Ein so imageschädigendes Ereignis wie die Operation Cheqian-Emperador hätte sich die chinesische Gemeinde in Spanien auch in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können. Der Ruf der chinesischen Einwanderer, für die Verschwiegenheit eine Stärke und damit ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens ist, leidet zurzeit unter den Informationen, die im Rahmen der Ermittlungen an die Öffentlichkeit gedrungenen sind. So sollen kriminelle Banden Steuern in Höhe von 35 Milliarden Euro hinterzogen haben und Gewalttaten, Erpressung, Bestechung, Drogenhandel und Prostitution zum täglichen Broterwerb des Klans unter Gao Ping gedient haben.
Selbstverständlich darf man nicht verallgemeinern und die 170.000 in unserem Land lebenden Chinesen über einen Leisten schlagen, doch ist die Expansion der chinesischen Unternehmen in Spanien und auch in anderen Regionen der Welt von Faktoren geprägt, die zum Nachdenken anregen sollten.
Wie alle Migranten wandern auch Chinesen aus, weil sie hoffen, im Ausland zu Geld zu kommen. Dieser Migrationsprozess, der in Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien rasch voranschreitet, wird jedoch nicht von einer sozialen Integration begleitet, sondern beschränkt sich in vielen Fällen auf den wirtschaftlichen und geschäftlichen Kontakt mit der Landesbevölkerung. Die mangelnde Integration im Gastland, die sich räumlich durch die Entstehung sogenannter chinesischer Viertel ausdrückt, hat zur Bildung eines Staates im Staate beigetragen, den die spanische Polizei beklagt. In dieser extraterritorialen Enklave folgen Justiz oder Arbeitsbedingungen nicht den spanischen Gesetzen, sondern den Regeln der chinesischen Gemeinde.
Vom Ausgebeuteten zum Ausbeuter
Im Rahmen der sogenannten „Operation-Kaiser“ wurden jetzt Geldwäsche und Steuerbetrug in gigantischem Ausmaß aufgedeckt. In den vergangenen Jahren stechen bei strafrechtlichen Ermittlungen wegen Menschenhandels, Ausbeutung von Arbeitskräften und Steuerbetrugs stets zwei Dinge ins Auge. Erstens die Ausbreitung der chinesischen Banden in unserem Land, die pyramidal organisiert sind und in diversen Branchen Fuß fassen. Das Import-Export-Geschäft ist zwar der einzige Sektor, der in den laufenden Ermittlungen erwähnt wird, aber sie agieren auch in allen anderen Wirtschaftszweigen, in denen die chinesischen Migranten traditionell tätig sind, wie etwa Gastgewerbe, Textilhandel, Agenturen, Immobilienfirmen oder Bars.
Das System, das auch in anderen Ländern untersucht wurde, folgt mehr oder weniger folgendem Muster: Ein chinesische Geschäftsmann „importiert“ über seine Netze und Schlepper illegale Arbeitskräfte, die er jahrelang in seinen Unternehmen (Restaurants, Werkstätten, Läden) ausbeutet, bis alle Schulden abgearbeitet sind. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind oft schrecklich. Hat der Einwanderer die Schulden für die Schleppdienste ins verheißene Land erstattet hat, muss er noch für die Legalisierung seines Status bezahlen. Die nötigen Papiere verschaffen ihm – welch Zufall – chinesische Agenturen, die von denselben Bossen betrieben oder kontrolliert werden.
Schließlich verschuldet sich der chinesische Einwanderer weiter, weil er einen informellen Kredit aufnimmt, damit er sein eigenes Geschäft aufbauen kann. Und auf diese Weise avanciert er vom Ausgebeuteten zum Ausbeuter. Denn wenn die Gewinnmargen der Imbissbuden oder Nähstuben zu knapp werden, muss sich der frisch gebackene Unternehmer etwas Neues einfallen lassen, um seine Schulden zu begleichen. Er lässt also noch mehr illegale Einwanderer einschleusen, die sich bei ihm verschulden und die er ausbeutet. Wenn die Sektoren, in denen die Chinesen traditionell tätig sind, gesättigt sind, dann werden skrupellos andere, völlig illegale Branchen wie Prostitution, Glücksspiele und Drogenhandel erkundet.
Der zweite Faktor, der das System noch komplexer macht, ist die Internationalisierung der Netze, die in ihrem Ursprungsland eigentlich sehr kompakt sind. In Europa kommen die meisten chinesischen Einwanderer aus der Provinz Zhejiang, in der die Stadt Qingtian liegt, das Epizentrum der chinesischen Emigration nach Spanien und Italien. Die Region konnte sich dank der Geldüberweisungen aus dem Ausland schnell entwickeln. Die Migranten, die in Frankreich und den Niederlanden eintreffen und dann in die Mittelmeerländer ausschwärmen, zeichnen sich durch eine außergewöhnliche Mobilität und eine straffe Organisation aus. Sie gehen dorthin, wo es Arbeit und Unternehmen gibt, wo sie möglichst schnell Geld machen können. Danach kehren sie wieder nach China zurück, wo es einfach ist, das Vermögen, zu repatriieren ohne es zu versteuern.
