Eric Cantona stellt seinen Bildband "Elle, Lui et les autres" vor, Paris, Dezember 2009. (AFP)

Cantona: unterm Trikot ein Künstler

Nach seiner Rolle in Ken Loachs Looking for Eric steht der ehemalige Star von Manchester United auf der Bühne eines großen Pariser Theaters. Porträt des legendären Fußballers in seiner zweiten Haut eines sensiblen und passionierten Künstlers.

Veröffentlicht am 26 Januar 2010 um 11:34
Eric Cantona stellt seinen Bildband "Elle, Lui et les autres" vor, Paris, Dezember 2009. (AFP)

Er gibt sein Bühnendebüt und wird auch dort keine halben Sachen machen. Eineinhalb Stunden wird Eric Cantona in einem modernen Theaterstück von Nathalie Saugeon, Face au paradis, auf der Bühne stehen. Und zwar ab dem 26. Januar im Pariser Théâtre Marigny. In einem düsteren Endzeitbühnenbild spielt er Max, ein Mann der unter einem Trümmerhaufen zu überleben versucht. Lampenfieber kennt er nicht. "Ich weiß, was ich zu tun habe", sagt Cantona und erinnert an seine Fußballervergangenheit. "Als Kind war mein Ziel, vor 80.000 Menschen zu spielen und ich hab’s geschafft. Also ein Saal mit 400 Plätzen..."

Cantona ist ein Rätsel. Wie kommt es, dass ein Spieler, der 2001 von den Fans des britischen Clubs Manchester United, wo er in den 90er Jahren tätig war, zum "Spieler des Jahrhunderts" gekürt wurde, immer mehr in verschiedenste künstlerische Domänen einbricht? Seine offizielle Vita beeindruckt. Er hat in 11 Kinofilmen mitgewirkt. Von Das Glück liegt in der Wiese von Etienne Chatiliez (1995) bis Ensemble, c’est trop, der neue Film von Léa Frazer (Kinostart Frankreich: 17. Februar). Als Schauspieler und Koproduzent des Ken Loach-Films Looking for Eric ging er die Stufen des Festival-Palais von Cannes hinauf. Ein kürzlich erschienenes Buch zeigt sein fotografisches Schaffen: Elle, lui et autres (Sie, er und die anderen, éd. DBB). Für die karitative Stiftung Abbé-Pierre fotografierte er Obdachlose und heruntergekommene Unterkünfte. Kunstsammler ist er auch noch. Und Theaterproduzent. Er gründete die Produktionsfirma Canto Bros. Der Künstler Cantona: Frankreich ist skeptisch. Dort hat er das Image des arroganten, unvorhersehbaren Kerls, der nicht weiß, wo er hingehört. In England wird er aber auf eine in Frankreich unvorstellbare Weise bewundert. Für Cantona war der Fußball eine Kunst. Er spielte mit gereckter Brust, den Kragen des Trikots hochgeschlagen, was ihn noch größer erscheinen ließ. Schoß er ein Tor, blieb er stehen und breitete die Arme aus, als wollte er die Begeisterungsstürme der Fans aufsaugen.

Die zehn schönsten englischen Tore Eric Cantonas

Sein Vater, Albert Cantona, war Krankenpfleger in einer psychiatrischen Anstalt und Kunstmaler. "Mit zehn sah er mir beim Malen zu und zeichnete selber viel", erzählt Albert Cantona. "Er wollte, dass ich ihn in Ausstellungen führe." Mit 15 verlässt er die Schule und geht zum Fußballverein von Auxerre, wo er seinen ersten Profivertrag bekommt. In Burgund malt er fleißig weiter. 1988 stellt er in Marseille seine Bilder aus. Sie sind knallbunt, expressionistisch. Überall Feuer und Dollarnoten. Er begann auch sehr früh seine Kunstsammlung. Mit 22 kaufte er rund zehn Bilder postimpressionistischer Meister. Heute geht sein Geschmack mehr in Richtung zeitgenössische Kunst. Kürzlich erst hat er fünf großformatige Bilder von Ronan Barrot erstanden. Er sammelt Fotos von Saul Leiter, Sarah Moon, Sabine Weiss, Lucien Hervé, dem Chinesen Fan Ho... Seit sieben, acht Jahren malt Cantona nicht mehr selbst, er fotografiert. Analogkamera, keine Bildbearbeitung, kein Retuschieren. Urwüchsig wie er selbst. "Warum verbessern, ich verkaufe keine Illusionen." Drei Themen : abstrakt wirkende, farbige Detailaufnahmen, Stierkampf in schwarz-weiß, und Obdachlose.

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Immer mehr Erfahrungen

Wie bei der Kunst ist seine Beziehung zur Literatur quasi physisch. Er hat alle Pasolini-Filme gesehen, alle dessen Bücher gelesen. Beim Filmfestival 2008 in Locarno (Schweiz) steht Pasolini im Mittelpunkt eines Gesprächs, das er mit einem Regisseur führt, den er bewundert: Bertrand Bonello, ein Diamant des Autorenfilms. "Wir haben über 'Wer bin ich?' geredet, einen Text, den Pasolini schrieb, überzeugt, er würde bald sterben", erzählt Bonello. "Er hatte eine sehr treffende, persönliche Ansicht zu diesem Buch." Er verehrt die Dichter Ezra Pound, Antonin Artaud, Yves Bonnefoy, die Regisseure Pasolini, Renoir, Fassbinder, die Schriftsteller Oscar Wilde oder Hermann Hesse, die Maler Zoran Music oder Antoni Tàpies. Man kann anhand dieser sehr kohärenten Liste erkennen, was Cantona anspricht: eine expressionistische Kunstform, die — wie in dem Stück, das er spielen wird — von Tod, Krieg, Randgruppen, Entwurzelung oder Albträumen erzählt. Und auch über das suchen von sich selbst. Als er 20 war, begann er in Auxerre mit einer Psychoanalyse. "Das hat mir geholfen, mich selbst zu kennen", sagt er. "Später artete das aber zu Unsinn aus."

Das Bild, das sich zeichnet, ist das des romantischen Künstlers. Das eines sensiblen und doch selbstbeherrschten Toreros, der seinen Platz in der Arena sucht, der sich brutal ausdrückt und auch Gewalt nicht scheut: 1995 hatte Cantona einem rassistischen Fan einen Fußtritt verpasst. Das klingt nach Klischee, ist aber Aufrichtigkeit. Will er ein so großer Schauspieler werden wie er ein Fußballer war? Man fühlt eher, dass er immer neue Erfahrungen sucht. "Es gibt so viel, was ich machen möchte..." Er arbeitet an einem Filmprojekt über seinen Großonkel, der aus Sardinien stammte, verrät sein Bruder Jean-Marie Cantona. Eric sagt auch, dass er irgendwann als Kriegsfotograf arbeiten will. "In sieben Jahren...."

Cantona verpasst einem Fan einen Fußtritt, 1995

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