José Manuel Barroso ist Kandidat für seine eigene Nachfolge an der Spitze der Europäischen Kommission.

Immer wieder Barroso

An 18. Juni werden die Staats- und Regierungschefs in Brüssel die Kandidatur José-Manuel Barrosos für die Spitze der EU-Kommission wohl unterstützen. Einig sind sie sich über den Portugiesen dabei keineswegs; Der Beweis mit diesem Porträt zu Lasten des Kandidaten im Guardian.

Veröffentlicht am 17 Juni 2009 um 16:05
José Manuel Barroso ist Kandidat für seine eigene Nachfolge an der Spitze der Europäischen Kommission.

Die politischen Diskussionen in Brüssel werden sich in den nächsten Wochen vermutlich um ein wirklich wichtiges Thema drehen: Arbeitsplätze. Dieses Geschwätz wird wenig mit dem grimmigen und langweiligen Gerede über die Entlassungen von Arbeitnehmern zu tun haben, welches sich sonst so einfach in den Kurznachrichten der Außenwelt finden lässt. Allerdings wird man sich damit beschäftigen, wie eine selbstgefällige Clique überbezahlter und nicht gerade aufregender Männer (und eine oder zwei Frauen) sich Posten verschaffen.

Zweifellos wird man bis zur Erschöpfung über das Schicksal José Manuel Barrosos spekulieren, jetzt, wo er gerade öffentlich seine Absicht erklärt hat, eine zweite Amtszeit als Präsident der Europäischen Kommission anzustreben. Barroso scheint es zwar ein wenig zu beunruhigen, dass es für diese erneute Ernennung der Zustimmung der EU-Regierungen und Europaabgeordneten bedarf. Aber es würde mich wundern, wenn er auf einen so starken Widerstand trifft, dass dieser seine Pläne durchkreuzen könnte. Genau das ist eine Schande.

Diejenigen, die Barroso unterstützen, deuten an, dass er in den Vorzug eines fast schon automatischen Mandat gekommen wäre: Er gehört einer Mitte-Rechts-Partei an und die Konservative hat bei den letzten Wahlen die Sitzmehrheit im Europaparlament gewonnen. Jedoch hat keiner derjenigen, die in einem der 27 EU-Länder ihre Stimmen abgegeben haben, den Namen Barroso auf ihrem Stimmzettel gesehen. Auch ist mir kein(e) einzige(e) Kandidat(in) bekannt, der Gründe dafür angeführt hätte, für ihn oder sie zu stimmen, um Barrosos Job zu sichern.

Weit vom Segen der Wähler entfernt wurde Barroso sogar eine klare Abfuhr zuteil, als es für die EU-Bürger in einigen wenigen Fällen wirklich darum ging, sich zu seiner Politik zu äußern. Nachdem die EU-Verfassung, für die er sich eingesetzt hatte, 2005 in Frankreich und den Niederlanden scheiterte, verpackte er diese mit anderen Regierungschefs stillschweigend einfach neu und machte sie zum Vertrag von Lissabon. Nur ein Jahr später lehnte man diesen in Irland ab, dem einzigen Land, dass sich diesbezüglich für die Volksbefragung entschied. Doch Barroso wehrte sich, das irische "Nein" zu akzeptieren und bestand darauf, die Wahlen zu wiederholen.

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Barroso ist der lebendige Beweis dafür, wie sehr man demokratische Praktiken verachten kann, und dies ist ein gewaltiger Grund dafür, ihn unsanft rauszuschmeißen, gerade jetzt, wo es eine Fülle an anderen Kandidaten gibt. Zu einer Zeit wo die Mischung aus Selbstlosigkeit und Frische benötigt wird, um die finanziellen und ökologischen Leiden der Welt zu bereinigen, wandte er sich Männern zu, die für eine diskreditierte Orthodoxie und unersättliche Gier stehen. Um die Finanzkrise zu bewältigen, suchte er den Rat von Callum McCarthy, dem ehemaligen Vorsitzenden der britischen Finanzaufsicht (FSA), der den Aufruf zu einer strengeren Kontrolle der Finanzmärkte unlängst (2007) als "überreagierende Verrücktheit" einschätzte. Ratschläge im Hinblick auf den Klimawandel holte er sich bei Peter Sutherland von BP, die man 2005 anklagte, eine der zehn weltschlechtesten Firmen in Sachen Umweltschutz zu sein.