Eine Art von Apartheid
Spanien ist eines der letzten europäischen Länder, in das Chinesen einwandern, und sollte einen Blick zu seinen Nachbarn werfen, um größeren Probleme vorzubeugen, die Integration der Migranten zu fördern und Situationen wie im italienischen Prato zu vermeiden. In dieser Stadt in der Toskana, der Wiege der hochwertigsten Textilindustrie Europas, gibt es ständig Spannungen zwischen Chinesen und Italienern.
Die ersten Chinesen kamen Anfang der 1980er-Jahre und wurden von italienischen Familienbetrieben beschäftigt, die ihre Stoffe nach ganz Europa exportierten. In weniger als einem Jahrzehnt entstanden die ersten chinesischen Textilunternehmen. Heute kontrollieren 4.800 Betriebe mit einer offiziellen Bevölkerung von 25.000 Chinesen (von insgesamt 200.000) 60 Prozent des Geschäfts. Diese rasante Entwicklung wurde von der nicht minder rasanten Entwicklung eines zwielichten Milieus begleitet, das die Stadt in das Europa-Zentrum der Kriminalität und der Geldwäsche der chinesischen Mafia verwandelt hat. „In keiner anderen Migrantengruppe in der Region steigt die Kriminalität in so einem Tempo“, erklärt ein Polizeikommissar, der das Phänomen seit mehr als zehn Jahren beobachtet.
In der Stadt herrscht eine Art von Apartheid. Chinesen und Italiener haben nichts miteinander zu tun. Die Italiener ärgern sich über den Reichtum der Chinesen, beschuldigen sie des Steuerbetrugs und werfen ihnen vor, dass sie der Region keinen Mehrwert bringen, denn alle Stoffe, Maschinen, Arbeitskräfte und Vertriebspartner sind chinesisch. Nur der Endkunde ist Italiener. Wie soll die Region davon profitieren?
Die Chinesen beklagen sich wiederum, alle über einen Kamm geschoren zu werden. Und die Politik macht alles noch komplizierter. Seitdem der chinesenfeindliche Roberto Cenni 2009 zum Bürgermeister gewählt wurde, herrscht noch weniger Einvernehmen zwischen den beiden Gemeinden. Kein optimaler Nährboden für die Lösung eines Problems, das in Italien wie auch in Spanien zum einen mehr Anpassung seitens der Chinesen voraussetzt, zum Beispiel indem sie mehr Einheimische beschäftigen und so den Reichtum mit den Einheimischen teilen, aber auch größere Toleranz seitens der Einheimischen für eine Gruppe, die in unserer Gesellschaft mehr Gewicht und höheres Prestige verdient.
Hintergrund
Gao Ping, der „kleine Kaiser“ und Guggenheim-Fan
Am 17. Oktober wurden 53 Chinesen und 17 Spanier, die unter Verdacht stehen, dreistellige Millionenbeträge gewaschen zu haben, im Rahmen einer großangelegten Razzia in Madrid festgenommen. An der sogenannten „Operation Kaiser“ nahmen mehr als 500 Polizisten im ganzen Land teil. Die Organisation wird verdächtigt, in vier Jahren 1,2 Milliarden Euro gewaschen zu haben. Bei der Ermittlungen wurde ein riesiges Netz aufgedeckt, welches das schmutzige Geld aus Prostitution und Erpressung über Unternehmen wie Karaoke-Bars und Restaurants wäscht. Dem Staatsanwalt zufolge wurden die Mittel auch mit der Hilfe spanischer und israelischer Mittelsmänner in Steueroasen angelegt oder ganz einfach per Auto oder Bahn nach China transportiert. Zu den festgenommenen Personen gehört auch Gao Ping, der an der Spitze des Netzes stehen soll. Der 45-jährige Boss des chinesischen Gewerbeparks Fuenlabrada in einem Vorort von Madrid, der wohl größte in ganz Europa, kam 1989 nach Spanien. Er unterhielt gute Beziehungen zu Politik und Wirtschaft und ist auch ein begeisterter Kunstsammler, wie El País bemerkt. So soll sich Gao Ping also nicht nur dem Großhandel gewidmet haben.
Seine wahre Passion war die Kunst. […] Er eröffnete auch das Zentrum für zeitgenössische Kunst Iberia, eines der größten privaten Räumlichkeiten, die sich in der chinesischen Hauptstadt der Kunst widmen.
Zudem hat er ein berühmtes Vorbild:
Gao Ping wollte den Guggenheims nacheifern, der amerikanischen Industriellen- und Philanthropenfamilie, die mit der Einfuhr von Stickereien aus der heimischen Schweiz in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann und schließlich mit einem Bergbaukonzern und Gießereien reich wurden.
Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.
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