Auslese: Angela, spring!

Veröffentlicht am 2 Dezember 2011

Wann sagt sie endlich Ja zu den Euro-Bonds? Europas Presse arbeitet sich am Widerstand Angela Merkels ab - und zitiert genüsslich eine Anekdote aus ihrer Kindheit. Und sonst wird wieder gegen die “Germanisierung Europas” gepoltert. El Mundo schreibt: “Wir haben genug von Merkels Art.”

Das Sprungbrett-Erlebnis der jungen Angela Merkel schaffte es diese Woche endlich den metaphorischen Hintergrund der Euro-Krise aufzusteigen. Zeitungen von London bis Rom zitierten die Szene, als Angela Merkel in ihrer Jugend hadernd über dem Schwimmbecken verweilte und sich erst zu Ende der Stunde zum Eintauchen ins Wasser durchringen konnte. Sollte ihr Krisenmanagement ähnlich verlaufen, so empfiehlt die Presse, ist jetzt die Zeit für den Sprung gekommen. Heißt:

"Warum Angela Merkel Ja zu Eurobonds sagen muss”, titelte in London der Telegraph.

Mit ihrer Weigerung, sich voll hinter die anderen Mitglieder der Euro-Zone zu stellen, ermutigt sie die Märkte zu noch größeren Sorgen um ein taumelndes europäisches 'Projekt'. Wenn nicht einmal Deutschland mehr seine Staatsanleihen loswird, dann wissen wir, dass der Rest der Welt der Euro-Zone gerade jedes Vertrauen versagt. Wenn der Euro fällt, wird Deutschland schwer unter einer rasenden Aufwertung seiner neuen Währung und hohen Verlusten seiner Banken zu leiden haben. Ich denke, der Rest der Euro-Zone hat die Nachricht verstanden. In Italien, Spanien, Griechenland und Portugal sitzen Regierungen voller Spar- und Reformeifer. Jetzt ist es an Deutschland auf den Plan zu treten und die Zinsen für die gesamte Euro-Zone nach unten zu drücken.

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Völlig einverstanden ist damit der Kolumnist der Lissabonner Wirtschaftszeitung Jornal de Negócios. Er titelt: “Deutsche sollen alles zahlen!”

Ich bin ein Bewunderer, ja fast Neider der deutschen Organisation, Disziplin, Kultur und Technik. Aber jetzt wird deutlich, dass Frau Merkels übertriebene Orthodoxie in Wirtschafts- und Finanzfragen zum Ende des Euros und der Europäischen Union führen wird, wie auch zu dem Gefühl, dass Deutschland schuld daran ist. [...] Es sei denn Frau Merkel gäbe ihre Orthodoxie auf und erklärte den Deutschen, dass das Geldausgeben im Rest Europas reichlich durch Kredite für deutsche Produkte gefüttert wurde.

Die Kondition, ob Eurobonds oder ein Eingreifen der EZB aber lautet: strengere Kontrolle der Haushalte durch Brüssel, wovon die Presse in der revolutionsgeprüften Republik Frankreich Schüttelfrost bekommt. Für Mediapart wackelt das Fundament der modernen Demokratie.

Das heißt nicht weniger, als eine der Schlüsselkompetenzen einer demokratischen Regierung beschränken. Und das kann man nicht mal eben per bilateralem Abkommen auf der Tischkante aushandeln. [...] 'No taxation without representation' lautete der erste Leitsatz der amerikanischen Unabhängigkeitskämpfer 1775. Die Steuerhoheit war auch eine der ersten Regeln der [französischen] Revolution 1789. [...] Berlin und Paris wollen jetzt eine noch strengere Regelung als die schon in einigen Verfassungen verankerte 'Goldene Regel': Abgesehen davon, dass die Länder dieser neuen Mini-Euro-Zone sich zu einer Null-Verschuldung verpflichten, will Merkel eine drakonische Kontrolle des gesamten Haushaltsprozesses. Das ist laut Berlin gerechtfertigt, weil es bürgt.

Rzeczpospolita mahnte deshalb Deutschland zu verbaler Vorsicht und eröffnete ihren Artikel mit einem Auszug aus Guido Westerwelles Schreiben an die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Zukunft Europas – auf Deutsch. Dazu:

Vereinzelt hören wir jetzt Prophezeiungen, dass bald ganz Europa dazu gezwungen sein wird, sich in Goethes Sprache zu verständigen, was eine arge Übertreibung ist, selbst wenn Deutsch sich perfekt zur Amtssprache eignet. Aber Westerwelle spricht nicht umsonst von einer ‘Kultur des Haushaltens’. Für die deutschen Eliten kommen die aktuellen Probleme der EU in großem Ausmaß von den kulturellen Unterschieden zwischen dem Norden und dem Süden des Kontinents. Deutsche sind verantwortungsbewusst, akkurat, und vorhersehbar. Wenn Deutsche aber anfangen, über ihre Wirtschaftskultur zu reden, verfallen sie in eine unerträgliche Arroganz. Je schlechter die Nachrichten aus Griechenland, desto barscher der Ton Merkels und ihrer Minister. Sieht Deutschland denn vor lauter Bilanzgewinnen nicht den Zynismus dieses Verhaltens?

Der Karikaturist der Sunday Businness Postin Dublin packte diesen Eindruck jedenfalls ins Bilder. Und auch El Mundo in Spanien sah ihn sehr wohl, polterte diese Woche mit Vergleichen aus dem Dritten Reich und plädierte gegen “die Germanisierung Europas”.

Wir haben langsam genug von [Merkels] Art, die Völker am Mittelmeer zu bewerten. Sie vergisst allzu oft unsere griechisch-römische Kultur, und dass vor langer Zeit die Barbaren aus dem Norden eine Gefahr für sie darstellten. Das heutige deutsche Modell ist nicht in allen seinen Elementen nachahmenswert. Deutschland ist ein Land, in dem Armut, Prekarität und soziale Ungerechtigkeit in den letzten Jahren geradezu explodiert sind. Laut Eurostat sind die Ungleichheiten im letzten Jahrzehnt nur in Rumänien und Bulgarien stärker angestiegen. Fazit: Germanisierung ist nicht die Lösung.

Und doch ist es gut, dass Merkel die Ruhe behält und auf die Bremse tritt, hielt in Amsterdam Trouw dagegen.

In der Panik der sich zuspitzenden Euro-Krise ist es verlockend sich an jede Rettungsboje zu klammern. Aber es braucht mehr als die blinde Einführung von Eurobonds. Für Merkel macht es keinen Sinn, Eurobonds für ein Konstrukt auszugeben, das von Grund auf klappert. Genauso will sie nicht, dass die EZB die Druckmaschine anwirft, denn der Druck auf die Schuldenstaaten wäre damit fort. Lästig ist es sicher, dass sie Widerstand leistet. Aber nötig, um überhastete Aktionen zu vermeiden. [...] Die Rettung der Euro-Zone beginnt mit einer soliden Vereinbarung über die Haushaltsdisziplin und Zwangsmechanismen.

Dem sah La Repubblica aus Rom diese Woche ungewohnt unaufgeregt entgegen:

Es wird oft übersehen, dass die deutsche Stabilitätskultur kein Monster ist. Sie ist in Wirklichkeit eine sehr viel weniger grausame Alternative zum chinesischen oder amerikanischen Modell. Sie gründet auf dem Respekt für Gewerkschaften, an vereinbarten Maßnahmen gegen Standortverlagerungen und hohen Gehältern.

Und auch Slate in Paris sah "Deutschlands Hand klar zur Euro-Rettung ausgestreckt". Die Pläne einer Fiskalunion und die damit verbundene Abgabe der Haushaltssouveränität an Brüssel seien kein Grund zur Sorge. Im Gegenteil:

Angela Merkels Ideen wären ein Meilenstein in der europäischen Einigung. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass alle 27 mitmachen wollen, aber die Deutschen warten vor allem auf eine Antwort aus Paris. Zweimal schon, 1994 und 2000, haben sie radikale Fortschritte in der Integration vorgeschlagen. Zweimal hat Paris nicht geantwortet. (cl)

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