Immer wieder galt Barrosos Priorität den Unternehmensgewinnen vor dem Allgemeinwohl. In geheimem Einverständnis mit Peter Mandelson strebte er es an, Grunddienstleistungen dem Wettbewerb zu öffnen, um somit arme Länder so stark unter Druck zu setzen, dass diese gezwungen sind, in ruinöse Handelsabkommen einzuwilligen, die genetisch modifizierte Nahrungsmittel verteidigen und tausende Chemikalien auf dem Markt zulassen wollen, und dies ohne Gesundheits- oder Sicherheitstests.

Als die Europaabgeordneten vor fünf Jahren empört darüber waren, dass Barroso plante, den für Homophobie bekannten Rocco Buttiglione, einen engen Freund von Papst Johannes Paul II., zum EU-Justizkommissar zu machen, musste dieser seine Pläne begraben. Barroso reagierte mit dem Versprechen, verstärkt auf Grundrechte zu achten. Noch immer überlegt seine Kommission aber hin und her, wenn es darum geht, Gesetze gegen Diskriminierung voranzubringen. In Sachen Asyl und Immigration befolgte er die konservativ orientierte Tagesordnung und plädierte dafür, dass diejenigen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, bis zu 18 Monaten inhaftiert werden können.

Wenn man noch weiter zurückgeht, so zeigt sich, dass Barroso noch immer keine überzeugende Erklärung in Bezug auf Folterprogramm der CIA geliefert hat, in das Portugal zu seiner Amtszeit als Premierminister verwickelt war, und das man beschönigend als "Außerordentliche Auslieferung" bezeichnet. Darüber hinaus werden ihm Anti-Kriegs-Demonstranten auch nicht verzeihen, dass er 2003 den Azoren Gipfel ausgerichtet hat, bei dem George Bush und Tony Blair ihrem gemeinsamen Plan einer illegalen Invasion, die das Blutbad vieler Unschuldiger im Irak auslösen sollte, seine endgültigen Züge gaben.

Die gerade erst gewählten Mitglieder des Europaparlaments haben im Verlauf ihres Wahlkampfes zahllose Versprechungen gemacht und versichert, die Bürger Europas tapfer zu verteidigen. Wenn sie dies auch so gemeint haben, so sollten sie Barroso den Laufpass geben.

AUS POLEN GESEHEN

Zur Verteidigung von Barroso...

"Ich habe mich einige Male mit José Manuel Barroso unterhalten", schreibt der polnische Blogger Konrad Niklewicz (ehemaliger Brüssel-Korrespondent von Gazeta Wyborcza). Auf der Grundlage dieser Gespräche würde ich behaupten, dass die wesentliche Eigenschaft dieses Politikers sein Pragmatismus ist. Er ist keineswegs ein Visionär, sondern vielmehr jemand, der seine Pläne davon abhängig macht, ob er es schafft, ausreichend viele Kräfte zu versammeln, die diese unterstützen. Wenn er merkt, dass die Mehrheit der nationalen Regierungen gegen ihn ist, so lehnt er es ab, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Herr Barroso zieht sich dann lieber zurück und wird in diesem Sinne niemals in die Fußstapfen Delors treten. Er wird auch niemals ein neuer Jacques Santer sein, da er die Kommission keinesfalls in politische Schwierigkeiten stürzen will. Alles in allem mag er als Präsident der Europäischen Kommission gut genug zu sein, und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten Brüssel sowieso die EU-Zügel aus den Händen reissen. "Ich bin Reformer, kein Revolutionär, Gemäßigter und kein Fundamentalist der freien Marktwirtschaft", beschreibt er sich selbst (Zitat Reuters). Er hat eine Schwäche für Scheinwerferlicht. Immer dann, wenn ein Kommissar gerade eine Reform enthüllen will, die zudem positive Auswirkungen für den Verbraucher hätte und von den Landesregierungen unterstützt wird, gibt Barroso eine Pressekonferenz. In der spricht er immer an erster Stelle. Wenn die Kommission jedoch unbeliebte Entscheidungen bekanntgeben muss, so können die Kommissare fast nie mit der Anwesenheit von Herrn Barroso rechnen.

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