Dreharbeiten für "Leergut" ( Vratné lahve ) von Jan Svěrák. Tschechische Republik 2007.

Kultur zu Tiefstpreisen - mit Erfolg

Tschechien hat eines der kleinsten Kulturbudgets Europas. Dennoch schafft es eine neue Künstlergeneration, die mit dem Ende des Kommunismus geboren wurde, dass das Land weltweit ganz vorne mitmischt.

Veröffentlicht am 29 Mai 2009 um 13:23
Dreharbeiten für "Leergut" ( Vratné lahve ) von Jan Svěrák. Tschechische Republik 2007.

Als die Tschechische Republik Anfang des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, wurde die vergangene und aktuelle beeindruckende Kulturlandschaft des Landes zurecht als Trumpf gepriesen. Die Augen der Tschechen sehen die Realität aber durch eine wesentlich weniger rosarote Brille. Nicht nur, dass der Begriff Kultur in den Ansprachen von Ministern der ehemaligen Regierung von Mirek Topolanek beinahe gar nicht erwähnt wird. Bedeutende Kulturschaffende weisen darauf hin, dass die Tschechische Republik eines der Länder ist, die die Kultur nur äußerst geringfügig unterstützen. Das Kulturbudget beträgt weniger als ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes und ist somit niedriger als der europäische Durchschnitt. Auch existiert in der Tschechischen Republik keinerlei Gesetzgebung für kulturelle Angelegenheiten. Zudem sind eventuelle Zuwendungen von privaten Personen oder Institutionen in keinster Weise mit steuerlichen Vorteilen verbunden, wie dies in anderen Ländern, ganz besonders in Frankreich, der Fall ist.

Zu Zeiten des Kommunismus war die Tschechische Republik das Land, am besten jenes kulturpolitische Modell repräsentierte, in dem man trotz und sogar durch die Zensur überleben konnte. Milan Kundera, einer der interessantesten und einflussreichsten europäischen Schriftsteller der letzten Jahrzehnte, stammt aus der ehemaligen Tschechoslowakei. Auch einige der Schriftsteller und Essayisten, die in ihrem Land geblieben sind, kennt man gut: Vaclav Havel, Ludvík Vaculík oder Bohumil Hrabal. Zur großen Überraschung vieler Westeuropäer ist Milan Kundera in der tschechischen Republik nicht sehr bekannt. Auch der Dramatiker Vaclav Havel, ehemaliger Präsident des Landes, wird kaum mehr gelesen.

Für viele Tschechen sind die beiden Jahrzehnte seit 1989 von derselben Rivalität und Feindseligkeit bestimmt, die auch die beiden bekanntesten Tschechen im Ausland, Kundera und Havel, von einander trennen. Kundera hat den Ruf eines arroganten Schriftstellers. Man wirft ihm vor, er habe das Interesse an seinem Land in dem Moment verloren, als er sich im Wesen niederließ. Im Gegensatz dazu hat Havel es geschafft, sich als opferbereiten Patriostisten in Szene zu setzen. Mit diesem Bild geben sich seine Landsleute nun aber so sehr zufrieden, dass nur noch sehr wenige Tschechen seine Texte lesen. Und diejenigen, die sie lesen, sind nicht mehr sehr jung. Trotz allem ist die Rivalität zwischen Kundera und Havel weiterhin der Dreh- und Angelpunkt, um den sich das kulturelle Leben Tschechiens entwickelt. Während seiner dreizehnjährigen Amtszeit als Präsident hat Havel es systematisch vermieden, Kundera auch nur die geringste öffentliche Aufmerksamkeit zu schenken.

Die tschechische Filmkunst kommt 1991 zwar wieder schnell in Gang. Sie leidet aber in den ersten Jahren an eher dürftigen Themen und etwas ärmlichen künstlerischen Ausdrucksformen. Es ist, als ob die Abschaffung der Zensur den Künstlern ihre Inspiration nimmt. Ohne vorgegebene Interpretationsmuster und den übllichen Druck befanden sich zahlreiche Künstler nunmehr in einer Situation, in der ihnen ihr hauptsächliches Ausdrucksmittel entzogen wurde.

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Hinzu kommen die Zwänge des Marktes: der Künstler von heute schafft Kunst, um sie zu verkaufen. Die neue Generation von Filmemachern hat es nach einigen zögerlichen Jahren geschafft, dem tschechischen Film wieder eine internationale Bedeutung zu verschaffen. So erhielt der Film „Kolya“ des Regisseurs Jan Sverák 1996 den Oscar für den besten ausländischen Film. Im Kino wie auch in der Literatur ist der Bruch zwischen den Generationen fast greifbar. Die Generation der Alten hatte nicht damit gerechnet, dass die junge Generation, sobald sie ihre Freiheit wiedergewonnenen hatte, der Gesellschaft so kritisch gegenüber sein würde, und vor allem der aktuellen Gesellschaft gegenüber. Anstatt das ehemalige kommunistische Regime zu kritisieren, gaben die jungen Kunstschaffenden vielmehr dem tschechischen Konformismus die Schuld. Heutzutage werden in der Tschechischen Republik jährlich etwa 15 bis 20 Filme produziert, ein zufriedenstellendes Ergebnis für ein Land, welches nur mühevoll zehn Millionen Einwohner zählt. Die Mehrheit der tschechischen Filme werden mit einem kleinen Budget produziert, das in der Regel eine halbe Millonen €uro nicht überschreitet.

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