Gegenwind für den Pontifex, Barcelona, 7. November 2010

Polemik um den Pilgervater

Der Papst geißelt die spanischen Gesetze, die seiner Meinung nach die traditionelle Familie angreifen, und bedauert den Rückgang der katholischen Gläubigen in Europa. Damit liefert er zwar Diskussionsstoff. Die europäische Presse überzeugt Benedikt XVI. aber nicht.

Veröffentlicht am 8 November 2010 um 16:07
Gegenwind für den Pontifex, Barcelona, 7. November 2010

Bei seinem Spanien-Besuch am 6. und 7. November baute Benedikt XVI. seine Rede „auf den Dreh- und Angelpunkt seines Pontifikats“, schreibt La Vanguardia: „die Gefahren, denen die katholische Kirche ausgesetzt ist: Der wachsende Laizismus, sowie die Säkularisierung der europäischen Gesellschaft, und ganz besonders der traditionellen Familie“, die von der sozialistischen Regierungspolitik José Luis Zapateros bedroht sei.

Der Papst hat „diese außergewöhnliche Gelegenheit“ nicht genutzt, um „Glaube, Vernunft und Kultur zu vereinen“, bedauert El País, weil „er sich die Herkulesaufgabe stellt, gegen die unaufhaltsame Säkularisierung Europas zu kämpfen (dessen operationelles Zentrum eigenartigerweise Spanien sei)“. Es ist richtig, dass Spanien „nicht mehr das Licht von Trient ist“ (dem Konzil der Gegenreform im 16. Jahrhundert) und die Gläubigen weniger zahlreich sind als vorhergesehen, schreibt die Zeitung. Aber „Ratzinger übertreibt und hat eine gute Gelegenheit verpasst, Kirche und Staat einander wieder näher zu bringen“.

Wer war da bloß der Berater?

In Barcelona war die „päpstliche Botschaft die logische Weiterführung des kirchlichen Klageliedes über den Verlust der christlichen Wurzeln Europas und der möglichen Folgen“, kommentiert La Vanguardia. In derselben Ausgabe meint Enric Juliana, dass „der Katholizismus heutzutage über einen karolingischen Papst verfügt“, der eine „didaktische und keineswegs beleidigende Sprache“ spricht.

Dagegen schreibt die Süddeutsche Zeitung: Wer auch immer Benedikt XVI. bei seiner Spanienreise beraten hat, hat ihm einen Bärendienst erwiesen. Das Münchner Blatt verurteilt diesen „hanebüchenen und verantwortungslosen Vergleich“ mit den 1930er Jahren. Dies zeige erneut, dass der Vatikan nur allzu gern manches unter den Teppich kehre. Zum Beispiel, dass der „aggressive“ und „mitunter sogar mörderische“ spanische Klerus dem „siegreichen Franco-Faschismus die Steigbügel“ gehalten hat. „Warum Benedikt dies heraufbeschwört? Weil Spanien in sozialen Fragen in der Gegenwart angekommen ist. Homo-Ehen, Scheidungen in erträglichen Fristen, Abtreibung, Sexualkunde - das ist der Katalog der Sünden, die aus Sicht des Vatikans nicht dadurch gesühnt werden, dass Spaniens sozialistische Regierung die Säckel der Kirche gefüllt hat wie keine andere vor ihr.“

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

In Warschau warnt die Rzeczpospolitadagegen vor „dem gefährlichen Antiklerikalismus“. „Die Worte Benedikts XVI. zur Wiederkehr antiklerikaler Haltungen in Spanien wurden von der Mehrheit der europäischen Medien als Angriff gegen die Regierung José Luis Zapateros interpretiert. Tatsache ist, dass die spanischen Gläubigen seit sechs Jahren gute Gründe hatten, sich zu fühlen, als sei man über sie hergefallen und habe sie in die Enge getrieben.“

Die Tschechen habe Jan Hus lieber als Benedikt

Wenn „Politiker sich noch immer in Schweigen hüllen, darf man sich nicht darüber wundern, dass der Papst sich äußern muss“, urteilt die Rzeczpospolita. „Geht es um Rechtsradikalismus, sind wir äußerst sensibel. Dabei sollten bei uns auch die Alarmglocken klingeln, wenn die Linke extremistische Ansichten vertritt; ganz besonders, weil der politische Antiklerikalismus in Polen keine so außergewöhnliche Sache ist.“

In Prag titelt Lidové noviny: „,Die Religionslosen‘ knurrt der Papst die Tschechen an!“ Benedikt XVI. hat die Tschechische Republik tatsächlich als Beispiel für den Verlust der Religion in Europa genannt. Obwohl die Tschechen gar nicht so anti-katholisch sind, sondern nur ein Problem mit der Persönlichkeit des Papstes haben, schreibt die Tageszeitung und stützt sich dabei auf eine Umfrage. Während sich der Papst sorgt, dass „das spirituelle Vakuum, in Europa Platz für mehr Islam macht“, betont Lidové noviny, dass der „Islam weniger Chancen hat, sich bei uns durchzusetzen, als in den Ländern, in denen der Katholizismus praktiziert wird“.

Das tschechische Blatt weist darauf hin, dass die päpstlichen Worte in dem Land, in dem Jan Hus im 15. Jahrhundert die Kirche reformieren wollte, zur Wiederbelebung des „hussitischen Widerstandes“ führen könnten. Und „der Papst, der gerne mit der Wahrheit und seiner Auffassung von Freiheit argumentiert, könnte den alten und unvergesslichen [hussitischen] und anti-katholischen Wahlspruch nähren: Wahrheit siegt.“ (jh)

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema