marokkos mit der EU, danach ist das Ziel ein komplettes Freihandelsabkommen. Im Gegenzug verpflichtet sich Brüssel, neben anderen Kooperationsprogrammen, die marokkanischen Verkehrsinfrastrukturen zu verbessern.

Das zweite Ereignis war die Eröffnung des Sekretariats der Mittelmeerunion in Barcelona und die Wahl ihres Generalsekretärs, dem Jordanier Ahmad Masadeh. Fünf konkrete Wirtschaftsprojekte stehen auf der Tagesordnung der neuen Institution: Kampf gegen Umweltverschmutzung, Autobahnen, alternative Energien, Zusammenarbeit der Universitäten, Unternehmensförderung. Völker, die sich spinnefeind waren, fangen an, zusammenzuarbeiten. Ein Wunder.

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