Ein Anhänger der Goldenen Morgenröte während eines Parteimeetings in Athen, 14. Juni 2012.

Bekämpft Neonazis mit Ideen

Die zunehmende Brutalität der Partei Goldene Morgenröte bekommt Auftrieb durch die Identitätskrise einer Bevölkerung, die unter der Wirtschaftskrise und der Mutlosigkeit ihrer entlegitimierten Politiker leidet. Es ist an der Zeit, ihr in einem echten ideologischen Kampf entgegenzutreten, findet ein griechischer Politologe.

Veröffentlicht am 5 September 2012 um 15:27
Ein Anhänger der Goldenen Morgenröte während eines Parteimeetings in Athen, 14. Juni 2012.

Seit einiger Zeit häufen sich organisierte, gefährliche rechtsextremistische Aktivitäten – seien wir präzise: nazistische Aktivitäten. Dies ist ein neues Element im öffentlichen Leben. Die Ursachen für diese nazistische Emergenz werden der tiefen Wirtschaftskrise zugeschrieben, was sich durchaus rechtfertigen lässt. Doch wenn wir diese Formen der Rechtsextremen näher betrachten, sei es die Brutalität ihrer Taten oder der Konsens einer passiven Gesellschaft, die sich an diesem gewaltsamen Verhalten zu ergötzen scheint, so müssen wir uns tiefere Fragen über die Ursachen dieser Erscheinung stellen. Sie existiert, in einem derartigen Ausmaß, heutzutage in keinem anderen europäischen Land, da sich die großen rechtsextremistischen Parteien in anderen Staaten alle Mühe geben, ihr faschistisches Erbe zu leugnen. Die Goldene Morgenröte gehört nicht zu dieser Kategorie.

Zunächst einmal ist der Ausbruch der nazistischen Gewalt auf ihre Wesensart selbst zurückzuführen. Für die Goldene Morgenröte liegt die „Dynamik“ ihrer Feinde nicht in ihrer Art oder ihren Methoden, sondern sie fließt ihnen in den Adern. Deshalb wäre es naiv, zu glauben, dass die Mitglieder dieser Partei schrittweise in das demokratische politische System integriert werden können. De facto werden die gewalttätigen „legitimierten“ Methoden ausgeschlachtet und verbreitet, und greifen seit ein paar Jahren um sich.

Diese Kultur der Gewalt ist das Produkt einer fruchtbaren Konfrontation: Seit der Rückkehr der Demokratie vor 38 Jahren vertieft sich der Graben zwischen der Gesellschaft (geprägt von der Krise der politischen Repräsentation, der Nichtachtung sozialer Regeln und Legitimitätsverlust des Staats) einerseits und der aktuellen Demagogie der „Herausforderungen“ durch das internationale Umfeld und die Bedrohungen von außen (etwa die Immigration) andererseits.

So lange dieses Modell florieren und ein gewisses Prestige garantieren konnte, war es in der Lage, den politischen Willen seiner Untergebenen zu kontrollieren. Doch heute, unter den Bedingungen eines sozialen Verfalls, können sie sich davon lösen.

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Somit kann man die nazistische Gewalt nicht mit einer einfachen Grundsatztheorie angehen und wahrnehmen. Auch lässt sie sich nicht durch die rituellen Bekundungen abschließen, die sie anprangern. So nützlich diese Methoden auch sein mögen, so antworten sie doch nicht von selbst auf die Komplexität der Faktoren, die diese Gewalt erzeugen und entwickeln. Das Herangehen an diese nazistische Ideologie erfordert eine politische Bewusstwerdung von Seiten des Staats, der Politiker und der Behörden, die heute jeglichen Wert verloren haben und die doch die Möglichkeit hatten, auf politische und soziale Probleme einzugehen.

Ein Gefühl von „kultureller Unsicherheit“

Zunächst einmal muss sich das Gesetz durchsetzen, wenn es umgangen wurde. Der Staat muss im Namen seiner politischen Macht dazu in der Lage sein, einzugreifen und den Migrationsfluss zu regulieren, so weit dies demokratisch möglich ist. Effektiv bedeutet das eine tief greifende Arbeit und das Einrichten einer echten nationalen Migrationspolitik. In diesem Rahmen nimmt die Handlungsweise ihren ganzen Sinn an, sowohl in der Entblößung der Gesichter des Pro-Nazismus als auch in der Anordnung der Institutionen zu ihrer Bekämpfung.

Eine derartige Ausrichtung der Politik wird jedoch schnell an ihre Grenzen stoßen, wenn sie nicht von einem ideologischen Kampf gegen die pro-nazistische Herausforderung begleitet wird. Der Kampf gegen die Rechtsextreme ist die schwierigste Front. Denn zum Großteil resümiert das Programm dieser extremen Rechten grundsätzliche Ideen der aktuellen antiliberalistischen und westfeindlichen politischen Kultur. Es basiert auf folgende Aussagen: Wir werden als Nation von allen Seiten bedroht; es ist unsere Pflicht, gegen die „neue Ordnung“ Widerstand zu leisten; die Globalisierung ist eine Inszenierung, deren Ziel die weltweite Vorherrschaft des „Zionismus“ ist; die Elite verrät uns, usw.

Im Rahmen der Wirtschaftskrise ist die Mobilität nicht mehr dieselbe und Fremdenhass und Verschwörungskontext entwickeln sich weiter. Die Mischung von Antikapitalismus und Antiplutokratismus ist oft begleitet von einer egoistischen Kritik von Seiten des Kleinbürgertums, die dazu neigt, einen allgemeinen Widerstandscharakter anzunehmen.

Die Ursachen für diese Erscheinung sind auch in anderen europäischen Ländern zu finden. Aktuelle Untersuchungen zu diesem Thema führten zu folgender Arbeitshypothese: Die Faktoren, die zu extremen politischen und sozialen Verhaltensweisen – angefangen bei den antisystemischen rechtsextremen Wahlergebnissen – führen, beschränken sich nicht auf den finanziellen Teil der Krise, sondern auf ihre Überschneidung mit kulturellen Variablen wie Angst vor Immigration, Veränderung der Lebensweisen und Verschwinden der nationalen Grenzen.

Das Resultat ist die Entstehung eines Gefühls von „kultureller Unsicherheit“ bei den sozialen Subjekten, die unter der Krise leiden oder sich von ihr bedroht fühlen. Bei denen, die eine neue Form von Größe in ihrer eigenen Identität suchen, als eine Art Antwort auf die Drohungen. Der Fall Griechenland scheint diese Identitätskrise perfekt zu illustrieren. (p-lm)

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