Spanisches Atomkraftwerk Trillo

Bitte keine Panik

Die Fukushima-Katastrophe treibt die EU-Länder dazu, die Sicherheit ihrer Atomkraftwerke zu testen, bzw. diese abzuschalten. Vorsicht oder Panik? Die europäische Presse neigt eher zur zweiten Antwort.

Veröffentlicht am 16 März 2011 um 14:46
Spanisches Atomkraftwerk Trillo

Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Als sich die 27 EU-Mitglieder am 15. März darauf einigten, für die 153 Reaktoren auf europäischem Boden Stresstests durchzuführen, kündigte Deutschland an, sieben seiner Kraftwerke sofort für drei Monate abzuschalten.

„Die deutschen Atomkraftwerke sind heute nicht unsicherer als vor einer Woche“, meint die Frankfurter Rundschau und fügt hinzu: „Aber wie immer in der Politik zählt das Ergebnis. Und das Ergebnis ist gut. Sieben Kraftwerke alten Typs gehen vom Netz, in Deutschland soll eine Debatte um Sicherheitsanforderungen für Atomkraftwerke geführt werden. Auch das ist gut.“

Die „Öffentlichkeit [wurde] von diesem Handlungseifer genauso überrascht wie die Betreiber der Energieunternehmen“, berichtet die Tageszeitung. „Quasi über Nacht hat die Regierung sie um Milliardengewinne gebracht. Ähnlich viel Mut, Tatkraft und Konfliktfreudigkeit hätte man sich früher gewünscht.“ Alle Regierungen der Bundesrepublik hätten sich an der einflussreichen Atom-Lobby die Zähne ausgebissen, schreibt die Frankfurter Rundschau und fügt hinzu: „Das Lob für die mutige Regierung gilt zunächst nur für den heutigen Tag. Die Auseinandersetzung mit den großen Stromkonzernen hat noch gar nicht richtig begonnen. Glaubwürdig wird die Bundeskanzlerin erst, wenn nach den drei Monaten Moratorium und nach den Landtagswahlen Kraftwerke abgeschaltet bleiben oder Konzerne zum Nachrüsten gezwungen werden.“

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

„Seine panische Reaktion bringt Deutschland auf Abwege“, meint Trouw dagegen. Gewiss birgt Kernenergie Risiken und es ist „menschlich, in Panik zu geraten, wenn mal etwas schiefgeht“, meint die niederländische Tageszeitung. Aber Merkel hätte „einen kühlen Kopf bewahren müssen“. Schließlich sei es „Unsinn“ einige Kraftwerke zur Inspektion abzuschalten. Momentan wisse man nichts Genaues zum Drama von Fukushima. Klar sei aber, „dass sich etwas Ähnliches niemals in Deutschland abspielen könnte. Die Entscheidung der deutschen Regierung schürt nur Angst und Misstrauen“.

Jedoch steht Deutschland nicht allein da, schreibt Le Figaro. Italien könnte von der Rückkehr zur Atomkraft Abstand nehmen. „Polen scheint sich ähnliche Fragen zu stellen. Österreich hat als erstes Land europaweite Stresstests verlangt. Die Schweiz wartet auf strengere Sicherheitsnormen und setzt ihre Projekte bis dahin aus.“ Nur Frankreich vertraut weiterhin auf eine seiner Spitzenindustrien.

Europa ist zum „Weltmeister der Kernenergie-Hysterie“ geworden, klagt Hospodářské noviny und bedauert, dass die EU-Politiker „auf einer Welle von Gefühlen reiten“. Das tschechische Blatt stützt sich auf die jüngste Studie der OECD, welche die Risiken der Kernenergie und die anderer Energiequellen miteinander vergleicht und zu folgendem Ergebnis kommt: „Atomenergie ist am sichersten“.

Zwischen 1969 und 2000 hat Wasserkraft die meisten Opfer gefordert: 29.924 Tote bei einem einzigen Unfall in China. „Die Studie schlussfolgert, dass ein Unfall in Verbindung mit fossilen Brennstoffen (Kohle, Gas, Öl) oder Wasser zehnmal wahrscheinlicher ist als ein Atomunfall, der direkt oder indirekt hunderte Todesopfer fordern würde.“ In der derzeitigen Situation ist die Ergriffenheit verständlich, schreibt Hospodářské noviny. Jedoch sollte in der Politik der Verstand siegen.

„Es ist möglich, dass das eine oder andere Land entscheidet, seine Kraftwerke abzuschalten oder seine Pläne zu verändern“, schreibt Dziennik Gazeta Prawna. Jedoch wirft das eine Frage auf: „Was ist die Alternative? Deutschland erklärt beispielsweise, dass es die Umstellung auf erneuerbare Energien beschleunigen wird. Dann wird es den weltweit teuersten Strom herstellen und als Nebenwirkung für Unruhe auf den Agrarmärkten sorgen, weil die herkömmlichen Kulturen zumindest zum Teil durch Energiepflanzen ersetzt werden müssen.“ Die polnische Tageszeitung schließt: „So dramatisch die Bilder aus Fukushima sind: Kernenergie hat sich als eine wirksame Lösung bewiesen.“ (jh)

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema