Ideen Griechenlandkrise

Brüssels tödliche Therapie

Die Eurogruppe vertagt ihr Treffen und stoppt damit vorerst ein weiteres Rettungspaket für Griechenland. “Politische Garantien” zur Einhaltung des Sparplans fehlen, heißt es. Aber statt der brutalen Schocksanierung aus Brüssel braucht Athen jetzt ein Aufbauprogramm. Statt Stigmatisierung, Solidarität.

Veröffentlicht am 15 Februar 2012 um 14:22

Nachrichten aus einem geteilten Europa: Deutschland steigert die Ausfuhren erstmals auf eine Billion Euro. Die Konjunktur brummt, die Steuereinnahmen wachsen, die Arbeitslosigkeit sinkt, die IG Metall fordert wegen der guten Ertragslage der Unternehmen Lohnerhöhungen von 6,5 Prozent. Deutschland: eine Insel der Seeligen.

Griechenland dagegen: ein Land am Abgrund und in Aufruhr. Die Übergangsregierung beschließt, unter dem Druck der Troika aus EU, EZB und IWF, ein neues drastisches Sparpaket. Die Löhne sollen um 20 bis 30 Prozent sinken. Im öffentlichen Dienst werden bis 2015 150.000 Menschen entlassen. Die Wirtschaft schrumpft, in diesem Jahr vielleicht sogar um mehr als acht Prozent. Das Land steht unverändert vor dem Bankrott.

Das zweite Hilfspaket der EU mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro wird dennoch zurückgehalten. Die Euro-Finanzminister zweifeln daran, dass die Regierung Papademos die angekündigten Sparmaßnahmen tatsächlich umsetzen werden. Zu Recht. Denn die bereits beschlossenen Einschnitte gehen nicht auf. Weil sie die Probleme nur verschärfen. Und weil der Widerstand der Griechen gegen das Verarmungsprogramm und die Entmündigung ihres Landes verständlicherweise groß ist.

Ist das die Perspektive eines geeinten Europas? Ein Ursprungsland der abendländischen Kultur und Demokratie, das faktisch zum Brüsseler Protektorat wird – ohne Hoffnung auf Besserung. Ein Kontinent, der sich immer tiefer spaltet in einen wohlhabenden Norden und einen Not leidenden Süden, wo Menschen kaum mehr wissen, wie sie ihr tägliches Brot bezahlen sollen. Während in Deutschland die Regierungskoalition ernsthaft daran denkt, mitten in der schwersten Finanzkrise seit Jahrzehnten die Steuern zu senken.

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Debatte

War es Bauernfängerei?

Im französischen Figaro fragt der griechische Professor für Geopolitik Giorgos Prevelakis, ob für die Schwächen der griechischen Gesellschaft (“überdimensionierter Staatsapparat, Klientelpolitik, Korruption, Inkompetenz der Verwaltung und fehlende Wettbewerbsfähigkeit”) nur die Griechen allein verantwortlich sind:

Wurde die Klientelpolitik und die Verteilung der europäischen Gelder nicht nur geduldet, sondern gar ermutigt, um politische Alleingänge zu vermeiden, welche die Rolle Griechenlands in der westlichen Militärstrategie zu gefährden hätten? Wer kann glauben, dass das Netz der Korruption auf dem höchsten Niveau des griechischen Staates nicht von der Komplizenschaft der Europäer profitiert hätte? Ist die methodische Unterstützung prahlerischen Konsums nicht von der Lobby der Exportländer von Luxus-Autos mitgefördert worden? Hat die Übernahme der griechischen Industrie durch europäische Holdings, bestrebt das griechische Vertriebsnetz zu übernehmen, nicht dazu beigetragen, das Handelsdefizit zu vergrößern? ... Man kann kaum behaupten, dass die Griechen die einzigen sind, die vom Laxismus in ihrem Lande profitiert haben.

Die von Europa vorgeschlagenen Lösungsansätze — “Vormundschaft, oder gar das zeitweilige Aussetzen der Demokratie” — seien laut Prevelakis...

...ein weiterer Schritt in Richtung postdemokratischer Anomalie in Europa. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass sich die griechische Identität rund um den Begriff Widerstand konstituiert hat. Es wäre naiv zu glauben, dass die Drohungen, Demütigungen und der Druck den Zorn der Bevölkerung im Zaum halten könnten. Eine Wut, die sich heute in einer akut antiwestlichen Haltung ausdrückt. Der arabische Frühling ist nicht weit.

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