Wer hat Angst vor den Berlusconis?

Veröffentlicht am 14 Dezember 2012 um 14:33

„Die aufgeregten Reaktionen einiger europäischer Politiker auf die Ankündigung meiner Rückkehr in die Politik sind fehl am Platz und eine Beleidigung für die Entscheidungsfreiheit der Italiener“: Silvio Berlusconis Erklärungen in Bezug auf Europa sind oft peinlich, aber in diesem Fall kann man sie ihm kaum übel nehmen, hat doch die einfache Ankündigung dieses EU-Bürgers, seine demokratischen Rechte ausüben zu wollen, eine Flut indignierter und apokalyptischer Kommentare ausgelöst. Angela Merkel unkte sogar, die Rückkehr des Cavaliere würde eine existenzielle Bedrohung für die gesamte Union darstellen.
Deutschland steht in diesem Fall jedoch nicht geschlossen hinter der Bundeskanzlerin. So schreibt Wolfgang Münchau in seiner Kolumne auf Spiegel-Online, er freue sich über die Rückkehr Silvio Berlusconis in die Politik, denn dadurch

erleben wir jetzt zum ersten Mal, dass die Krisenpolitik zum Kernthema eines Wahlkampfs in einem großen Land wird. [...] In Italien wird es nun eine politische Auseinandersetzung darüber geben, ob es richtig ist, in eine Rezession hinein zu sparen und ob man sich dem deutschen Spardiktat fügen sollte. Ich finde das großartig.

Abgesehen von der Schlussfolgerung sind wohl die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs mit dieser Analyse einverstanden. Und genau da liegt das Problem. Der „Brüsseler Konsens“, die Basis der Maßnahmen zur Lösung in der Eurokrise, ist nicht in eine normale demokratische Debatte eingebettet. Der Grund ist klar: Schon allein die Möglichkeit, so unwahrscheinlich sie auch sein mag, dass das Land mit dem viergrößten Staatsdefizit der Welt sich querstellt und so die bereits wackelige Krisenstrategie der EU umwirft, würde die Finanzmärkte in Panik versetzen und auch die Stabilität der übrigen Länder an der Peripherie in Gefahr bringen.
Die Krise zeigt ein für alle Mal, dass die Haushaltspolitik seit der Einführung des Euro nicht mehr Sache der einzelnen Staaten ist. Zu den Vorschlägen auf der sogenannten föderalen Agenda gehört auch die Gründung eines Finanzministeriums der Eurozone, das die Konvergenz der Politiken gewährleisten soll. Der Staatenbund, der dem Gebilde als demokratische Grundlage dienen soll, wird wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen. Bis zur Umsetzung eines föderalistischen Systems dürften noch zahllose „entscheidende Gipfeltreffen“ stattfinden, bei denen die Spitzen der mächtigsten Länder hinter geschlossenen Türen Vereinbarungen treffen: ein ewig tanzender Wiener Kongress und historisch gesehen kein Erfolgsmodell.
Wenn wir weiterhin die Einhaltung von Entscheidungen verlangen, die von den Brüsseler Technokraten zwischen zwei Walzern getroffen werden und mit mehr oder minder verhüllten Drohungen gewürzt sind, wenn wir weiterhin all jene Populisten schimpfen, die es wagen, sich nicht dem Reigen anzuschließen, wie es seit drei Jahren bei den Wahlen an der Peripherie der Union zu beobachten ist, werden wir bald noch mehr Berlusconis und Viktor Orbáns heranzüchten.

In der Debatte zur politischen Union wird systematisch ein Detail übersehen: Die Europäische Union verfügt bereits über eine Exekutive und über Minister, das heißt die Europäische Kommission und ihre Mitglieder, auch wenn man das leicht vergisst. Wie es die Verhandlungen über den EU-Haushalt gezeigt haben, hat die intergouvernementale Methode mit dem redundanten Amt des Präsidenten des Europäischen Rates die Rolle der Kommission, deren gegenwärtiger Vorsitzender auch deshalb gewählt wurde, weil er kaum geneigt ist, seinen Arbeitgebern zu widersprechen, in den Schatten gestellt.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Aber der Kern der Frage ist älter als José Manuel Barroso. Die Tatsache, dass die europäische Regierung nicht dem Parlament sondern einer Clique aus Staats- und Regierungschefs unterstellt ist, ist eine institutionelle Anomalie, die eher einer Monarchie des 17. Jahrhunderts als einem modernen demokratischen Staat zur Ehre gereicht.
Der niederländische Tageszeitung Trouw zufolge werden die Bürger erst dann fähig sein, die Ausrichtung der EU zu bestimmen, wenn die Zusammensetzung der EU-Kommission an die politische Orientierung des Parlaments geknüpft ist, und so der Zeit der Technokraten und Notstandsregierungen ein Ende gesetzt wird. In der Zwischenzeit müssen wir weiterhin in das demokratische System der einzelnen Staaten vertrauen.

Die Europäer haben bereits gezeigt, dass sie bei Wahlen verantwortungsbewusst handeln können, wenn es ihren Interessen dient. Lassen wir sie doch selbst über das politische Schicksal Silvio Berlusconis und seiner Anhänger entscheiden.

Aus dem Italienischen von Claudia Reinhardt

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema