Die "Pianisten" in Aktion: Italienische Abgeordnete wählen für ihre abwesenden Kollegen. (AFP)

Großreinemachen im Parlament

In den letzten Wochen enthüllte die europäische Presse eine Reihe ungezwungener Praktiken der Parlamentarier und Minister mehrerer europäischer Länder. Während Großbritannien eher schlecht abschließt, sieht es für Deutschland ganz gut aus. Und auch das Europäische Parlament hat nun damit begonnen, aufzuräumen.

Veröffentlicht am 26 November 2009 um 15:59
Die "Pianisten" in Aktion: Italienische Abgeordnete wählen für ihre abwesenden Kollegen. (AFP)

Vor allem aus Großbritannien stammen die meisten Enthüllungen frecher Praktiken von Politikern. Und auch wenn sich die Abgeordneten und Minister dort schon an außergewöhnlich großzügigen finanziellen Vorteilen erfreuen, so hindert sie das keineswegs daran, Missbrauch zu begehen. Zumindest ein Teil von ihnen. Die symbolträchtigste Affäre ist die der ehemaligen Innenministerin Jacqui Smith, die sogar soweit ging, ihren (weniger als einen Euro kostenden) Badezimmerstöpsel und die Leihgebühren für Pornofilme abzurechnen.

Skandal im britischen Parlament

Begonnen hat der Skandal als bekannt wurde, dass zahlreiche britische Parlamentarier und Minister, denen in London eine Wohnung gehörte, jedes Jahr Tausende von Pfund einsteckten, die eigentlich als Aufwandsentschädigung dafür bestimmt waren, ihnen das Wohnen in der Hauptstadt zu ermöglichen. Zudem deklarierten einige der Abgeordneten, die ihr Eigentum in London verkauften, dieses als Hauptwohnsitz, um keine Verkaufssteuer bezahlen zu müssen. Die im Frühjahr von der britischen Presse geführte Kampagne hat den Missbrauch der öffentlichen Gelder aufgedeckt, den die Parlamentarier begangen hatten. Für die politische Elite hatte dies katastrophale Auswirkungen. Vor dem Hintergrund der Krise spricht man in Großbritannien nun immer mehr davon, den Status der Abgeordneten und Minister zu reformieren.

Superreiche italienische Abgeordnete

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In Italien gehören die Abgeordneten im weltweiten Vergleich zu den Bestverdienern: Zu ihrem Bruttomonatsgehalt von mehr als 10.000 Euro erhalten diejenigen, die über einen Zweitwohnsitz verfügen müssen, zusätzlich 50.000 Euro pro Jahr. Weitere 50.000 Euro bekommen sie, um Assistenten, Sekretäre, etc. zu bezahlen. Hinzu kommen auch Versicherungen, kostenlose Verkehrsmittel und andere Vorteile. Das Vertrauen in die Ehrlichkeit der Parlamentarier ist so gering, dass man kürzlich vorschlug, ein Lesegerät für Fingerabdrücke auf jeder Bank des Parlaments zu installieren, um zu verhindern, dass die Abgeordneten und Senatoren auch für ihre abwesenden Kollegen abstimmen.

Einkommen der EU-Abgeordneten festgezurrt

Im Europäischen Parlament wurden die Gehälter der Abgeordneten seit der in diesem Jahr beginnenden Legislaturperiode auf 7.665 Euro Brutto festgesetzt. Die EU-Abgeordneten scheinen so etwas wie Verantwortung entwickelt zu haben. Jahrzehntelang konnten sie sich beispielsweise für jede Heimreise Erste-Klasse-Flugtickets zurückerstatten lassen, ohne auch nur ein einziges Mal Belege einreichen zu müssen. Auch wurde vor kurzem eine Art Kontrolle eingeführt, um einer alten Gewohnheit der EU-Abgeordneten entgegenzuwirken. Monatlich erhalten sie 17.000 Euro für die Ausstattung ihrer Büros und die Gehälter ihrer Assistenten. Viele von ihnen stellten ihre Lebensgefährten oder ihre Kinder ein und behielten somit die gesamte Summe. Nach den neuen Regeln dürfen die Abgeordneten der EU nicht mehr Mitglieder ihrer eigenen Familie einstellen. Es wurde ausgerechnet, dass ein einziger EU-Abgeordneter dadurch in den fünf Jahren seines Mandats bis zu einer Million Euro sparen könnte!

Arme deutsche Volksvertreter

Im völligen Gegensatz zu dieser Zügellosigkeit erhalten die deutschen Abgeordneten zu ihrem Grundgehalt von 8.000 Euros monatlich nur 3.700 Euro, um die Kosten für Wohnung und Vertretungen abzudecken (auch wenn sie vorher schon in Berlin wohnten). Zudem verfügen sie über ein Jahresabonnement für das Eisenbahnnetz und etwa 1.000 Euro für die monatlichen Bürokosten. Im deutschen System haben alle den gleichen Status und bisher gab es in Deutschland noch nie einen Skandal über die Ausgaben seiner Abgeordneten…

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