Nur in zwei Dingen scheinen sich die Wähler der Stadt Berlin, die in ihren Bezirken und Kiezen so stark in unterschiedliche Milieus zerfällt, einigen zu können: Niemand mag die FDP, die selbst in gutbürgerlichen Westbezirken nicht mehr als drei Prozent bekommt - und in allen Stadtteilen liegen die Piraten weit über der Fünf-Prozent-Hürde. In manchen Ecken der Stadt liegen sie vor den Grünen, in anderen gar vor der CDU.
Die Plattenbauten von Marzahn-Hellersdorf und die bürgerlichen Straßenzüge von Steglitz sind aber derart weit entfernt von jeder digitalen Bohème, dass sich die Basis der Piraten nicht auf irgendeine Form von eingeschworener "Netzgemeinde" reduzieren lässt. Der emphatische Freiheitsbegriff der Piratenpartei, der seine Wurzeln sehr wohl im Netz hat, erscheint gesamtgesellschaftlich anschlussfähiger als der Gel-und-Krawatten-Liberalismus der Rösler-Lindner-Westerwelle-FDP.
Das Grundsatz- und das Wahlprogramm der Berliner Piratenpartei enthalten Punkte wie die kostenlose Freigabe des öffentlichen Nahverkehrs und das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen, die Kommentatoren am Wahlabend als "radikal links" bezeichneten. Der Kapuzenpulli-Habitus mancher Mitglieder mochte einen derartigen Eindruck verstärken. Die Grundwerte der Piraten entziehen sich aber einer Einordnung nach dem klassischen Rechts-links-Schema.
“Frei”, “offen”, vor allem aber “transparent” sind die Schlagworte, die die Programme der Piratenbewegung prägen, seit sie vor fünf Jahren in Schweden zum ersten Mal Parteiform annahm, geboren aus dem Kampf gegen das geltende Urheberrecht. Zu einem der wichtigsten Grundlagentexte der Bewegung wurde die “Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace”, die der einstige Songschreiber der Grateful Dead und Mitgründer der Electronic Frontier Foundation, John Perry Barlow, 1996 verfasst hat. Lesen Sie den ganzen Artikel auf der Website der Süddeutschen Zeitung...
Schweden
Absturz nach dem Höhenflug
In Deutschland herrscht “die Angst der Grünen“ vor den Piraten, so meint die Tageszeitung: Die ehemalige Alternativpartei könne ihre Stammklientel verlieren und auf lange Sicht geschwächt werden.
Ganz so brisantsieht das die Berliner Zeitung nicht. Denn in Schweden, dem Mutterland der Piratenpartei, ist ihr Höhenflug schon wieder vorbei, berichtet der Korrespondent. Mit viel Rückenwind durch die schwedische Abhördebatte hatten die Piraten 2009 bei den Europawahlen über 7 Prozent und eine Sitz in Brüssel bekommen. “Sie waren in Stockholm die Sensation wie jetzt in Berlin. […] Inzwischen sind die Aufsteiger wieder dort, wo sie gestartet sind. Die Piraten erlangten 2010 in der schwedischen Parlamentswahl 0,65 Prozent“, erklärt die Zeitung. Ihr charismatischer Parteichef habe seinen Posten an eine Unbekannte abgegeben, um durch Europa reisend bei der Gründung von Schwesternparteien zu helfen. Und ihr einziger Europarlamentarier – so VoteWatch – stimme zu 99 Prozent mit den Grünen.
“In Schweden ist der indirekte Einfluss der Piraten inzwischen größer als der direkte. Ohne sie hätten sich die regierenden Konservativen kaum liberaleren Positionen zu Patent- und Urheberschutz angenähert. […] Doch der Sprung von der Ein-Thema-Partei zu einem breiteren Spektrum [wie ihr Vorbild, die Grünen] ist nicht gelungen.”